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Probleme mit Corona-Hilfen Behördenchaos und ausbleibende Zahlungen: Kinos im Überlebenskampf

Anja und Meinolf Thies in ihrem Kino. Zuschauer dürfen nicht rein – und auf einen Teil der Hilfsgelder warten sie vergebens
Anja und Meinolf Thies in ihrem Kino. Zuschauer dürfen nicht rein – und auf einen Teil der Hilfsgelder warten sie vergebens
© dominik asbach
Corona-Hilfen sollten Unternehmen retten. Doch das Beispiel der Kinobetreiber Anja und Meinolf Thies zeigt: Es hakt. Ihnen gehen Geduld und Geld aus.

Es könnte losgehen. Die Projektionslampe wirft ein Lichtbündel in Saal 1 der "Hall of Fame" in Kamp-Lintfort, den größten der sieben Säle des Kinos in der kleinen Stadt am Ruhrgebietsrand. Doch auch wenn es so aussehen mag – hier geht nichts los. Es ist nur ein Akt der Routine, dass der Kinoleiter zweimal die Woche herkommt, alle Wasserhähne aufdreht und einmal die Woche auch den Projektor hochfährt, "damit der Server nicht sein Gedächtnis verliert", wie der Betreiber Meinolf Thies erklärt. Nein, das Kino bleibt auch an diesem Tag leer. Und morgen und übermorgen auch. Wie fast das ganze vergangene Jahr.

Ein leeres Kino ist immer ein Versprechen. Die Hoffnung auf eine Geschichte, die berührt und etwas erzählt über die Welt. Doch im "Hall of Fame" spielen im zweiten Corona-Frühling die Dramen nur in Behördenschreiben, Faxen und Mails, in den Dokumenten eines Kampfes um staatliche Corona-Hilfen – und damit um die Chance zum Überleben. Denn das war ja das große Versprechen, als die Pandemie losging: Viele müssen schließen, aber allen wird geholfen. Damit es, wenn alles vorbei ist, noch Cafés gibt, noch Läden, noch Orte für Kultur; damit die Unternehmen und ihre Beschäftigten eine Zukunft haben. Die Schlussrechnung aber – wer hat tatsächlich überlebt, wer nicht – ist noch lange nicht gemacht. Aber schon jetzt kann man sehen, dass das Versprechen an vielen Orten mit Enttäuschung endet. Viele Firmen, die Hilfen brauchten und wollten, sind an den Rand ihrer Existenz gedrängt worden – und einige auch darüber hinaus.

Am Fall von Meinolf Thies kann man sehen, was sich im Kleinen abspielt: Wie der Frust wächst und wie womöglich auch die Erschöpfung aller Beteiligten verhindert, dass Fehler korrigiert werden. Wie ein Gefühl von Willkür entsteht, das es in einem Rechtsstaat eigentlich nicht geben sollte. Und dass all das nicht am Geld liegt. Denn die rohen Zahlen aus dem Bundeswirtschaftsministerium lesen sich ja sogar verhältnismäßig gut: Im aktuellen Hilfsprogramm namens "Überbrückungshilfe III", das seit Februar läuft, seien immerhin bereits 9,4 Milliarden Euro an die Unternehmen überwiesen worden und damit knapp 60 Prozent der beantragten Summen.

Aber Meinolf Thies, seine Frau Anja und die Kinos, die sie gemeinsam betreiben – sie warten noch auf das Geld, mit dem sie Rechnungen aus dem vergangenen Herbst hätten zahlen müssen. Interne Mails und Dokumente aus ihren Antragsverfahren, die dem stern vorliegen, zeigen, was ihnen widerfahren ist – und warum es nicht so leicht ist, eine ganze Volkswirtschaft zu retten, wenn es dabei nach Recht und Gesetz zugehen soll.

