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WM in Schweden und Polen Genie oder Wahnsinniger? Auf Juri Knorr ruhen die deutschen Handball-Hoffnungen

Juri Knorr
Überragte beim deutschen Testspielsieg gegen Island: Spielmacher Juri Knorr
© Martin Rose / Getty Images
Wer braucht schon Fußball und Katar? Oldschool Sportfans gucken dieser Tage lieber die Handball-WM. Auch wenn es zuletzt nie zum großen Wurf gereicht hat: Das deutsche Team macht Spaß. Und dank Spielmacher Juri Knorr könnte in diesem Jahr vielleicht mal was gehen.

Pünktlich jedes Jahr im Januar, taucht sie auf die Handball-Welle in Deutschland. Sie fängt klein an, mit dem ersten Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei einem großen Turnier. WM oder EM, die pünktlich zu Jahresbeginn im turnusgemäßen Wechsel stattfinden.

Und baut sich mit jedem weiteren Turnierspiel weiter auf. Plötzlich sitzen Menschen vorm Fernseher, die sonst mit Handball nicht viel am Hut haben, und bemerken, was das eigentlich für ein faszinierender Sport ist. Dynamisch, spannend, temporeich. Voller taktischer Winkelzüge und Trickwürfe, die der Physik zu trotzen scheinen. Dazu Sportler, die bei aller Härte fair miteinander umgehen, in Interviews sagen, was Sache ist, und dabei nahbar und kreuzsympathisch rüberkommen.

Es könnte alles so schön sein mit dem deutschen Handball – wenn, ja wenn der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren auf ihrem Weg an die Spitze nicht immer wieder die Luft ausgegangen wäre. In den entscheidenden Spielen versagten dem DHB-Team zuletzt allzu oft die Nerven. Der letzte Titel gelang 2016 bei der Europameisterschaft in Polen, in den vergangenen beiden Jahren reichte es zu Platz 7 (EM) und Platz 12 (WM).

Handball-WM startet in Schweden und Polen

Nun steht wieder eine Weltmeisterschaft an, in Polen und Schweden (11. bis 29. Januar) – und das DHB-Team schickt sich erneut an, zum TV-Liebling zu werden. Die Gegner in der Vorrunde heißen Katar (Freitag, 13. 1., 18 Uhr), Serbien (Sonntag, 15.1., 18 Uhr) und Algerien (Dienstag, 17.1., 18. Uhr). 

Nach sieben mauen Turnierauftritten gibt es keine flotten Sprüche und auch keine markigen Kampfansagen. Ziel ist es, die Leistung konstant auf die Platte zu bringen. "Es wäre schön, wenn wir den Fans eine Medaille schenken könnten. Wir sind aber nicht in der Position, das als Ziel auszugeben, denn wir gehören nicht zu den Favoriten. Wir dürfen nicht träumen, sondern müssen realistisch bleiben", sagt Bundestrainer Alfred Gislason, 63, zu Beginn des Turniers.

Der Isländer hat das Amt 2020 vom glücklosen Christian Prokop übernommen. Der Titelsammler (u.a. drei Champions League Siege) war die Wunschlösung des Deutschen Handball Bunds (DHB), um aus dem Kader bis zur Heim-EM einen Titelkandidaten zu formen. Das mäßige Abschneiden in den vergangenen zwei Jahren hat seinem Renommee noch nichts anhaben können, da beide Turniere von der Corona-Pandemie bestimmt waren. Aber so langsam sollte Gislason anfangen zu liefern.

Was möglich ist, aber auch was drohen könnte, haben die letzten beide Härtetests in der Vorbereitung gegen Island gezeigt. Wie so oft war das Potenzial des deutschen Teams erkennbar, aber es kam auch immer wieder zu unerklärlichen Aussetzern, hektischen Abschlüssen und leichten Ballverlusten. Immerhin: Insbesondere die erste Sieben mit Torhüter Andreas Wolff, Kreisläufer und Kapitän Johannes Golla, Mittelmann Juri Knorr, den Außen Lukas Mertens und Patrick Groetzki sowie den Rückraumspielern Julian Köster und Kai Häffner scheint inzwischen turnierstabil.

