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Grand Tour durch Skåne Wie im Garten Schweden: Eine Reise zu Krimischauplätzen, Traumstränden – und Weingütern

Altes Lotsenhaus in Torekov an der Küste in Südschweden
Altes Lotsenhaus in Torekov an der Küste in Südschweden
© Till Bartels
Aufwachen auf einem Weingut, in Wallanders Lieblingscafé in Ystad sitzen und an einsamen und endlosen Sandstränden liegen: Auf einer Reise durch Südschweden bietet die Provinz Skåne viel Unerwartetes.

Inhaltsverzeichnis

Das Gurren der Turteltauben und das Krächzen der Krähen wecken mich auf. Ich liege in einem Bett inmitten der Natur. Nur die dünne Zelthaut trennt mich von Wind und Morgentau. Ich öffne den Reißverschluss des weißen Rundzeltes und sehe hinaus. Die ersten Sonnenstrahlen scheinen auf eine Hügellandschaft, in der alles hellgrün leuchtet: überall Weinreben, so weit das Auge sehen kann.

Ein Dutzend mannshoher Zelte steht seit diesem Sommer auf dem Gelände eines Weinguts in Skåne. Ein verrückter Ort in Südschweden. Lassen sich so hoch im Norden überhaupt Weine produzieren?

"Es ist das Selbstverständlichste der Welt", sagt Annette Ivarsson, die ich am Vorabend beim Essen in Arilds Vingård traf. Die ehemalige Bio- und Chemielehrerin hatte 2006 zusammen mit ihrem Mann Jonas die Idee, einen nur einen Kilometer von der Küste entfernten alten Bauernhof in ein Weingut zu verwandeln. Ein Jahr später pflanzten sie die ersten Weinstöcke. Heute bewirtschaftet das Paar eine Fläche von 20 Hektar. Kurz darauf eröffneten sie in dem reetgedeckten Stall aus dem Jahr 1868 ihr Restaurant und den Hotelbetrieb.

Bei ihrem Weinbaustudiums in Deutschland lernte Annette im staatlichen Weinbauinstitut Freiburg die Rebsorte Solaris kennen, die blüht und reift früh. Heute gehört die Traube zu den meistangebauten in Südschweden, denn mittlerweile gibt es 35 Weingüter in Skåne. Im Glas entfaltet dieser leicht grünliche Weißwein allerdings nicht die Breite an Geschmack, wie wir es vom Riesling her kennen. Beim Solaris dominiert eher die Säure, weniger die Komplexität. "Wir haben uns entschieden, nur Weinreben anzubauen, die nicht besprüht werden", erzählt Annette. Sie setzt auf organischen Anbau und verzichtet auf ein Besprühen mit Kupferlösungen als Mittel gegen mögliche Schimmelbildung.

Wie mag der Weinkeller eines so jungen Weingutes aussehen? Annette führt mich durch eine alte Tür unter die Erde. Wir stehen in einem Raum mit blitzeblanken Stahltanks, von dem aus zwei Gewölbe abzweigen, in denen die Eichenfässer und Rüttelbretter mit Sektflaschen lagern. "Wir drehen die Flaschen regelmäßig von Hand", erklärt sie. Dieser erst zehn Jahre alte Weinkeller macht einen uralten Eindruck auf mich. "Die ganzen Backsteine haben wir von einem alten Schornstein, der abgerissen wurde", erzählt sie mir.

Glamping auf Arilds Vingård

Unter den Dächern der Fachwerkhäuser gibt es 23 Zimmer. Doch in der Sommersaison reichen die bei weitem nicht aus. Die Kullen-Halbinsel ist eine beliebte Ferienregion. Daher haben die Ivarssons im Sommer 2019 dreizehn Zelte mit bequemen Doppelbetten für Gäste errichtet. "Seitdem kommen auch viele junge Leute und übernachten bei uns", sagt Annette.