Die Soforthilfe ist schnell aufgebraucht

Die Geschichte beginnt an einem Tag im Frühjahr 2020. Meinolf Thies – wie seine Frau glühender Schalke-Fan und mit ihr bei jedem Heimspiel im Stadion – ist mit dem Auto auf dem Weg nach Essen. Außer dem "Hall of Fame" gehören ihm acht weitere Kinos in NRW, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Sie wurden gerade dichtgemacht, um vor diesem neuen Virus zu schützen. Ein Schlag, natürlich. Aber Thies sieht ein, dass etwas geschehen muss, und freut sich über den starken Staat, der verspricht, seine Hand über Unternehmen und Bürger zu halten. Am Steuer denkt der 57-Jährige: "In was für einem tollen Land wir leben."

Sieben Säle hat das Kino in Kamp-Lintfort
Sieben Säle hat das Kino in Kamp-Lintfort
© dominik asbach

Bald danach fließen tatsächlich erste Zahlungen auf die Konten der verschiedenen Kinofirmen. Die Kinos in NRW erhalten etwa jedes 25.000 Euro vom Staat. Soforthilfe. Klingt erst einmal nicht schlecht, aber Thies muss Miete zahlen und Mitarbeiter. Auch Verträge über Strom und Heizung laufen zunächst weiter, die Kreditraten für Aus- und Umbauten. Immerhin, einen Großteil der rund 180 Beschäftigten kann der Kinobetreiber noch im März in Kurzarbeit schicken. Aber die insgesamt rund 50 Studenten, die etwa Eintrittskarten kontrollieren, erhalten kein Kurzarbeitergeld. Sie zahlt der Kinoeigner auf Basis ihrer Stundenlöhne weiter, ebenso wie einige andere Minijobber. So ist die Soforthilfe schnell verbraucht. Und die Überweisungen stocken, obwohl die Regierung Unterstützung versprochen hat.

So bekommt Meinolf Thies’ Bild vom helfenden Staat im Herbst die ersten Risse. Es ist nicht so, dass kein Geld mehr für die Hilfen da ist. Oder dass die Politik sich geändert hätte. Es passiert etwas anderes. Ein juristischer Streit entbrennt darüber, wie Thies’ Geschäfte einzuordnen seien. Genauer: Betreibt der Mann mit seinen Partnern eine Kinokette oder nicht?

Es wird November, bis Thies’ Essener Steuerberater Tarek Eletr endlich einen Mitarbeiter der NBank in Hannover am Telefon hat. Die landeseigene Förderbank ist in Niedersachsen dafür zuständig, Hilfsgelder zu verteilen. Die Anträge von Thies’ Kinopalast am Osnabrücker Hauptbahnhof und seines Kinos in Salzgitter liegen aber seit mehr als drei Monaten ohne jede Rückmeldung bei der NBank. 

Wieder Warteschleife

Für verzweifelte Unternehmer, denen Gläubiger im Nacken sitzen, ist es allerdings nicht einfach, kurz anzurufen und zu fragen, was los ist. Es gibt zwar eine Hotline, aber mit langer Warteschleife. Die Telefonisten sind selbst oft nicht auskunftsbefugt, sie verbinden sich mit dem "Backoffice". Noch mal Warteschleife. Dann vergeben sie eine Ticketnummer. Wieder kann es dauern. Die Thies aber haben keine Zeit, Rechnungen sind aufgelaufen. Verzweifelt pickt Eletr schließlich irgendwelche E-Mail- Adressen der NBank aus dem Internet. Endlich hat er den Sachgebietsleiter dran. Der teilt kühl mit, warum kein Geld kommt: Man betrachte Thies’ Kinos als "Verbundunternehmen". Das habe man auch schon nach NRW gemeldet.

"Verbundunternehmen"? Gemeint ist, dass die Thies eine Art Kinokonzern führen sollen. In solchen Ketten aber darf nicht jeder Teil einen Antrag stellen, so wie es die Kinos der Thies getan haben – sondern nur die Zentrale. Das klingt technisch. Für Thies aber sollte es beinahe tödlich werden. Bis dahin nämlich haben seine einzelnen Kinogesellschaften Geld bekommen, um Löcher zu stopfen. Völlig zu Recht, wie er findet. Denn ein Konzern sei sein Laden nicht. Sechs Häuser betreibt er mit Gattin Anja, drei mit seinem Geschäftspartner Lutz Nennmann. Thies hält nach eigenen Angaben jeweils nur 50 Prozent der Anteile, jedes Kino habe seine eigenen Ticketpreise, seine eigene Biersorte. Nix Konzern.

