Der Investigativ-Blog Wie viele Rechte sind untergetaucht, Minister Friedrich?

Der Investigativ-Blog: Wie viele Rechte sind untergetaucht, Minister Friedrich?

Wie viele Rechtsextremisten gesucht werden, kann auch Innenminister Friedrich nicht genau wissen. Wieso nannte er in einem Interview trotzdem die Zahl 110?

Seit dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle vor gut einem Jahr ist das Interesse an untergetauchten Rechtsextremisten enorm gestiegen. Denn nach dem Schritt in den Untergrund begann auch die schreckliche Mordserie der mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Im Laufe des Jahres haben wir die bekannt gewordene Zahl der offenen Haftbefehle gegen Rechte mehrfach eingeordnet und erläutert.

Zum Jahresanfang suchte die Polizei noch rund 160 Rechtsextreme. Im März hatte sich die Fahndung bei einem knappen Drittel bereits erledigt, zurück blieben rund 110 Untergetauchte. Wenig später gab es eine Kontroverse um die mögliche Verharmlosung von rechten Straftaten durch eine falsche Zuordnung in der Kriminalstatistik. Spektakuläre Einzelfälle wie die Festnahme des notorischen Holocaust-Leugners Gerd Ittner im Mai erlaubten ein manuelles Abstreichen von der Fahndungsliste. Ende Juni standen dann schon wieder 118 Personen auf der Liste. Und eigentlich hätte die Bundesregierung erst zum Jahresende turnusgemäß neue Zahlen präsentieren sollen.

Der Investigativ-Blog: Bundesinnenminister Friedrich und Staatssekretär Fritsche (rechts)
Bundesinnenminister Friedrich und Staatssekretär Fritsche (rechts)

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich preschte Ende Oktober in einem Interview mit der Welt am Sonntag allerdings vor und erwähnte 110 offene Haftbefehle gegenüber Rechtsextremisten, Stand: Mitte September. Vorsichtig wie der CSU-Politiker nun mal ist, schränkte er sogleich ein: "Die Zahl kann sich aber mittlerweile durch erfolgte Verhaftungen oder neu hinzugekommene Haftbefehle verändert haben." Eine klare Ansage war das nicht.

Auf der "dynamischen" Fahndungsliste herrscht ein Kommen und Gehen, wie Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage (pdf) der Linke-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke darlegt. Die Antwort liegt dem stern vorab vor. Seit Ende Juni haben sich demnach von 118 Haftbefehlen 44 erledigt. In 27 Fällen davon kamen die Gesuchten hinter Gitter.

Abzüglich zwei verschiedener Haftbefehle für eine Person bleiben so 73 gesuchte Rechtsextremisten über. Von ihnen tauchen insgesamt 16 Personen in den Akten der Verfassungsschutzämter auf. Und fünf von ihnen ordnen die Schlapphüte "einer rechtsextremistischen Organisationsstruktur" zu: "Eine Person entstammt dem neonazistischen Spektrum, eine Person dem subkulturellen Spektrum, eine Person konnte in der Vergangenheit der NPD zugerechnet werden und zwei Personen sind Mitglieder in einer rechtsextremistischen ausländischen Organisation." Als gewaltbereit gelten vier Gesuchte. Diese Personen haben einen Eintrag in der Ende September eingeführten Rechtsextremismus-Datei (RED) von Bundes- und Länderbehörden.

Wie viele Haftbefehle zusätzlich zu den damals bekannten 73 seit Ende Juni dazu gekommen sind, weiß das Bundesinnenministerium aktuell nicht, wie Staatssekretär Fritsche in der Antwort auch klar sagt. Denn die nächste Abfrage bei allen Ländern erfolgt erst wieder zum Jahresende. Also hätte Friedrich eigentlich auf die letzte sauber ermittelte Zahl von 118 Gesuchten verweisen müssen.

Die Linke-Abgeordnete Jelpke geht mit Friedrich ins Gericht: "Da wird mit viel Rhetorik ein neues Zentrum und eine neue Datei geschaffen, aber keiner kann sagen, wie viele Nazis im Moment mit Haftbefehl gesucht werden und wie viele davon gewaltbereit sind. Anstatt diese Lücke zu schließen, versucht der Innenminister, sie mit halbgaren Zahlen zu überdecken."

Law-and-Order-Minister Friedrich hätte besser daran getan, Zahlen über flüchtige Rechtsextreme erst wieder auf den Tisch zu legen, wenn sie auch belastbar sind. Unschärfen verstärken bloß das wachsende Misstrauen gegenüber den Ermittlungsbehörden.

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Fotos: dpa