Die weißen Spitzen der Zelte ragen über die Reben hinaus. Zum Waschwagen mit warmen Duschen geht es im Bademantel über einen Holzsteg. Nachts funkeln die Sterne, wenn man in fünf Minuten vom Restaurant zu den Zelten läuft. Doch einen Nachteil gibt es hier: Auf Arilds Vingård kann man kein flüssiges Souvenir erwerben. Wegen der staatlichen Kontrolle des Alkoholverkaufs dürfen die Flaschen nur in den Systembolaget-Läden verkauft werden.

Hoch über dem Meer: Kullaberg

Nur ein kurzer Fußweg ist es bis zum Dorf Arild mit seinem beschaulichen Hafen und vielen alten Holzhäusern mit ihren Veranden. Neben dem Hafenbecken trocknen die Fischernetze und Reusen im Wind. In der anderen Richtung lohnt vom Weingut ein kurzer Spaziergang zur Brunnby Kyrka, eine der schönsten Dorfkirchen des Landes. Die Anfänge stammen aus dem 12., die Fresken aus dem 15. Jahrhundert.

Doch die eigentliche Sehenswürdigkeit auf der weit nach Westen reichenden Halbinsel stellt das alte Seebad Mölle mit dem Kullaberg dar, einem weitläufigen Naturschutzgebiet. 80 Meter über dem Meer steht auf einer Klippe, zu der man wandern kann, ein Leuchtturm. Die Vorgänger des "Kullens fyr" warnten schon seit 1561 vor den Untiefen.

Weiter nördlich ragt eine weitere Halbinsel wie eine Pfeilspitze ins Kattegat, die Bjäre-Peninsula. Auf dem Weg dorthin fahre ich an Pferdekoppeln und Wiesen mit wiederkäuenden Kühen vorbei. Darüber fegen die Wolken dahin, bis ich am Westzipfel im Hafen von Torekov stehe. Das kleine Lotsenhaus mit seiner im Wind flatternden blau-gelben Fahne ist der Inbegriff eines Schwedenbildes (und hier als Hintergrundfoto sichtbar).

Auf der Horizontlinie schwebt die vorgelagerte Insel Hallands Väderö, ein beliebtes Ausflugsziel. In der Meerenge dazwischen kam es durch die Riffe im Laufe der Jahrhunderte zu vielen Schiffskatastrophen. Doch mich lockt ein weiterer Küstenabschnitt, nur wenige Kilometer weiter nördlich, an dem Filmgeschichte geschrieben wurde.

Wo der Tod Schach spielt

Eine Etappe des Fernwanderweges Skåneleden SL1, der die Ost- mit der Westküste in 27 Etappen verbindet, führt an der Steilküste von Hovs entlang. Schweden endet hier mit dramatisch abbrechenden Felsen im Wasser. Eine Bucht reiht sich hinter die andere. Ich laufe weiter unten über die von der Brandung abgerundeten Steine, braun-roter Gneis, bis ich einen Kieselstrand vor einer großen Höhle erreiche.

Nicht nur durch die aufziehenden Regenwolken wirkt die Kulisse bedrohlich. Auch durch meine Erinnerung an einen der berühmten Filme von Ingmar Bergman. Hier drehte der schwedische Regisseur Mitte der 50er Jahre die ersten Szenen zu "Das siebte Siegel": Der 1957 noch junge Max von Sydow begegnet als Ritter Antonius Block dem Tod, der bei Sonnenaufgang am Strand auftaucht. Seine Zeit sei gekommen. Doch Block fordert den Sensenmann zu einer Partie Schach auf. Und solange die Partie nicht entschieden ist, erhält er Aufschub.

Szenenwechsel zur Insel Ven im Öresund

Eine gute Autostunde weiter südlich liegt der Hafen von Landskrona und in Sichtweite zwischen Dänemark und Schweden die Insel mit dem kurzen Namen Ven, deren Existenz mir bisher unbekannt war. Fast könnte man hinüberschwimmen, doch die Fähre, die auch wenige Autos mitnimmt, benötigt immerhin eine halbe Stunde.

