Die Kinder sind aus dem Haus, der Vater verliebt sich in eine jüngere Frau, was raten Sie dem Mann?
Ja, da sitzt er in der Therapie und schwärmt von grünen Augen, kurzen Röcken, seidiger Haut und tiefen Blicken. Dann bitte ich ihn, mir doch mal zu beschreiben, wie denn die Beziehung zu der grünäugigen Schönheit in fünf Jahren aussehen wird. Dann beklagt er sich, dass ich ihm alles vermiese.
Zu Recht. Er kommt ja glücklich rein und geht bei Ihnen deprimiert wieder raus.
Als Therapeut werde ich nicht dafür bezahlt, nur freundlich und verständnisvoll zu sein, sondern Sie beharrlich auf die Folgen Ihres Handelns für sich und die anderen hinzuweisen.Verliebtheit ist wie ein präpsychotischer Zustand. Verliebte verweigern meist einen Reflexionsprozess. Das ist manchmal wie bei Süchtigen. Die wollen ungestört weiter ihrer Sucht nachgehen und die Folgen ihres Handelns gerne anderen zuschreiben. Psychologie ist aber im Wesentlichen der Versuch der Rationalisierung des Irrationalen.
Warum sollte man nicht wieder neu beginnen, wenn die Kinder groß sind und die Verzauberung mit dem alten Partner dahin ist?
Weil die Menschen oftmals Verliebtsein mit Liebe verwechseln. Liebe ist keine Verliebtheit auf Dauer, eine solche angestrengte Dauerverliebtheit ist doch etwas für die Pubertät. Die soll er seinen Kindern überlassen und sich der Liebe widmen, die gereift ist. Da kann man auch romantische Situationen erleben und vor allem eine Intimität, die im Verliebtsein nicht einmal körperlich zu erreichen ist.
Aber wenn er glaubt, die Frau fürs zweite Leben gefunden zu haben?
Dann habe ich nichts dagegen, im Gegenteil. Nur oftmals verbergen sich hinter den romantischen Ideen - wir sind füreinander geschaffen - lediglich Wünsche nach symbiotischer Geborgenheit, nach bedingungsloser Liebe, in der Widersprüche, Ängste, Konflikte und die stinkigen Seiten der eigenen Persönlichkeit keinen Platz haben. Das sind inhumane Konzepte, denn wir Menschen sind nicht so.
Deswegen gehen Millionen ins Kino.
Das Problem ist nur, dass sie nicht mehr herauskommen. Die Voraussetzung der romantischen Liebe war doch immer, dass sie nicht erfüllt wird. Wenn Ingrid Bergman mit ihrem Typen diese Kneipe in Casablanca übernommen hätte, was wäre es denn gewesen in ein paar Jahren? Dann hätte sie die Schürze an, würde die Leute bedienen und sie würden älter miteinander. Dann stellt sich in der Therapie die Frage: Wollen Sie das, können Sie sich das vorstellen? Wenn ja, dann ist das gut. Aber warum probiert er es nicht mit der Frau, die er schon länger kennt?
Weil er sich neu verliebt hat.
Die Liebe ist eine Konstruktion. Man liebt in jemanden etwas hinein, damit man es wieder herauslieben kann. Man macht mittels Projektion einen Menschen zu einem Ideal, entsprechend einem inneren Bild und versucht, dessen reale Korrekturen so lange zu leugnen, bis es sich nicht mehr aufrechterhalten lässt.
Was wäre denn besser?
Das Idealbild entlang der Realität zu überprüfen, notfalls zu korrigieren und letztlich anzuerkennen, dass Menschen nun einmal nicht so sind, sondern auch eklig und stinkig. Wenn Menschen dies erst erkennen, wenn sie Kinder haben, dann will ich nicht, dass die Kinder unter den infantilen Wünschen ihrer Eltern leiden.
Also doch zusammenbleiben, bis der Tod sie scheidet?
Ich sage den Leuten, sie können sich trennen, zusammenbleiben, Geliebte haben oder als Singles leben. Was immer sie tun, sie sollen selbstverantwortlich werden und sich nicht beim Schicksal, bei der Liebe, beim Kapitalismus, dem Patriarchat oder bei mir beklagen. Das heißt für mich, eine reife Persönlichkeit zu werden, und das ist das Ziel einer Therapie.
Und wenn Ihnen die Grünäugige begegnet?
Die sitzt im Dutzend jeden Tag in meinen Seminaren und hat es nur darauf abgesehen, mich fertigzumachen und mich mein Alter spüren zu lassen. Und ich denke: Ihr seid so gnadenlos schön, ihr jungen Menschen, das ist kaum auszuhalten. Und dann höre ich sie miteinander reden, spüre den Generationsunterschied und bin froh, dass ich seit 29 Jahren mit meiner Frau zusammen bin.
Wolfgang Hantel-Quitmann ist Professor für Klinische und Familien-Psychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg