Im Juli 2021 hat das Welterbekomitee die SchUM-Stätten in Speyer, Worms und Mainz zum Unesco-Welterbe ernannt. Damit sind im Jubiläumsjahr, in dem auf 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland zurückgeblickt wird, die Bauwerke und Friedhöfe der drei jüdischen Gemeinden am Rhein stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.
Neben Gebäuden wie Synagogen und Thoraschulen sind auch die Mikwaot in Worms und Speyer erhalten. Diese Bäder waren fester Bestandteil des Gemeindelebens und wurden bereits 12. Jahrhundert errichtet. Da die Becken nur mit fließendem Wasser aus einer Quelle, mit Regenwasser oder Grundwasser betrieben werden dürfen, befinden sie sich meistens in tief in die Erde hinabreichenden Bauten. Sie dürfen nur nach einer gründlichen Körperreinigung betreten werden und dienen durch vollständiges Untertauchen der spirituellen und geistigen Reinigung.
Der Fotograf Peter Seidel hat nicht nur diese beiden "Badehäuser" bereits in den späten 1980er Jahren aufwendig fotografiert. Seine fotografisch-archäologischen Entdeckungsreisen führten ihn nach Österreich, Frankreich, Italien und Spanien, wo er weitere Mikwaot fand, von denen ein Großteil heute nicht mehr genutzt wird.
Dem 1951 in Marburg geborenen Seidel ging es darum, "Räume unterhalb der Alltagsoberfläche zu erforschen". Für ihn war das Mikwe-Projekt die Weiterentwicklung seines Werkes "Unterwelten – Orte im Verborgenen", das 1993 als Buch erschien und als austtellung erstmalig im Historischen Abwasserklärwerk in Frankfurt am Main präsentiert wurde.
Erste Ausstellung im Center for Photography at Woodstock
Mit dem Fotografieren der Mikwe im hessischen Friedberg begann 1987 sein Mikwe-Zyklus. In die sakralen Räumlichkeiten stieg er mit einer Studioblitzanlage hinab, um Licht in das Dunkel zu bringen. "Ich wollte den Raum entstehen lassen, dass er so natürlich wie möglich aussieht", sagt er im Gespräch mit dem stern. Mit seinen Fotografien, die über eine lange Zeitspanne entstanden, hat er Fenster in die jüdische Vergangenheit aufgetan und vor dem Vergessen gerettet.
Noch schwieriger als das Überwinden behördlicher Hindernisse bei seinen Arbeiten war das Finden eines Verlags und eines Ausstellungsortes für seine Fotografien. Zunächst wurde eine Auswahl 1997 in Woodstock im Bundesstaat New York gezeigt. In Europa dauerte es bis 2010, ehe die Mikwe-Bilder als großformatige Farbdias in Leuchtrahmenn in den Jüdischen Museen Vorarlberg in Hohenems, in Frankfurt am Main, Fürth und Wien ausgestellt wurden.
Seidel hat den Versuch unternommen, "historische und weniger bekannte Stätten durch seine Fotografie in Kunst umzusetzen", schreibt Kunsthistorikerin Gail Levin in dem zur Ausstellung erschienen Katalog. "Indem er diese Zeugen der Vergangenheit festhält, erinnert er uns an die jüdischen Gemeinden in Europa, von denen manche noch immer bestehen, während andere seit langem verschwunden sind."
Nach inzwischen 18 Stationen ist die Wanderausstellung "Ganz rein!" in diesen Wochen an den Ort zurückgekehrt, wo das Projekt seinen Anfang nahm: nach Friedberg. Das Wetterau-Museum zeigt noch bis zum 9. Januar die Fotografien von Peter Seidel; weitere Ausstellungsorte sind in Planung. Nur wenige Straßen weiter kann in Friedberg auch die Mikwe aus dem Jahre 1260 besichtigt werden.
Quellen: www.wetterau-museum.de und www.peterseidel.de
Lesen Sie auch:
- Jüdischer Kulturweg in der Schweiz: Wo eine Synagogen-Uhr die Stunden schlägt
- Zusammenhalt in Vielfalt – So sieht jüdischer Alltag in Deutschland aus
- Wenn eine Synagoge zum Fitness-Center wird: Auf der Suche nach jüdischem Leben in Osteuropa