Utoya

Artikel zu: Utoya

Video: Norwegen gedenkt der Opfer von 2011

Video Norwegen gedenkt der Opfer von 2011

Norwegen hat der Opfer der Anschläge von 2011 gedacht. Vor 10 Jahren hatte der islamfeindliche Rechtsterrorist Anders Behring Breivik durch einen Bombenanschlag in der Hauptstadt Oslo sowie einem Amoklauf auf Utoya 77 Menschen umgebracht. Bei der Zeremonie am Donnerstag waren auch das Kronprinzenpaar Haakon und Mette-Marit, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, sowie die norwegische Premierministerin Erna Solberg zu Gast. Sie hörten den Gesängen und Gedanken der Überlebenden und Angehörigen zu. Der mittlerweile zu 21 Jahren Haft und anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilte Breivik zündete am 22. Juli um 15.25 Uhr eine Autobombe nahe dem Büro des Premierministers. Durch die Explosion kamen acht Menschen ums Leben. Von Oslo aus fuhr der als Polizist getarnte Breivik dann gegen 17 Uhr auf die in einem Binnensee gelegene Insel Utoya über, auf der das alljährliche Zeltlager der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei Norwegens stattfand. Dort rief er die Jugendlichen zusammen, um sie über den Anschlag in Oslo zu informieren, über den die Teilnehmer über Radio mitbekommen hatten. Dann eröffnete er das Feuer. Allein auf der Insel tötete er 69 Menschen. Das Ereignis und die dramatischen Bilder gingen damals um die Welt. 67 der Opfer starben durch Schusswunden, eine Person ertrank, eine weitere starb durch einen Sturz von den Klippen. Die Opfer waren zwischen 14 und 51 Jahre alt. Wenn die Überlebende des Angriffs Astrid Hoem heute über die Insel läuft, erinnert sie sich an den traurigen Tag. Sie hatte überlebt, weil sie sich gut genug vor Breivik versteckte. Mittlerweile kann sie den Menschen von den schockierenden Erlebnissen erzählen: "Eine Person, die in den Rücken geschossen wurde, hielt sich an einem Hang fest, weil es zu steil war. Sie sagte: "Bitte sag meinen Eltern, dass ich sie liebe, weil ich gleich sterben werde". Und dann ist sie von uns gegangen." Hoem sagt, dass sie enttäuscht sei. Enttäuscht, weil sie damals nach den Anschlägen nicht gedacht hätte, dass rechte Bewegungen in Norwegen und Europa binnen zehn Jahren stärker und größer werden würden. Heute ist sie die Chefin der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei Norwegens.
Survivors: Emma Martinovic überlebte das Attentat auf Utøya

Vor 10 Jahren "Schwimm oder stirb": Wie die Norwegerin Emma Martinovic den Terror auf Utøya überlebte