Mit an Bord sind Tagesausflügler, das Postauto, dem ich in den folgenden Stunden noch mehrmals beim Verteilen begegnen werde, einige junge Weltreisende aus Asien und eine Gruppe älterer Schwedinnen mit ihrem klobigen Golfgepäck. Mit gut sieben Quadratkilometern ist Ven so groß wie Helgoland, und der Tiefblick von dem bis zu 40 Meter hohen Steilufer aufs Wasser nicht minder dramatisch.

Hinter dem Hafen Bäckviken steigen fast alle Besucher aufs Fahrrad um: 1500 Räder bietet der Verleih. Schon nach wenigen Minuten bin ich allein, radele im Wind durch Felder, auf einem schmalen Pfad an Klippen, Brombeerbüschen und Hagebuttenhecken entlang. In der ersten halben Stunde sehe ich Rehe, die Federreste einer von einem Greifvogel zerlegten Möwe und scheuche mehrmals Fasane auf.

Am schönsten ist der Fernblick nach Dänemark, auf die Wasserstraße und die hinter dem Horizont aufragenden Pfeiler der gigantischen Öresund-Brücke im Süden von der Klippe, auf der die in frischem Weiß getünchte Kirche St. Ibbs thront. In dem mittelalterlichen Bauwerk gibt es mehr Modelle alter Segelschiffe als geschnitzte Heiligenfiguren.

Wie ein Fremdkörper auf der bodenständigen Naturschutzinsel wirkt die hiesige Whisky-Destille Spirit of Hven mit ihren hässlichen Containern als Lager und einem Edelrestaurant. Die eigentliche Attraktion Vens aber liegt verborgen unter der Erdoberfläche: das Tycho-Brahe-Museum.

Als im 16. Jahrhundert Ven noch zu Dänemark gehörte, errichtete der Astronom Tyco Brahe (1546 bis 1601) erst sein Schloss Uraniborg und später das im Boden versenkte Observatorium Stjerneborg, um in der klaren Luft seine Himmelsbeobachtungen durchführen zu können.

Hier waren er und sein Team von bis zu 20 Leuten mit ihren selbstkonstruierten Instrumenten vor Wind und Wetter besser geschützt. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren bestimmten sie mit bloßem Auge – das Teleskop war damals noch nicht erfunden – Position und Helligkeit der Gestirne. Zusammen mit seiner Schwester Sophie, einer bedeutenden Renaissance-Wissenschaftlerin, identifizierten sie 777 Sterne und gaben ihnen Namen. Brahe stellte mit seinen Erkenntnissen das ptolemäische Weltbild infrage. Dank seiner akribischen Aufzeichnungen entwickelte sein Schüler Johannes Kepler und später Isaak Newton das heliozentrische Weltbild.

Am ehemaligen Standort des Schlosses ist der Renaissancegarten symbolisch rekonstruiert. Die neugotische Kirche daneben wurde in eine grandiose Ausstellungshalle über Leben und Werk Brahes umfunktioniert. Bei Ausgrabungen stieß man auf die Reste von Stjerneborg.

Der abgesenkte und wieder überdachte Beobachtungsraum von damals lässt sich heute besichtigen. "Astronomen aus der ganzen Welt bekommen feuchte Augen, wenn sie hier unten stehen", erzählt mir die Dame an der Kasse, als ich Treppenstufen hinuntergehe. Sie drückt auf einem Knopf und eine Multimediaschau setzt ein. Es ist der Ort, wo vor 435 Jahren zum ersten Male empirische Wissenschaft gelebt wurde.

Wildes Grün im Nationalpark Söderåsen

Von der Natur an der Küste geht es in einen Nationalpark im Landesinneren. Im Herzen Skånes ist es grün: 40 Kilometer östlich von Helsingborg liegt der Söderåsen-Nationalpark, einer von 30 in Schweden und einer der südlichsten. Ich parke am Haupteingang und laufe los, durch dichten Buchenwald, über Holzbohlen und an Wasserläufen entlang durch eine Landschaft, die mich an das deutsche Mittelgebirge erinnert. Doch nach Erklimmen des Kopparhattan stoße ich auf eine unerwartete, fast 90 Meter tiefe Schlucht. Auch hier erlebe ich im 360-Grad-Rundumblick wieder Natur ohne sichtbare Eingriffe des Menschen.

