US-Wahl Die Frauen entscheiden das Rennen zwischen Harris und Trump

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  • von Rana Foroohar
Kamala Harris und Michelle Obama bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt
Kamala Harris und Michelle Obama bei einem gemeinsamen Wahlkampfauftritt
Kamala Harris umgarnt im Wahlkampfendspurt vor allem die weiblichen Wähler. Die Strategie ist schlüssig, denn geschlechterspezifische Fragen könnten den Ausschlag geben.

Wo die Kandidaten die letzten Wochen eines Präsidentschaftswahlkampfs verbringen, sagt viel über die Art des Rennens aus und darüber, wie es gewonnen oder verloren werden könnte. Vizepräsidentin Kamala Harris verbringt ihre verbleibende Wahlkampfzeit damit, Frauen zu umwerben, die 2024 die entscheidenden Wechselwähler sein könnten, so wie es 2016 weniger gebildete weiße Männer waren.

Harris appelliert an die weiblichen Wähler, die sie auf beiden Seiten der Kluft erreichen will. So veranstaltete sie vorige Woche eine Reihe von moderierten Gesprächen mit der ehemaligen republikanischen Abgeordneten Liz Cheney aus Wyoming, um weibliche Wähler in den Vorstädten der umkämpften Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin anzusprechen. Die Moderatoren waren zwei Konservative, ein Politiker und ein Experte. 

Ziel war es, Frauen – unabhängig von ihrer politischen Einstellung – daran zu erinnern, dass sie bei der Wahl ihrem Gewissen folgen sollten. Sie hätten die Wahl zwischen einem Kandidaten, der sich gegen das Recht auf Abtreibung ausspricht und dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, und einer ehemaligen Staatsanwältin, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt. Cheney, die den Ex-Präsidenten Donald Trump als gefährlich und unzuverlässig bezeichnet, drückte es so aus: "Wenn Sie sich Sorgen machen, können Sie wählen ... und müssen niemandem ein Wort [über Ihre Wahl] sagen... es wird Millionen von Republikanern geben, die das am 5. November tun, indem sie für Vizepräsidentin Harris [stimmen]."

Frauen sind liberaler

Die Veranstaltung beweist, wie sehr die Politik nicht nur in den USA, sondern rund um den Globus mittlerweile von Geschlechterfragen geprägt ist. In Ländern wie Großbritannien, Deutschland, Polen, Südkorea und anderswo hat sich eine ideologische Kluft zwischen jungen Männern und Frauen aufgetan, wobei männliche Wähler eher zur politischen Rechten und weibliche Wähler zur Linken tendieren. In den USA zeigen Gallup-Umfragedaten, dass nach Jahrzehnten, in denen die Geschlechter ungefähr gleichmäßig über das politische Spektrum verteilt waren, Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren jetzt 30 Prozentpunkte liberaler eingestellt sind als ihre männlichen Altersgenossen.

Dies wurde 2016 in den USA deutlich, als eine schweigende Mehrheit wütender weißer Männer in Gegenden wie dem industriellen Kernland des Mittleren Westens ihre traditionelle Verbundenheit mit der Demokratischen Partei über Bord warf und Trump zur Macht verhalf. Jetzt sind es Frauen, die wütend sind – nicht so sehr über den Niedergang von Fabrikarbeitsplätzen, sondern über die Bedrohung für das Recht auf Abtreibung und die wirtschaftlichen Risiken, die von Trump ausgehen. Und wenn die Umfragen und die politischen Strategen recht haben, könnten sie in Scharen zu Harris überlaufen.

Eine NBC-Umfrage von Mitte Oktober ergab, wie viele andere auch, dass das Rennen zwischen Harris und Trump unentschieden: Beide kommen auf 48 Prozent der potenziellen Wählerstimmen. Während Trump seinen erwartbaren Vorsprung bei den Weißen in den ländlichen Gebieten hat und Harris bei den schwarzen Wählern und den jungen Leuten besser abschneidet, besteht die große Kluft beim Geschlecht. Harris führt bei den weiblichen Wählern mit einem Vorsprung von 14 Punkten. Und da es bei engen Wahlen in der Regel darauf ankommt, wer die meisten Wähler mobilisieren kann, setzt Harris verstärkt auf Frauen.

In den vergangenen Wochen hat sie auf Tiktok die Anhänger von Taylor Swift um sich geschart, in einer beliebten Fernsehsendung, die fast ausschließlich von Frauen geschaut wird, über ihren Plan für eine häusliche Gesundheitsfürsorge gesprochen und das Recht auf Abtreibung betont – eine Botschaft, mit der sie seit Beginn ihrer Kampagne punkten konnte. Einer der stärksten Momente der TV-Präsidentschaftsdebatte zwischen den beiden Kandidaten war, als Harris mit großer Leidenschaft beschrieb, wie unverschämt es sei, wenn Frauen in einen Bus steigen müssen, der sie in einen anderen Staat bringt, um eine Abtreibung vorzunehmen.

Höhere Wahlbeteiligung unter Frauen

Im Gegensatz zu Hillary Clinton, die viele Wählerinnen polarisierte, als sie 2016 als Kandidatin der Demokraten für das Präsidentenamt antrat (ihre flapsige Bemerkung, sie bleibe nicht zu Hause, um Kekse zu backen, stieß viele Hausfrauen vor den Kopf), erhält Harris Unterstützung von Wählerinnen aus allen Untergruppen. Sogar viele weiße Frauen aus der Arbeiterklasse, deren Ehemänner wahrscheinlich Trump wählen, sind auf ihrer Seite, vielleicht weil sie mit ihnen über Themen wie die Krise der Lebenshaltungskosten diskutiert. Vor allem ihr Plan für eine Ausweitung der Kindersteuergutschriften war ein Erfolg.

Auch bei einem nicht so polarisierenden Kandidaten wie Trump wäre es eine kluge politische Strategie, weibliche Wechselwähler anzusprechen. Die Wahlbeteiligung von Frauen ist in den USA höher als die von Männern. Außerdem war bei jeder Präsidentschaftswahl seit 1980 der Anteil der wahlberechtigten weiblichen Erwachsenen, die gewählt haben, höher als der Anteil der wahlberechtigten männlichen Erwachsenen, die abgestimmt haben.

Doch auch wenn das Jahr 2024 bereits als "Genderwahl" bezeichnet wird, könnte die Schichtzugehörigkeit bei der Wahlbeteiligung von Frauen noch eine wichtige Rolle spielen. Es bestehen wenige Zweifel daran, dass Frauen mit Hochschulbildung, sowohl weiße als auch vor allem farbige Frauen, für Harris stimmen werden. Weiße Frauen aus der Arbeiterklasse, insbesondere solche die katholisch oder evangelisch sind, werden sich schwerer überzeugen lassen. Das lässt sich daran ablesen, wie eng das Rennen in Teilen des ländlichen Mittleren Westens und des Südens ist.

Laut dem Gender Gap Tracker des Washington Monthly hat die Vizepräsidentin in der vorletzten Woche des Rennens bei den Frauen sogar etwas an Vorsprung eingebüßt, während Trump seinen Vorsprung bei den Männern vergrößert hat. Das bedeutet, dass Harris' aktueller geschlechtsspezifischer Vorsprung eher dem von Hillary Clinton im Rennen gegen Trump ähnelt als den Vorsprüngen, die Joe Biden oder Barack Obama bei ihren Siegen hatten.

Die Identitätspolitik wird bald auf eine harte Probe gestellt.

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