Jasper Koch, Theaterleiter des Abaton Kinos in Hamburg, steht vor dem Eingang.

Auch Eletr wundert sich. Verbund? Genau danach hatte er doch schon am 20. Juli bei der Hotline gefragt. Er sah zwar keinen Grund, die Kinos der Thies als Kette zu betrachten. Aber ein Steuerberater müsse sichergehen, sagt er. Haftungsfragen. Außerdem seien Behörden sonst schnell mit dem Verdacht bei der Hand, dass man sich Geld erschleichen wolle. Eletr bekam die Ticketnummer 4028 – und wieder keine Auskunft. Er solle doch seine Anträge ruhig erst einmal stellen – einzeln, nicht als Verbund, so das Fazit der Hotline.

Das machte er. Die Behörden aber sind sich offenbar auch später nicht einig. Die Regeln für Verbundunternehmen sind kompliziert, uneindeutig und werden mehrmals präzisiert. Hatten die Politiker nicht versprochen, schnell und unbürokratisch zu helfen? Im Zweifel für die Antragsteller? Die Hilfsprogramme sind hektisch beschlossen worden, für jedes gelten andere Bedingungen. Die genauen Regeln – auch jene für Verbundunternehmen – kamen erst nach und nach dazu, als viele Anträge schon gestellt waren. Außerdem ist die Auszahlung Sache der Verwaltung. Und die, muss Thies lernen, spricht ihren Bürgern gegenüber gern mit einer Stimme. Auch wenn das dauert.

Verwirrung bei Zuständigkeiten

Die internen Unterlagen aus der Verwaltung zeigen, dass die Zuständigen in NRW sich zunächst nicht sicher waren, ob es sich bei den Kinos um ein Verbundunternehmen handelt. Also bewilligten sie das Geld anfangs. Zwischenzeitlich schlug eine Mitarbeiterin der Bezirksregierung Düsseldorf in einer Mail vor, nur eins der Kinos von Thies und seinem Kompagnon auszuzahlen und bei den Kinos des Paars ähnlich vorzugehen: "Was die Gesellschaften des Ehepaars angeht (...) müssen wir intern schauen, wie wir vorgehen – am besten wird ebenfalls nur der Antrag mit der höchsten Fördersumme bestehen bleiben." Einmal schreibt auch eine Mitarbeiterin der Bezirksregierung Arnsberg über einen der Anträge im internen Mailverkehr: "kann abgelehnt werden". So wie es zuvor die NBank in Niedersachsen gemacht hatte, weil die Kinos ein Verbundunternehmen seien. Bloß: "Dies habe ich jetzt nicht überprüft."

"Gemäß der Definition von 'verbundenen Unternehmen' gibt es regelmäßig Grenzfälle, die einer genauen Begutachtung bedürfen", gibt das NRW-Wirtschaftsministerium heute auf stern-Nachfrage zu. Die NBank wird zum Fall Thies konkreter: "Zu dem Schluss, dass es sich nach Ansicht der bewilligenden Stellen um verbundene Unternehmen handelt, sind wir aufgrund der Vorgaben des Bundes zur Prüfung verbundener Unternehmen gekommen." Ironie am Rande: Ob man die Kinos denn nun als Verbundunternehmen betrachten müsse, hatte auch Eletr vom Bundeswirtschaftsministerium wissen wollen. Dort verwies man ihn aber direkt wieder nach NRW: Die seien zuständig. 

Dass mehrere Bundesländer beteiligt sind – und in NRW drei Bezirksregierungen sowie ein Ministerium –, beschleunigt die Sache ohnehin nicht gerade. Die zuständigen Stellen müssen sich verständigen. "Die Länder arbeiten hier nicht nur fachlich, sondern auch rechtlich eng zusammen und entscheiden nicht ohne Abstimmung untereinander", sagt die NBank heute, das Wirtschaftsministerium in NRW lässt sich ähnlich zitieren. Und für die Behördenabstimmung gibt es jede Menge Belege: "Niedersachsen hat den Antrag abgelehnt," schreibt ein Beamter des Wirtschaftsministeriums aus NRW im November den Bezirksregierungen. "Wir sind also wieder auf einer gemeinsamen Linie".