Am Südeingang der Parks komme ich in Röstånga in einem knallgelben Bullerbü-Haus unter. Åsa Mullaert hat die mehr als 110 Jahre alte Villa Söderåsen vor drei Jahren übernommen und zu einem sehr persönlichen B&B umgebaut, mit einer Gemeinschaftsküche, in dem sich die Gäste der 14 Zimmer treffen. "Die Fernseher haben wir als Erstes rausgeschmissen", sagt die vor Energie strotzende Åsa. Sie setzt auf veganes Frühstück, lernte bei einem Yoga-Kurs in Schweden einen Koch aus Brooklyn kennen, den sie in ihr Dorf lockte.

Von New York in die schwedische Provinz

Abends sitze ich ihm gegenüber: Shmuel Goldberg lebt nach mehreren Jahren in Malmö seit wenigen Monaten mit Ehefrau Kasza und drei kleinen Kindern in Röstånga. Noch vor Kurzem sollte die Grundschule im Ort geschlossen werden. Jetzt gibt es mehrere Parallelklassen, denn junge Familien ziehen auch aus Göteborg raus aufs Land. "Ich liebe die Natur", sagt Shmuel. Er lernte sein Handwerk am French Culinary Institute in New York, arbeitete in den Sterne-Restaurants vom Brooklyn Museum und im Museum of Modern Art. Jetzt hat er den edlen Pop-up-Imbiss Sabab" eröffnet, in Röstånga Wurzeln geschlagen und beglückt die schwedische Provinz mit seinem "magisk hotpot", eine Art hawaiianisch-israelischer Bowl mit Humus, Rote Bete und BBQ-Soße.

Shmuel Goldberg Röstånga
Statt in New York kocht er in der schwedischen Provinz: Shmuel Goldberg eröffnete sein "Sababa" in der Gemeinde Röstånga  
© Till Bartels

Am nächsten Morgen stelle ich mich nicht unter die Dusche, sondern laufe in den Park zum Odensjön. "In dem Auge von Odin kannst du ein Bad in der Natur nehmen", gab mir Åsa mit auf den Weg. Keine Stunde später stehe ich am Ufer des Sees, der in einem 150 Meter breiten Vulkantrichter liegt, ein begrünter Kessel aus Basalt. Zu meiner Überraschung ist das Wasser alles andere als kühl. Eine Schautafel erklärt, dass der See noch mit einem weiteren unterirdischen verbunden ist. Ich sehe keine Menschenseele weit und breit. Als ich ins Wasser springe, fühle ich mich wie einer, der die natürliche Stille an diesem magischen Ort eher stört.

Blick über den Odensjön und unter seine Wasseroberfläche. Der See liegt im Söderåsen-Nationalpark.
Blick über den Odensjön und unter seine Wasseroberfläche. Der See liegt im Söderåsen-Nationalpark.
© Till Bartels

Tradition und Innovation in Lund

Ich fahre weiter nach Süden, nicht in eine der genannten Großstädte, sondern in eine Kleinstadt mit Charme, nach Lund, die Universitätsstadt Südschwedens. Fast die Hälfte der 85.000 Einwohner sind Studenten. Dementsprechend jung ist das Publikum in den Straßen, auf denen Fahrräder dominieren. Blickfang im Stadtbild ist der romanische Dom. Er war so imposant, dass er die Wirren der Reformation nur zusammen mit einer weiteren Kirche von damals 27 Sakralbauten überstand. Alle anderen Klöster und Kirchen wurden geschleift, dem Boden gleichgemacht.

Der Andrang auf die Sehenswürdigkeit muss so groß sein, dass eigens neben dem Dom das "Domkyrkoforum" eingerichtet wurde, wo man auch gut einen Kaffee trinken kann. Dennoch: Die Krypta mit ihren ältesten Teilen aus dem Jahre 1085 und die astronomische Uhr aus dem 15. Jahrhundert sind sehenswerte Highlights im Dom, auf die die Bewohner stolz sind – und auf weitere Errungenschaften, alle "Made in Lund": von der Sonographie über die erste brauchbare künstliche Niere, die in den 50erJahren am Lehrstuhl für Nephrologie an der Uni entwickelt worden ist, bis hin zum gegenwärtig beliebten Hövding Airbag-Helm für Fahrradfahrer, der aus der Masterarbeit zwei Studentinnen für Industriedesign ebenfalls an der Uni hervorging.

