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Mögliche Kriegsverbrechen: "Grausamer, härter, unverzeihlicher": stern-Experte über die Folgen von Butscha für den Krieg

Mögliche Kriegsverbrechen "Grausamer, härter, unverzeihlicher": stern-Experte über die Folgen von Butscha für den Krieg

Sehen Sie im Video: "Grausamer, härter, unverzeihlicher" – stern-Experte über die Folgen von Butscha für den Ukraine-Krieg.












Gernot Kramper (stern) So schrecklich diese Bilder sind, sie sind eigentlich nicht überraschend. // Sie werden natürlich auch genutzt, um den Kampfeswillen und den Widerstandswillen der eigenen Soldaten zu steigern. // Insofern ist zu erwarten, dass der Krieg auf dieser Ebene noch grausamer, noch härter und unverzeihlicher wird.


Hendrik Holdmann (stern) Aus der ukrainischen Kleinstadt Butscha verbreiten sich grausame Fotos von getöteten Zivilisten. Die Ukraine bezichtigt Russland der Kriegsverbrechen, sogar des Genozids. Sollten russische Soldaten diese Gräueltaten tatsächlich begangen haben: warum tut man so etwas? Und inwieweit könnte da sogar eine militärische Taktik hinter stecken?


Gernot Kramper (stern) Zuerst muss man einmal sagen: Wir haben diese Toten in dieser Kleinstadt gesehen. Und das sind alles Zivilisten, die Putins Krieg zum Opfer gefallen sind. Jetzt mal ganz unabhängig, wie sie gestorben sind, sie sind alles Kriegsopfer. Es sind unglaubliche Gräuel und man sieht ja die ganzen Toten, wie sie gewaltsam zu Tode gekommen sind. Die nächste Frage ist jetzt: Wie und wann sind sie zu Tode gekommen? Und da muss man sagen: Da muss man sich natürlich mit Ferndiagnosen zurückhalten, weil die Bilder selber erzählen nichts. Fast jeder von uns wird gesehen haben, den toten Mann neben seinem Fahrrad, neben dem der Hund noch sitzt. Ist der jetzt aus der Nähe erschossen worden? Ist eine Mörsergranate auf der Straße explodiert und er ist an einem Schrapnell gestorben? Das sieht man dem Foto ja so erst mal gar nicht an. Es ist immer eine Tragödie, aber es ist natürlich ein großer Unterschied – insbesondere falls die ganzen Autos, die da auch verbrannt sind, Mörser-Beschuss zum Opfer gefallen sind. Warum erwähne ich jetzt Mörser-Beschuss? Nicht weil ich glaube, dass das passiert ist, sondern um nur zu sagen: Naja, wenn die Russen in der Stadt sind und Zivilisten sterben durch Mörser-Beschuss, kann das durchaus auch sein, dass die andere Seite das gewesen ist. Das will ich jetzt aber hier überhaupt nicht unterstellen. Es sind einfach wahnsinnig viele Tote. Und was wir sagen können, kommt mehr auf die Erzählungen an: Welche Story haben wir zu den Toten? Da ist eine Frau, die sagt, ihr Sohn ist erschossen worden vor dem Haus, der Bürgermeister soll erschossen worden sein. Wenn das passiert ist, sind das klare Gräueltaten. Den Fotos selber können wir das jetzt so nicht ansehen. Und da muss man auch warten, bis eine internationale Expertenkommission die Leichen untersucht. Und da muss ich sagen, eine internationale Kommission wird da die Wahrheit herausbringen, weil man kann so etwas nicht faken. Für eine Kamera kann man Tote drapieren. Man kann vielleicht auch jemanden, der an inneren Blutungen gestorben ist, noch mal als Leiche in den Kopf schießen. Und das sieht dann für den Journalisten auch vor Ort alles sehr realistisch aus. Aber das kommt bei einer Forensik immer heraus. Es ist nicht möglich, so etwas zu machen. So schrecklich diese Bilder sind, sie sind eigentlich nicht überraschend. Sie sind deshalb überraschend nur für denjenigen, der nur West-Fotografen verfolgt. Weil dies der erste Ort ist, in dem die Ukraine vorrückt. Wenn man sich die Bilder angesehen hat aus dem Donbass, wo russische Truppen oder diese Truppen dieser Separatisten-Republiken vorrücken, da sehen die Straßen in der Tat ganz ähnlich aus. Die Leichen werden nicht herausgebracht. Da liegen tote Soldaten auf den Straßen, da liegen Zivilisten, die werden von den Hunden und den Tieren angefressen die Leichen. Diese Bilder gibt es seit 14 Tagen. Bloß es sind eben keine AP- und Getty-Fotografen dabei. In Mariupol ist es ganz ähnlich. Da sind Briten auf Seite der Separatisten, Presseleute, die das fotografieren. Wenn man sich diese Bilder ansieht, die nicht in den großen Pools sind, die Leichen werden aus den Hochhäusern rausgeworfen, in Teppiche gerollt und liegen in Granatrichtern dort herum.


