Geschichten wie "Liebesbrief an Jenny" (Sonntag, 30. November, 20.15 Uhr, ZDF) gibt es noch immer zu wenige, findet Schauspielerin Stefanie Reinsperger. In der TV-Tragikomödie prallen Welten aufeinander, als sich Reinspergers Filmfigur Jenny in den Fitness-Influencer Timo (gespielt von Golo Euler) verliebt: Verbissener Körperkult trifft auf entspannten Genuss, Verliebtheit auf Vorurteile und auf Häme und Hass im Internet. Letzteres kennt Reinsperger aus eigener bitterer Erfahrung. Ihren Frust darüber schrieb sie sich 2022 in ihrem Buch "Ganz schön wütend" von der Seele. Wohlwollender geht es seitdem bekanntlich nicht zu im Netz. Wie sie damit umgeht, verrät die Österreicherin, die Millionen Krimifans als Kommissarin im Dortmund-"Tatort" kennen, im Interview. Ein Gespräch über Körperbilder und Hate Speech und darüber, wie die heute 37-Jährige schon als Kind die Schauspielerei als Ventil für angestaute Gefühle entdeckte.
teleschau: Frau Reinsperger, "Liebesbrief an Jenny" ist viel mehr als eine Romanze. Der Film ist ein Plädoyer für Selbstliebe und Akzeptanz von Körperbildern, unabhängig von der Kleidergröße ...
Stefanie Reinsperger: Ja, und das sind immer noch Geschichten, die zu wenig erzählt werden in der Medienlandschaft. Geschichten, die zeigen, dass Liebe und Freude für jeden etwas sehr Individuelles bedeuten. Und dass niemand das Recht hat, sich darüber zu erheben. Ich war von dem Drehbuch sofort berührt und gerührt.
"Es war ein langer Lernprozess, mich zu wehren"
teleschau: Im Film coachen Sie als Jenny junge Menschen zum Thema Selbstliebe. Ein schöner Satz, den Sie dabei sagen, ist: "Die große Kunst ist es, sein eigener bester Freund zu sein." Sind Sie Ihre beste Freundin?
Reinsperger: Mit meiner besten Freundin würde ich niemals so reden, wie mit mir selbst. Da ist meine Filmfigur Jenny weiter als ich (lacht). Ich bin oft sehr hart mit mir selbst. Zum Glück habe ich um mich herum wunderbare beste FreundINNEN. Und ich schätze es sehr, Figuren zu spielen, von denen ich lernen kann.
teleschau: Es geht im Film auch um etwas, das Sie selbst in brutaler Form erlebt haben. Sie schreiben darüber sehr offen in Ihrem Buch "Ganz schön wütend": Ausgrenzung und offene verletzende Kommentare bis hin zu Morddrohungen, wenn man nicht einem bestimmten Körperbild entspricht. Wie lernt man, sich zur Wehr zu setzen?
Reinsperger: Es war ein langer Lernprozess, mich zu wehren und auch dafür zu sorgen, dass ich nicht für alle Menschen so zugänglich bin in ihrer Feindseligkeit. Das Buch habe ich aus einem Wutanfall heraus geschrieben. Es ist unfassbar, dass die Person, die das Thema betrifft, so viel selbst machen muss. Genau das thematisiert auch der Film: Jemand lädt ein Foto hoch. Und schon fühlen sich alle bemüßigt, die Person abzuwerten, zu beleidigen.
"Hass im Netz etwas sehr Bedrohliches geworden"
teleschau: Finden Sie, Hate Speech sollte stärker verfolgt werden?
Reinsperger: Ja. Hass im Netz ist etwas sehr Bedrohliches geworden. Das ist leider ein Symptom unserer Zeit. Viele, denen er zu viel wurde, haben schreckliche Konsequenzen daraus gezogen, wie man weiß. Es ist gut, dass wir eine freie Meinungsäußerung haben. Aber sie sollte respektvoll vonstatten gehen. Würde jemand einen anderen Menschen auf offener Straße derart hasserfüllt beschimpfen, würden wir alle schockiert reagieren. Nur weil es im Internet anonym geschieht, reagieren wir nicht. Das müsste auf die gleiche Stufe gestellt werden. Ich persönlich melde solche Kommentare inzwischen sehr schnell.
"Ich war ein sehr, sehr, sehr lautes Kind"
teleschau: Die Schauspielerei war schon immer ein Ventil für Sie, wie Sie schreiben. Sie standen schon mit vier Jahren auf der Bühne. Erst in Belgrad und dann in London, wo Sie aufgewachsen sind. Wie kam es dazu?
Reinsperger: Als ich klein war, zogen wir nach London, weil meine Eltern an der österreichischen Botschaft dort arbeiteten. Sie sorgten sich damals um mich, denn ich war ein sehr, sehr, sehr lautes Kind. Bis mein Kinderarzt sagte: "Das Mädchen hat viel Fantasie, viel Energie; und all das muss irgendwo hin!" Dann gab er meinen Eltern die Visitenkarte einer Kinder-Theatergruppe. Da passierte etwas Erstaunliches: Viermal die Woche ging ich dorthin, spielte und war danach sehr ausgeglichen. Das hat sich seitdem nicht verändert. Je mehr ich spielen darf, desto ruhiger bin ich privat. Die Schauspielerei ist wirklich das Wichtigste auf der Welt für mich.
teleschau: Dann gab es auch nie einen anderen Berufswunsch für Sie?