Die Stadt gibt sich zukunftsorientiert, darüber täuschen auch nicht die vielen kleinen, alten Gebäude hinweg, ebenso die efeuumrankte Universitätsbibliothek. Welche harmonische Verbindung alt und neu miteinander eingehen können, zeigen die renovierten Saluhallen. Die 1909 eröffnete Markthalle gilt heute auch als kulinarischer Treffpunkt.

Wer sich auf eine Zeitreise durch Schwedens baugeschichtliche Vergangenheit begeben möchte, kann sich die Kulturen ansehen. Das Freilichtmuseum versammelt auf engsten Raum mehr als 20 Gebäude Schwedens, vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert.

Mich hat dagegen das Skissernas Museum überrascht, ein 1934 von einem Professor für Kunstgeschichte gegründetes Museum. Es legt den Schwerpunkt auf die Darstellung des kreativen Prozesses von Kunstwerken, von der Idee und Skizze bis zum fertigen Werk, sei es bei einem Wandgemälde oder einer Skulptur im öffentlichen Raum. In dem Haus mit seinen vielen Anbauten, die jetzt zur Uni Lund gehören, sind auch viele Werke des Mexikaners Diego Rivera und von Christo und Jeanne-Claude zu sehen.

Auf meinem Weiterweg in den Südosten von Skåne lege ich eine Pause auf einem Berg mit einer Übernachtungsmöglichkeit ein, nicht in irgendeiner Lodge, sondern in "The Lodge". Aus dem einst zünftigen Ausflugslokal auf dem Romeleåsen ist jetzt ein Hotelbetrieb mit Spa und Gourmetrestaurant geworden. Sven Strempel beweist mit seiner Kochkunst, dass inzwischen auf hohem Niveau auch in Schweden aufgetischt wird: ein Vier-Gänge-Menü mit begleitenden Weinen oder Fruchtsäften der Region.

Elchkopf in The Lodge
The Lodge: Im schwedischen Stil ist das Restaurant eingerichtet, die Zimmer des Hotels im Neuengland-Stil.
© Till Bartels

Trügerische Idylle in Ystad

Eine Dreiviertelstunde dauert die Fahrt bis nach Ystad, eine Kleinstadt mit bunt angestrichen Holz- und Fachwerkbauten, Rosensträuchern, soliden Gründerzeithäusern, verwinkelten Kopfsteinpflastergassen und einer ausgedehnten Fußgängerzone. Ystad wirkt solide, wie viele andere Orten in Schweden, weil das Land von zwei Weltkriegen verschont wurde. Städtebauliche Schandflecken aus den 50er und 60er Jahren sind eher selten.

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© Carolina Romare

Auf Wallanders Spuren in Ystad

Zahlreiche Filme mit Kommissar Wallander wurden in Skane gedreht. Hier in Ystad kann man auf den Spuren Wallanders nebenbei noch viele weitere Highlights der Stadt erkunden.
Hier erfahren Sie mehr.

Doch hinter der Fassade des heilen Stadtbildes existiert auch eine andere Welt: die des Verbrechens, wenn auch nur in den Köpfen vieler Besucher. Denn dem Schriftsteller Henning Mankell dient Ystad in seinen Büchern als zentraler Tatort. Hier schiebt Polizeikommissar Kurt Wallander seinen Dienst. In den Verfilmungen seiner Krimis wurde Ystad auch zur Kulisse: 44 Wallander-Filme wurden in Skåne gedreht, eine Tatsache, die Krimileser und Fernsehzuschauer gerade aus dem deutschsprachigen Europa hierher verschlägt. Inzwischen wurden seine Werke in mehr als 40 Sprachen übersetzt und sind mehr als 40 Millionen Bücher verkauft.

