Liebe Frau Struss,
Karriere zu machen und dafür Anerkennung zu erhalten, war mir schon immer wichtig. Inzwischen arbeite ich in hoher Position bei einer Beratungsfirma. Meine Arbeitsergebnisse sind gut, die Rückmeldungen positiv. Meine Kunden sind sehr zufrieden und empfehlen mich oft weiter. Ich höre sogar öfter, dass ich sehr charmant sei. Trotzdem zweifle ich an meinen Fähigkeiten und habe ich manchmal das Gefühl, meine Kunden und Kollegen würden irgendwann merken, dass ich eigentlich gar nichts kann. Dass alles nur Fake und Schaumschlägerei ist. An meinen Job bin ich ehrlich gesagt durch Kontakte gekommen. Im Bewerbungsgespräch habe ich ganz schön dick aufgetragen. Mein Chef hat das durchschaut – und mich trotzdem eingestellt. Ich habe einfach viel Glück gehabt. Das war schon damals in der Schule so. Ich habe mich immer irgendwie "durchgelabert". Oder im Studium: Während die anderen gerackert haben, habe ich mit wenig Aufwand das Maximum rausgeholt. Zwar hat bisher eigentlich immer alles geklappt, was mir wirklich wichtig war. Aber dennoch begleitet mich jeden Tag die Angst, aufzufliegen, entlarvt zu werden. Was kann ich dagegen tun?"
Mareike P.

Liebe Mareike,
die Zweifel, die Sie plagen, begegnen mir häufiger in der Karriereberatung. Insbesondere in Berufen, die stark auf Feedback ausgerichtet sind. Also zum Beispiel im Marketing und Vertrieb oder auch im Consulting. Sie befinden sich also in guter Angst-Gesellschaft vieler Kollegen – übrigens der weiblichen wie auch der männlichen. Die Skepsis der eigenen Performance gegenüber, kombiniert mit der Furcht, ein wandelnder Fake zu sein, nennt die Fachwelt Impostor-Syndrome, also Hochstapler-Komplex. Dahinter steht im Kern die Frage: Kann meine Arbeit wirklich so gut sein? Und lassen Sie es mich vorwegnehmen: Ja, sie kann!

Auf den ersten Blick wird man Ihnen Ihre Zweifel wahrscheinlich nicht ansehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie einen sehr inspirierenden und positiven Eindruck auf Ihr Umfeld machen. Nicht selten führt diese "Gewinner-Aura" dazu, dass Vorgesetzte und Kollegen Ihre Bedenken nicht ernst nehmen, sondern für Koketterie halten. Nach dem Motto: "Ach, die schon wieder. Am Ende ist doch eh alles gut." Das hilft Ihnen natürlich nicht weiter. Denn Ihre Angst ist faktisch vorhanden und kein affektiertes Gehabe.
Die Angst, ein Hochstapler zu sein
Sie anzuerkennen, ist der erste Schritt. Akzeptanz ist aber keine Legitimation. Nur, weil Ihre Zweifel zu Ihnen gehören, heißt es nicht, dass sie auch begründet sind. Woher die innere Spaßbremse kommt, dafür gibt es unterschiedliche Ansätze. In Ihrem Fall vermute ich, dass Sie in Ihrem Leben bisher viel Zuspruch erfahren haben – von Eltern, Freunden und Vorgesetzten. Ihr Weg zum Erfolg wird verhältnismäßig leicht gewesen sein. Wo andere schwitzen und buckeln mussten, werden Sie durchmarschiert sein. Wie Sie das gemacht haben? Ganz einfach: mit Cleverness. Sie schalten schnell, finden zu jedem Zugang und improvisieren, wenn es darauf ankommt. Kurz: Sie wissen, welche Knöpfe Sie drücken müssen. Und das ist ein besonderes Talent. Ein Naturtalent.
Erfolg ohne Schweiß kann kein Erfolg sein
Nun leben wir in einer Gesellschaft, in der es heißt: Ohne Fleiß keinen Preis! Da Strebsamkeit und Eifer nicht zu Ihren Top-Attributen zählen, kommen Sie sich vor, als hätten Sie es nicht verdient, erfolgreich zu sein. "So einfach kann das doch nicht sein!", ätzt die innere Angststimme. Futter bekommt der Zweifel dadurch, dass Sie eigentlich gar nicht wissen, was Sie zu leisten imstande sind. Wem 80 Prozent zum Erfolg reichen, der kennt die letzten 20 gar nicht. Es gibt also eine große Unbekannte namens "full potential". Was könnte ich können? Wo liegt meine Leistungsgrenze?
Angst vor Kritik als Ursache
Je größer die Lücke, umso größer ist auch die Unsicherheit. Wenn Sie ihr auf den Grund gehen, werden Sie feststellen, dass die Angst, enttarnt zu werden, eigentlich eine Angst vor negativem Feedback ist. Der Hochstapler möchte tief in seinem Inneren einfach nur von allen gemocht werden. Und das wird mit zunehmendem Erfolg schwerer. Deswegen sind es häufig Menschen in leitenden Funktionen, die am Impostor-Syndrome leiden. Dabei ist Kritik weder eine Schande noch ein persönlicher Angriff. Sie ist normal. Und zu bewältigen. Auf zwei Wegen.
Persönliche Erfolge im Beruf feiern
Der erste führt über mehr Selbstvertrauen. Nicht nur in der Ausstrahlung, sondern auch in der Innenschau. Gönnen Sie sich Ihren Erfolg. Glauben Sie an Ihre Leistung. Last minute mäßig zu improvisieren und geschickt an den richtigen Fäden zu ziehen, sind Fähigkeiten, die beispielsweise in der Schule wenig Anerkennung finden. Den Smiley ins Heft bekommen die Streber, nicht die Schlawiner. Lernen Sie, Ihre Gabe anzunehmen und an sich selbst zu glauben. Vertrauen finden Sie als extravertierter, ergebnis- und erfolgsorientierter Typ vor allem durch die Bestätigung aus dem Außen. Deswegen sind Sie in der Branche, in der Sie tätig sind, auch vollkommen richtig. Sie bekommen viel Feedback, das Sie nutzen können. Also Schluss mit Teflon: Lassen Sie warme Worte nicht abperlen, sondern tief einziehen. Als nachhaltigen Schutzfilm.
Ungelebtes Potenzial im Job nutzen
Der zweite Hebel, den Sie umlegen können, ist die Vorbereitung. Entgegen Ihres Naturells empfehle ich Ihnen, bei der nächsten anstehenden Aufgabe gezielt auszutesten, wie es sich auf Ihr Ergebnis auswirkt, wenn Sie nicht aus der Hüfte schießen, sondern sich präzise vorbereiten. So können Sie testen, wie groß die Lücke tatsächlich ist, die sich zwischen abgerufenem und ungelebtem Potenzial ergibt. Wenn man Ihre Cleverness und Ihre Neugier mit dem Faktor Fleiß multipliziert, können Sie noch viel mehr erreichen. Vor allem aber Selbstsicherheit und Vertrauen in Ihre Kompetenzen. Denn die sind wirklich da!