Hendrik Holdmann (stern) Kriegsgräuel oder Kriegsverbrechen gab es in vielen Kriegen, auch in Europa. Srebrenica sei da zum Beispiel einmal genannt. Werden solche Kriegsverbrechen tatsächlich "von oben" angeordnet, gibt es dafür Anweisungen? Werden sie sogar genutzt zur Abschreckung oder wie kann es zu sowas kommen – auch aus militärisch taktischer Sicht?


Gernot Kramper (stern) Durchaus möglich ist es, dass das Einzeltaten einzelner Soldateska sind. Insbesondere wenn es zu Partisanenkriegen kommt. Das ist immer verboten. Aber erfahrungsgemäß kommt sowas immer vor. Und wenn das von oben angeordnet ist, wird es in aller Regel gemacht, um ethnische Säuberungen zu machen. Also indem man den Gegner – häufig ist es eine Ethnie, kann aber auch eine politische Einstellung sein, wenn wir an die Bürgerkriege der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts denken – um den Gegner praktisch in seiner Gruppe auszurotten, mit Frauen und Kindern und allem Drum und Dran. Das würde hier aber natürlich nur der Fall sein, wenn tatsächlich hunderte von Toten exekutiert worden sind. Wenn da im Wesentlichen oder zur größten Zahl Kriegstote einfach auf der Straße liegen, würde ich so weit nicht gehen. Und ich glaube im Übrigen nicht, dass das zur Abschreckung ist. Das heißt, was wir erleben ist, dass das der Kriegs zusehend verroht. Weil wir sehen die Greueltaten der russischen Soldaten, an kann sich jetzt aber auf Telegram oder VK Kontakte oder was weiß ich. Vielleicht kann man es über Satellit auch russisches Staatsfernsehen angucken und man wird sehen, dass die Russen keine Mühe haben, ganz ähnliche Videos zu zeigen. Ob die alle gefaked sind oder war sind, das kann ich jetzt nicht entscheiden. Das heißt, der Hass und die die Gewaltbereitschaft wird durch diese Bilder und durch den propagandistischen Nutzen natürlich angeheizt. Das sehe ich, was im Moment beide Seitenmachen. Diese Taten sind schrecklich. Sie passieren, aber sie werden natürlich auch genutzt, um den Kampfeswillen und den Widerstandswillen der eigenen Soldaten zu steigern. Aber diese Bilder fördern auch immer die Bereitschaft zu Gewalttaten und zu Übergriffen. Das muss man ganz klar so sagen. Und das kann man auf russischer Seite eben auch sehr wohl sehen. Die verbreiten diese Videos enorm und insofern ist zu erwarten, dass der Krieg auf dieser Ebene noch grausamer, noch härter und unverzeihlicher wird.
Butscha: Video soll Folterkammer in Kinderheilanstalt zeigen

Gräuelbilder aus der Ukraine Butscha: Video zeigt Tote in Keller – Staatsanwaltschaft spricht von "Folterkammer"

Sehen Sie im Video: Video zeigt Tote in Keller von Kinderheilanstalt – Staatsanwaltschaft spricht von "Folterkammer".










Die Gräuelbilder aus dem Städtchen Butscha gehen um die Welt. Nach dem Rückzug der russischen Truppen melden die ukrainischen Behörden zahlreiche Leichenfunde von Zivilisten. Besonders erschütternde Aufnahmen stammen aus einer Kinderheilstätte in der Stadt. Vor dem Kriegsausbruch war das ein Ort, an dem sich erkrankte Kinder in der Nähe von Wäldern und Natur erholen konnten. 


Hier finden ukrainische Polizisten in einem Kellerraum die Leichen von fünf Männern. Das Video zeigt, dass ihre Hände auf den Rücken gefesselt sind und sie am Boden knien. Nach Angaben der Kiewer Staatsanwaltschaft waren sie unbewaffnet und sind vor ihrem Tod gefoltert worden. Die Behörden sichern nun vor Ort Beweise, um einen Prozess wegen Kriegsverbrechen gegen die russischen Truppen einzuleiten.  


Der ukrainische Präsident hat in einer eindringlichen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat in New York ebenfalls Bilder aus Butscha gezeigt. Laut Angaben der ukrainischen Behörden wurden hier bisher 280 Menschen in Massengräbern beerdigt. Das ukrainische Verteidigungsministerium hat eine Namensliste mit den Namen russischer Soldaten veröffentlicht, denen es eine Beteiligung an den Gräueltaten vorwirft.  


https://gur.gov.ua/content/voennye-prestupnyky-neposredstvenno-uchastvuiushchye-v-sovershenyy-voennykh-prestuplenyi-protyv-naroda-ukrayny-v-h-bucha-voennosluzhashchye-64-otdelnoi-motostrelkovoi-bryhady-35-oa-vvo.html 




Russland weist die ukrainischen Vorwürfe zurück und bezeichnet die Bilder der Leichen aus Butscha als Fälschungen.  


Neben Augenzeugenberichten vor Ort über Folter und Schüsse auf Einheimische bestätigen auch Satellitenbilder die Leichenfunde auf den Straßen der Stadt. Laut „New York Times“ sind diese vor dem Abzug der russischen Truppen in Butscha aufgezeichnet worden. 


Quellen: New York Times, AFP, Gur.gov.ua