Die Fans knipsen ihre Selfies vor der grünen Tür des Hauses mit der Nummer 11c in der eigentlich unspektakulären Mariagatan. In den Filmen wohnt hier die Hauptfigur. In Wallanders Lieblingscafé, der Fridolfs Konditori, gibt es Zimtschnecken und "Wallanderbakelse", giftig-blaue und völlig überzuckerte Punschschnitten.

Im Continental du Sud, einem modernisierten Hotel von 1829 und das beste am Platz, tafelte der Kommissar gerne und dort spielt das Buch "Mittsommermord". "Hinten rechts in der Fensterecke steht sein Tisch", erzählt mir die Bedienung. In den Büchern speiste er dort häufiger mit einer Tochter Linda. Alle Straßennamen in den Büchern existieren auch in der Wirklichkeit.

Was macht Wallander so populär? Dabei ist er kein schillernder Sherlock, eher ein griesgrämiger Anti-Held und nur selten gut drauf. Vielleicht finden sich viele von uns in seinen Eigenschaften wieder: Er kann nicht gut schlafen, treibt keinen Sport, macht häufig Überstunden und schlürft gerne mal einen Whisky. "Er sehnt sich manchmal fort von all dem Elend, wie wir alle es ab und zu tun", sagte Mankell über seinen Protagonisten. Wallander ist einfach menschlich und nahbar.

Henning Mankell, der Autor der zwölfteiligen Romanreihe, verstarb 2015 an einem Krebsleiden im Alter von 67 Jahren. In dritter Ehe war er mit Eva Bergman verheiratet, der zweiten Tochter des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman.

Ystad liegt bereits am Wasser

Von hier aus legen die Fähren nach Bornholm und Swinemünde in Polen ab. Und die Küste wird immer schöner und einsamer, je weiter man nach Osten fährt. Die Kiefernwälder reichen bis an Meer.

Ein Fahrradweg führt parallel zur Küste. Ich biege in den Hackspettsvägen ein. Statt der Klippen aus Urgestein wie an der Westküste stapfe ich barfuß durch feinsten Dünensand. Vereinzelt liegen an diesem Sommertag Lesende am Strand, picknicken Familien auf Decken, tummeln sich Menschen und Hunde in der Ostsee. Eine Stimmung wie in Mecklenburg-Vorpommern, nur alles viel einsamer.

Ich möchte aber noch weiter zu zwei besonderen Orten an der Küste bei Kåseberga. Nach Ales Stenar. Autos müssen weit vor dem Ort geparkt werden. Die höchste Erhebung auf einer Graskuppe ist nur zu Fuß zu erreichen. Nach 20 Minuten Weg ragen 59 übermannshohe Steine in den Himmel, in Form eines Schiffs von fast 70 Metern Länge.

Ales Stenar
Grüner Landrücken über dem Meer: Die Schiffssetzung Ales Stenar mit ihren 59 Steinen enrstand vermutlich zwischen 500 und 1000 n. Chr.
© Till Bartels

Wann und zu welchem Zweck die Granitblöcke von Menschenhand errichtet worden sind, bleibt bis heute ungeklärt. Die sogenannte Schiffssetzung könnte eine Begräbnisstätte, ein Versammlungsort oder eine gigantische Sonnenuhr sein. Untersuchungen haben ergeben, dass die Anlage zwischen 500 und 1000 n. Chr. gebaut wurde. Die Mittellinie des Schiffes mit den bis zu fünf Tonnen schweren Steinen zeigt allerdings auf genau jenen Punkt am Horizont, an dem die Sonne bei der Winter- und Sommersonnenwende aufgeht.

Auch Kofi Annan war schon hier: Backåkra

Nur eine Viertelstunde weiter steht ein einsames Gehöft in Meeresnähe unter schützenden Bäumen und zwei Schwedenfahnen. Auf dem Bauernhof aus dem Jahre 1840 wollte sich eigentlich Dag Hammarskjöld (1905–1961) zur Ruhe setzen. Der schwedische Diplomat und ab 1953 zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen hatte sich den verfallenen Fachwerkhof Backåkra zunächst als Sommersitz gekauft.