Manchmal kann sie nur noch heulen

Es ist jetzt Spätherbst, und noch haben die Thies Reserven: Ihre Kinos hatten in den vergangenen Jahren ordentlich verdient – und die Eheleute das Geld nicht gleich verpulvert. Zudem haben sie sich zu Beginn der Krise bei der Staatsbank KfW noch einen Kredit über 3,3 Millionen Euro gesichert. Und ihre Vermieter versprechen stillzuhalten, bis endlich die Hilfe ankommt. Aber es wird jeden Tag enger.

Nicht nur, dass keine weiteren Hilfen kommen. Im November fordern die Niedersachsen die bereits geleisteten Hilfen zurück, Anfang Dezember kommt auch ein erster Rücknahmebescheid für die NRW-Kinos in Lünen und Düren. Wie aber sollen Thies und sein Partner dort nun Lücken stopfen? Nur um einmal anschaulich zu machen, wie viel solche Kinos einbringen und kosten können: In guten Monaten kommen in zwei Kinos (Solingen und Düren) über eine Million Euro rein. Allein die Miete schlägt mit rund 80.000 Euro zu Buche. Pro Monat kalkulieren die Betreiber hier mit insgesamt weiterlaufende Fixkosten von bis zu gut 340.000 Euro. Nun wollen die Behörden ihr Geld wiederhaben – als hätten die Kinobetreiber das auf irgendwelchen Konten geparkt. Wäre das alles ein Film, wäre dies nun der Moment, in dem jede Hoffnung verschwunden ist.

Unterlagen, Anträge, Klageschriften: aber lange Zeit kein Zahlungseingang vom Amt
Unterlagen, Anträge, Klageschriften: aber lange Zeit kein Zahlungseingang vom Amt
© dominik asbach

Die Thies sitzen zu Hause, ringen mit den Zahlen und den Behörden, und die Laune wird jeden Tag fragiler, wie sie berichten. Manchmal behält der Kampfgeist die Oberhand. Manchmal kann Anja Thies nur noch heulen. Tatsächlich beginnt auch Meinolf Thies an seinem Land zu zweifeln. Am Anfang war er überzeugt, dass der Staat seine Anliegen fair und offen prüft. Doch wenn der Ministeriumsbeamte etwa im internen Mailverkehr auf den Steuerberater zu sprechen kommt, klingt das Ende November so: "Möchten Sie dem Steuerberater vorab mitteilen, dass ein Widerspruch unstatthaft ist", schreibt er an die Bezirksregierung – "… oder lassen wir ihn einfach machen?" Anscheinend will die Verwaltung den Bürger schmoren lassen.

Dabei ist das genau das Problem: Die Entscheidung, das Geld zurückzufordern, ist eine Katastrophe für die Thies. Bloß kann man in NRW nicht einfach Widerspruch gegen Ämterentscheidungen einlegen, wie es in anderen Bundesländern üblich ist. Gibt es Streit oder auch nur Zweifel an einer Entscheidung, bleibt der betroffenen Firma nur die Klage vor dem Verwaltungsgericht. Aber das ist teuer und kann sehr lange dauern – 1,7 Jahre im Schnitt, sagen Juristen. Für ein Unternehmen, dem das Geld ausgeht, kaum machbar. Und die Thies brauchen dringend einen Verwaltungsrechtler, wenn sie ihre Chance auf das Hilfsgeld wahren wollen.

Vor Gericht

Im Winter heuern sie also einen Anwalt an, Daniel Thal. Der hat für die Thies heute fünf Klagen laufen – über die sie, dank der Gerichtsakten, auch an die internen Behördenunterlagen kommen. Aber natürlich werden auch die Prozesse wieder teuer. Vor Gericht müssen sie jeweils fast 4.000 Euro vorstrecken, der Anwalt selbst will auch bezahlt werden. Und bei den Gerichten liegen dazu schon Tausende Klagen gegen Corona-Ausgangssperren oder Geburtstagsfeierverbote. Bis die Thies dran sind, kann ihnen der Atem ausgegangen sein.