Dahinter tun sich allerdings ein paar Lücken auf, wie Gislason selbst zugibt: "Der erste Anzug sitzt. Der zweite noch nicht." Wobei offen bleibt, ob der Trainerfuchs damit nicht nur den Ehrgeiz seiner Hinterbänkler anstacheln will, die wie etwa Paul Drux und Jannik Kohlbacher allesamt in der Bundesliga zu den Säulen ihrer Vereine zählen.

Spielmacher Juri Knorr ist der deutsche Hoffnungsträger

Insbesondere auf einen dürfte sich in den WM-Tagen das Augenmerk der deutschen Handball-Fans richten: Juri Knorr, gerade mal 22 Jahre alt und der große Hoffnungsträger des Teams. Im Alter von 20 Jahren debütierte der Sohn des ehemaligen Nationalspielers Thomas Knorr im Nationalteam, 2021 war er bei der WM in Ägypten und bei Olympia in Tokio dabei.

An guten Tagen kann der Spielmacher der Rhein-Neckar-Löwen den Unterschied machen. Knorr ist ein selbstbewusster Instinkthandballer, sein Spiel schwankt allerdings noch oft zwischen Genie und Wahnsinn. Überraschende Würfe, freche Anspiele an den Kreis, mutige Eins-zu-Eins-Duelle – Knorrs Repertoire ist gewaltig. Seine Fehlerquote mitunter allerdings auch. Dann spielt er fahrig, unkonzentriert, trifft manchmal die falschen Entscheidungen.

So wie im ersten Spiel gegen Island, wo ihn Trainer Gislason in der TV-Öffentlichkeit harsch kritisierte: "Er macht ein Riesenspiel. Aber nur vierzig Minuten lang." Zuletzt ließen viele Unkonzentriertheiten einen Sechs-Tore-Vorsprung schmelzen und führten zu einer unglücklichen 31:30 Niederlage, wie sie die Deutschen zuletzt so oft in Partien gegen große Handball-Nationen erlitten hatten. Knorr habe dabei "sehr, sehr viele Fehler gemacht", monierte Gislason, Fehler, die gerade bei einer WM "unglaublich teuer" werden können.

Fehler, die teuer werden können

Der so Gescholtene kennt das schon. "Ich weiß nicht, woran es liegt, aber die Diskussionen um mich begleiten mich seit Jugendzeiten. Es war teilweise schon ein Auf und Ab. Ich wurde hochgejubelt und dann wieder kritisiert", sagt Knorr.

Speziell im vergangenen Jahr schlug die Diskussion um ihn hohe Wellen, weil er als Ungeimpfter freiwillig auf die EM verzichtete. Knorr war irritiert, fühlte sich getroffen und ungerecht beurteilt. In diesem Jahr spielt sein Impfstatus keine Rolle. An der WM dürfen auch Genesene und Getestete teilnehmen.

Das Positive: Knorr scheint der Kritik und dem Druck inzwischen standzuhalten. Im zweiten Spiel legte er los, als ob es die Trainerschelte vom Tag zuvor nie gegeben hätte und brachte sein Potenzial über volle 60 Minuten zum Leuchten. Er war mit 13 Toren Deutschlands treffsicherster Schütze, verwandelte dabei acht Siebenmeter und spielte sich zeitweise in einen regelrechten Flow.

Eine Leistung, die die Deutschen in den nächsten Tagen auch in Polen und Schweden abrufen wollen. Worauf es dabei ankommt, hat Taktgeber Juri Knorr schon mal formuliert: "Wir müssen eine Mannschaft sein – und das nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf der Platte. Das wird unsere Aufgabe sein." Das dürfte auch der Bundestrainer so unterschreiben. Eine konkrete Platzierung mag Gislason dabei nicht als Ziel ausgeben: " Ich hoffe, dass wir Ende Januar sagen können, wir haben ein richtig gutes Turnier gespielt, und dass wir unabhängig von der Platzierung stolz auf unsere Leistung sein können."

Quellen: DPA, Süddeutsche Zeitung, FAS

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