Doch kam Hammarskjöld 1961 bei einem Flugzeugabsturz im Norden Rhodesiens ums Leben. Bis heute sind die Umstände des Unglücks ungeklärt. Vermutlich wurde das UN-Flugzeug von Katanga-Rebellen aus dem Kongo abgeschossen.

In seinem Testament hatte er den Landsitz für den schwedischen Touristenverband vorgesehen, der ihn der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Erst im Frühjahr 2018 wurde das informative Museum wiedereröffnet. Es beherbergt im Arbeitszimmer den Schreibtisch des Politikers und ein ungewöhnliches Schwarz-Weiß-Foto des Mount Everest, das Hammarskjöld aus einem Flugzeug aufgenommen und in der Zeitschrift "National Geographic" veröffentlicht hatte. Der Naturliebhaber war mit dem Sherpa Tensing Norgay befreundet, der zusammen mit Edmund Hillary 1953 nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt den Mount Everest bestieg. Dabei trug Tensing Norgay auch einen UN-Wimpel mit zum Gipfel. Später schenkte er Hammarskjöld seinen Eispickel, der nun in Backåkra hinter Glas zu sehen ist.  Der Ausstellung vorangestellt ist sein Lebensmotto: "Schaue niemals vor dir auf den Boden, bevor du den nächsten Schritt unternimmst: Nur wer mit seinem Auge zum fernen Horizont blickt, wird den richtigen Weg finden."

Heute treffen sich UN-Delegationen auf dem Gehöft, um fernab des New Yorker Trubels im Geiste des Vermittlers, dem nach seinem Tod posthum der Friedensnobelpreis 1961 verliehen wurde, weltpolitische Probleme anzugehen – hier inmitten des Naturschutzgebietes Hagestad.

Mit Karin Erlandsson, die das Stiftungs-Anwesen seit Jahrzehnten betreut, unternehme ich einen Spaziergang in Richtung Meer, zum "Meditationsplatz", wie sie einen aus Steinen eingegrenzten Platz auf einer Wiese bezeichnet. In der Mitte des Kreises liegt ein Findling mit drei großen Buchstaben: PAX.

"Dieser Ort ist nicht nur für Trauungen beliebt", erzählt sie. "Wir hatten hier auch schon UN-Leute, die vor den Leadership-Konferenzen frühmorgens mit ihren Yoga-Matten herkamen. Die waren 500 Prozent glücklich."

Am Südkap Schwedens: Smygehuk

Auf meinem Rückweg in Richtung Westen, nach Trelleborg, wechselt das Landschaftsbild. Die Straße schlängelt sich an der Küste entlang, windet sich landeinwärts über Kuppen mit weiteren Gehöften und Windmühlen. Zwischendurch Kuhweiden, gelb blühende Rapsfelder im Frühsommer und orangene Kürbisse, die wie Fußbälle auf den Feldern im Spätsommer leuchten.

Smygehuk
Smygehuk: An Schwedens südlichstem Punkt
© Till Bartels

Eine letzte Rast lege ich beim unscheinbaren Flecken Smygehuk ein, der nur aus wenigen Häusern, einem Hostel, einer Fischräucherei und einem Hafen besteht. Ich laufe die Straße bis zum Wasser, wo die Brandungswellen der Ostsee von einem Strand mit faustgroßen Feuersteinen gebrochen werden.

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© Apelöga

Endlose Sandstrände in Südschweden

Im Südwesten von Skane findet man endlose Sandstrände und faszinierende Dünenlandschaften. Das Wasser ist kristallklar und der Sand weich und weiß. Weitere Infos erhalten Sie hier.

Eine in den Boden eingelassene Rosette besagt, dass hier "Sveriges sydligaste udde" liegt, Schwedens südlichster Punkt. Von diesem Südkap sind es 510 Kilometer bis Stockholm und nur 314 Kilometer Luftlinie bis Berlin. Für Henning Mankell "hört Schweden hier auf", sagte er einmal. "Und hier fängt es an, je nachdem, von wo man kommt."


Veröffentlicht am 27. Dezember 2019