Dazu kommt, dass die Corona-Hilfen so genannte Billigkeitsentscheidungen sind – also eine Art Gnadenakt des Staates, ohne Gesetzesgrundlage und verbriefte Regeln. Sich hier juristisch zu wehren ist schwierig. "Dass Behörden Verbundunternehmen vermuten, führt immer wieder zu Problemen, weil es viele Grenzfälle gibt", berichtet der Kieler Verwaltungsrechtler Fiete Kalscheuer, der dieser Tage viel mit Corona-Hilfen zu tun hat. Der Gesetzgeber hätte Hilfen beschließen müssen, auf die es einen Anspruch gibt, sagt der Jurist. 

Sicher: Wenn Millionen darben, fühlt sich immer einer ungerecht behandelt. Zweifellos: Bei einer Krise dieser Größe sind ein bisschen Behördenchaos, Irrtümer und Verzögerungen unvermeidlich. Und schließlich: Es ist gut und nötig, dass Beamte gründlich hinschauen, damit sich keiner die Taschen vollmacht. Ist der Fall der Thies-Kinos also eine unglückliche und unwahrscheinliche Ausnahme? Wohl nicht. Verbände, Verwaltungsrechtler und Betreiber etwa von Hotelketten berichten, dass andere ähnliche Probleme haben.

Oft gerieten Betriebe gar in den Verdacht des Subventionsbetrugs, sagt Kalscheuer: "Dieses Damoklesschwert hängt immer über ihnen." Das wollten auch die Thies und ihr Steuerberater unbedingt vermeiden. Seit November haben sie in jeden Hilfeantrag geschrieben, dass nicht klar sei, ob die Kinos ein Verbund seien oder nicht. Und sie stellten auch Anträge für den Verbund, den die Behörden vermuteten. Egal, dachte Thies: Als Verbundunternehmen erhielte er zwar weniger Hilfen – aber es käme endlich einmal etwas für die Zeit, bis die Sache vor Gericht geklärt wäre.

Es kommt bloß nichts.

Ewiges Hin und Her

Es ist Mai, und Meinolf Thies klingt resigniert: "Nichts hilft!" Zuletzt hat er es Anfang des Monats versucht, rief die zuständige Regierungspräsidentin in Düsseldorf an, wurde zu einer Mitarbeiterin durchgestellt. "Arbeitsüberlastung", so habe sie um Verständnis gebeten. Thies hat keins. Und kündigte eine "Untätigkeitsklage" gegen die Beamtin an.

Insgesamt hätten Thies’ Betriebe nach eigenen Berechnungen Anspruch auf 8,6 Millionen Euro. Als Verbund seien es 2,5 Millionen weniger, also gut 6 Millionen. Geflossen seien bis Anfang Mai aber nur 2,4 Millionen. Auch das klingt nicht nach ganz wenig. Aber die Thies-Kinos hatten 2019 rund 20 Millionen Euro Umsatz. Und die Gewinnmargen im Kinogeschäft sind dünn. Das heißt, das allermeiste von diesem Umsatz wurde gebraucht, um Kosten zu decken. Kosten, die auch im Lockdown weiterlaufen und die der Staat zu 90 Prozent auszugleichen versprochen hat.

Im Foyer steht eine große Oscar-Figur, der die Kinobesitzer ein trotziges Schild um den Hals gehängt haben
Im Foyer steht eine große Oscar-Figur, der die Kinobesitzer ein trotziges Schild um den Hals gehängt haben
© dominik asbach

Durch das Hin und Her geht den Kinos weiteres Geld durch die Lappen. Niedersachsen hat – wie andere Länder – ein Sonderprogramm aufgelegt, um Kinos zu stützen, die ja von der Pandemie besonders betroffen sind. Um aber die 50.000 Euro pro Kino zu erhalten, hätte Thies bis Ende März einen gültigen Bescheid über die sogenannte Überbrückungshilfe II vorzeigen müssen. Der fehlt wegen der Querelen.