Emma Martinovic: "Bei der Geburt meines zweiten Kindes, meines Sohnes, habe ich zu der Hebamme gesagt ... Und ich erinnere mich, dass ich ihn vor mir gesehen habe. Ich sagte zu ihr: 'Ich kann Breivik sehen.' Die arme Frau wusste nicht, wer ich war und was mir durch den Kopf ging. Ich erinnere mich noch gut an ihren Gesichtsausdruck: 'Okay, was ist mit dir los?’' Später habe ich ihr erklärt, dass ich 2011 auf Utøya dabei war. Ich konnte ihn sehen und das habe ich ihr gesagt. Ich habe keine Ahnung, warum er mir da erschien. Aber kurz vor Ende der Geburt konnte ich ihn deutlich vor mir sehen."
22. Juli 2011:
Ein Mann in Polizeiuniform schießt mit einem Sturmgewehr auf die Teilnehmer eines Sommercamps der norwegischen Arbeiterpartei auf der Insel Utøya. Der Täter, Anders Behring Breivik, ist ein Rechtsextremist. Mehr als 700 Menschen sind auf der Insel, die meisten im Alter zwischen 16 und 22 Jahren. Emma Martinovic leitet eine Delegation auf dem politischen Jugend-Camp. Als im Zeltlager Panik ausbricht, bekommt Martinovic eine SMS von einem Kollegen: "Schwimmt."
Emma Martinovic: "Als ich die Nachricht meines Kollegen gesehen habe, habe ich gedacht, dass es wahrscheinlich keine andere Möglichkeit gibt: schwimm oder stirb. Ich habe zu den Leuten, mit denen ich unterwegs war, gesagt: 'Wir müssen schwimmen.' Einer von ihnen wollte nicht. Er sagte: 'Nein, ich werde hier nicht schwimmen.' Ich erwiderte: 'Du hast keine Wahl.' Als wir anfingen zu schwimmen ... als wir runter zum Wasser kamen, haben wir links von uns 20 weitere Leute gesehen. Wir wussten das nicht, wir dachten wir wären alleine. Durch die vielen Leute, die losschwammen, wurde es sehr laut. Deswegen ... Breivik hatte sich schon von uns abgewandt. Doch wegen des Lärms kam er zurück in unsere Richtung."
Es dauert über eine Stunde, bis eine Spezialeinheit der Polizei eintrifft und den Attentäter festnimmt. Bis dahin hat er 69 Menschen erschossen. Im Regierungsviertel von Oslo hat er zuvor acht Menschen mit einer Bombe getötet. Die norwegischen Behörden zählen 66 Verletzte und 650 körperlich unversehrte Überlebende beider Anschläge. Emma Martinovic überlebt das Attentat auf Utøya mit einem Streifschuss am Arm.
Emma Martinovic: Während ich schwamm, wahrscheinlich war ich gerade auf der Hälfte ... Er stand oben auf der Klippe und schoss aufs Wasser. Einfach so ... wie sagt man das? Wahllos. Ich hatte Glück. Ein Mädchen wurde getroffen und sie ist kurz nach mir losgeschwommen. Sie wurde getroffen und wirklich schwer verletzt. 
Wie hat der Terroranschlag Ihre Sicht auf Norwegen verändert?
Emma Martinovic: "Es hat mir wirklich ein bisschen die Augen geöffnet. Ich habe verstanden, dass wir wirklich ein Problem mit Leuten haben, die jede Menge Hass in die Welt tragen. Die empfinden so viel Wut auf Menschen, die sie noch nie getroffen haben.  Es macht mir Angst, dass es so viele Leute gibt, die Breivik und seine Ideologien unterstützen. Und all die politischen Ansichten, die er vertritt. Ich glaube, dass wir die Liebe vergessen haben, von der nach Utøya so viel die Rede war. Der Hass blüht mehr denn je. Wir haben vergessen, wie wir einander die Hände reichten. Ich sage nicht, dass dies die Antwort auf alles ist. Aber Norwegen hat sich verändert. Es ist ein wenig kälter geworden."
Wie sollte die Gesellschaft mit der Bedrohung durch den Terror umgehen?
Emma Martinovic: "Ich glaube, dass Terror nicht einfach so passiert. Ich denke, dass es etwas gibt, das es erst möglich macht. Wir Menschen müssen herausfinden, was die Ursachen sind. Warum passiert das? Warum glauben so viele Menschen, dass dies der einzige Weg sei, Aufmerksamkeit für ihre Ansichten zu bekommen?"


Was bedeutet die Insel Utøya heute für Sie?


Emma Martinovic: "Es ist ein besonderer Ort. Ein Ursprung von Demokratie und politischem Denken und Liebe. Wo wichtige politische Fragen ans Licht kommen. Es ist nun auch ein Ort, an dem etwas Schreckliches passiert ist. Ein Mann dachte, er könne die Insel töten. Aber das ist ihm nicht gelungen. Wir haben sie uns zurückgeholt. Sie gehört uns."
Emma hat auf Utøya zehn Freunde verloren.
Emma Martinovic: "Der beste Weg, sich an die Toten zu erinnern, ist, dorthin zurückzugehen. Wieder zu singen, wieder zu tanzen und wieder über Politik zu sprechen." 
Die Tochter bosnischer Kriegsflüchtlinge und weiter aktives Mitglied der norwegischen Arbeiterpartei. Mutter zu werden war für Emma Martinovic auch eine Antwort auf Breiviks Tat.
Emma Martinovic: "Die Gene, die ich an meine Kinder weitergebe ... Das sind die Gene, über die er gesprochen hat. Die Gene, die es nicht verdient haben sollen, in Norwegen zu leben. Also, bitte schön: Hier sind noch zwei Migrantenkinder mehr. Noch zwei Menschen mehr mit muslimischen Wurzeln."
Sobald ihre Kinder alt genug sind, will die heute 28-Jährige mit ihnen nach Utøya fahren.
Emma Martinovic: "Sie sollen verstehen, dass die Freiheit, die wir in Norwegen haben, nicht etwas ist, das man im Laden um die Ecke kaufen kann."