Reinsperger: Eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, Ärztin zu werden. Bis ich mir im Kochkurs in der Schule in den Finger schnitt – und umfiel. Da war klar: Der Beruf Ärztin ist keine Alternative (lacht). Also fing ich nach dem Abitur ohne Umwege mein Schauspielstudium am Wiener Max Reinhardt Seminar an.
"Berlin hätte mich völlig überfordert"
teleschau: Ihr ursprünglicher Traum, an der Ernst Busch-Schule in Berlin aufgenommen zu werden, hat sich aber nicht erfüllt. Sie wurden abgelehnt. Heute unterrichten Sie dort. Was war das für ein Gefühl, dorthin zurückzukehren?
Reinsperger: Das war skurril. Zugleich wurde mir bei meiner Rückkehr klar: Es war gut, dass ich damals nicht genommen wurde.
teleschau: Inwiefern?
Reinsperger: Ich war 19 und kam aus Biedermannsdorf (Marktgemeinde in Niederösterreich, d. Red.). Wäre ich damals nach Berlin gezogen, hätte mich diese Stadt völlig überfordert. Genau so skurril fühlt es sich an, dass ich bald in Wien, an meiner früheren Schauspielschule, unterrichten werde. Ich kenne dort alle Räume und erinnere mich noch genau, an welchen Orten ich während meines Studiums einsam und verzweifelt war.
"Ich will den jungen Menschen ganz viel Selbstvertrauen mitgeben"
teleschau: Was hat sich seitdem in der Ausbildung geändert? Müssen die Studierenden wie Sie damals "ein gefrorenes Tortellini in der Mikrowelle" und Ähnliches spielen? Oder war das als Spaß gemeint, als Sie einmal in einem Interview davon erzählten?
Reinsperger: Ich musste tatsächlich einmal ein gefrorenes Spinat-Ricotta-Tortellini in der Mikrowelle spielen, das gerade auftaut. Oh, und ich fürchte, es war sehr schlecht. Aber ich habe alles gegeben (lacht). Wobei manch schräge Übung von damals erst heute für mich Sinn ergibt. Sicher denken sich die Studierenden bei meinen Anweisungen heute auch manchmal: "Oh Gott, meine verrückte Schauspiellehrerin!" (lacht)
teleschau: Was ist Ihnen beim Unterrichten wichtig?
Reinsperger: Als erstes will ich den jungen Menschen ganz viel Selbstvertrauen mitgeben. Dass sie gut sind, ist ja klar. Sonst wären sie nicht an dieser Schule. Als nächstes geht es darum, ein Handwerk zu entdecken, zu verbessern – und selbstständig zu arbeiten. Denn man hat als Schauspielerin nicht immer das Glück, mit Regiemenschen zu arbeiten, die gemeinsam etwas erarbeiten wollen. Man muss schon vorbereitet ans Set kommen, denn es gibt immer weniger Zeit.
"Ich musste 36 Jahre alt werden, um ein Love Interest zu spielen"
teleschau: Wir sehen in Filmen immer noch meist Frauen, die jung sind und maximal Kleidergröße 36 tragen. Es wird gerade viel diskutiert, dass sich hier in Sachen Körperbild einiges ändern muss. Sieht man in der Schauspielausbildung bereits eine Veränderung?
Reinsperger: Da liegt noch viel Arbeit vor uns. Vor zwei Jahren war ich in der Jury zum Schauspielschulen-Treffen, wo ich über 300 Studierende sah. Ich war schockiert, wie wenig sich geändert hat. Die Körperbilder waren nicht divers. Auch im Zusammenhang mit "Liebesbrief an Jenny" hörte ich oft den Satz "Das ist ja so mutig!". Ich mag das Wort "mutig" nicht im Zusammenhang mit meinem Körper.
teleschau: Wie meinen Sie das?
Reinsperger: Im Moment muss es in einem Film oft inhaltlich begründet sein, dass man so besetzt. Das Äußere ist sozusagen der Konflikt. Wenn jemand sagt, dass es "mutig" ist, dass ich für eine bestimmte Rolle besetzt werde, finde ich das schwierig. Ich hatte einen Moment bei den Dreharbeiten, da saß ich auf dem Bett. Der Kameramann Martin Langer sagte zu mir "Steffi, bist du schön! Du bist so ein schönes Love Interest" Ich musste weinen und sagte "Danke, Martin. Das habe ich noch nie gespielt vorher." Da wurde mir erst klar: Ich musste 36 Jahre alt werden, um ein Love Interest zu spielen. Das würde ich gerne noch ein paarmal machen, auch in späteren Jahren. Denn das Leben einer Frau endet nicht ab 40. Auch hier gibt es noch viel Luft nach oben was Veränderung betrifft – nicht nur in der Branche.
"Ich mag meinen Körper immer mehr"
teleschau: Was würden Sie sich wünschen?
Reinsperger: So viele Menschen haben damit zu kämpfen, dass sie wegen ihres Körpers abgewertet werden. Ich wünsche mir, dass man aufhört, sich über andere zu erheben. Dass man sich mehr mit dem Thema beschäftigt. Wenn man sich öffnet und austauscht, merkt man: Man ist ja nicht allein. Es ist ein lebenslanger Prozess, seinen eigenen Körper zu mögen. Vor allem für Frauen. Ich mag meinen Körper immer mehr.