Warum aber zahlen die NRW-Behörden nicht wenigstens das Geld, über das es gar keinen Streit gibt? Ein Ministeriumssprecher bedauert, "zu konkreten Einzelfällen" könne er sich "nicht äußern". Aber er zeigt sich sehr zufrieden mit dem Fortgang und spricht von "einer Bewilligungsquote von 77 Prozent in etwa fünf Wochen".

Auffällig ist, dass sich – wie die Unterlagen zeigen – immer wieder Mitarbeiter der Unternehmensberatung PwC in die Entscheidung einmischen. So meldet sich im Januar ein PwC-Mann per Mail bei der Bezirksregierung Arnsberg zu einem der Kino-Anträge. "Es dürfte sich m.E. um dasselbe Unternehmen handeln", schreibt er und kündigt an, den Antrag zur Ablehnung zu empfehlen. Tatsächlich hat die Landesregierung im Dezember PwC engagiert, um die überlasteten Bezirksregierungen beim Prüfen der Anträge zu unterstützen, wie es heißt. Vorher mussten zeitweise selbst ein Chauffeur einer Regierungspräsidentin schon mal 150 Anträge am Tag entscheiden. 5,6 Millionen Euro erhält PwC für den Dienst.

"Von einem Happy End sind wir weit entfernt"

Anja und Meinolf Thies stehen nun in ihrem großen Kinosaal und bemühen sich um eine kämpferische Haltung. "Wir wollen uns trotz allem nicht weinerlich zeigen," sagt Anja Thies. Aber die Verzweiflung schimmert immer wieder durch. "Das Gefühl ist: Man kann schwimmen und treten, und es passiert nichts", sagt sie.

Weitermachen, durchhalten, nicht aufgeben, das ist ihnen zum Ziel geworden. Später im Mai kommt tatsächlich Bewegung in die Sache. Die Dame aus der Bezirksregierung nimmt offenbar die Drohung ernst, verspricht, sich zu kümmern. 1,4 Millionen Euro Überbrückungshilfe III landen auf den Konten. Auch die vorherige Hilfe – Geld für den letzten Sommer – soll jetzt endlich kommen. Leider hat die Behörde den eigentlich berechtigten Antrag aber schon irrtümlich abgelehnt. Ob man einen anderen Antrag "umwidmen" dürfte, fragt sie nun. Nun werden die Verantwortlichen doch pragmatisch. Thies lässt sich darauf ein. "Aber von einem Happy End sind wir weit entfernt", sagt er. 1,8 Millionen fehlen noch. Oder 4,3 Millionen, falls die Gerichte ihm recht geben.

Wenigstens werden sie weiterkämpfen. Jetzt kümmert sich Thies um Getränke, Geräte und darum, dass die Leute im Juli wieder reinkommen. "Wir haben so viel zu spielen", sagt er. Sie werden im Juli um elf Uhr anfangen und bis spät in der Nacht Filme zeigen, "für die ausgehungerte Bevölkerung da draußen". Sie werden überlebt haben. Irgendwie.

Übersicht: Die Corona-Hilfen

• KfW-Kredite Die staatseigene Förderbank KfW gewährte besonders zu Beginn der Corona-Krise Schnellkredite und Sonderkredite an bedürftige Unternehmen. Das Kreditprogramm wurde jetzt bis Ende 2021 verlängert.

• November-/Dezemberhilfen erhalten direkt vom Lockdown Ende 2020 betroffene Unternehmen. Sie bekommen 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat ersetzt.

• Überbrückungshilfe I und II Wer im April/Mai 2020 mindestens 60 Prozent Umsatzeinbußen wegen des Lockdowns hatte, durfte die Überbrückungshilfe I beantragen. Die Überbrückungshilfe II galt für Ausfälle von Juni bis August und hatte etwas niedrigere Schwellen. Es wurden bis zu 90 Prozent der Fixkosten der Unternehmen ersetzt.

• Überbrückungshilfe III ab November 2020 bis Juni 2021, Verlängerung bis Jahresende geplant. Hier werden bis zu 100 Prozent der Fixkosten ersetzt, maximal 1,5 Millionen Euro pro Monat. Zusätzlich erhalten besonders betroffene Firmen Eigenkapitalzuschüsse.

Erschienen in stern 24/2021

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