Die Schwarz-Rot-Gold-Festspiele sind vorbei, und die Nation fragt sich: Was bleibt von dem schönen Taumel? Wird alles wieder so wie vorher - oder überlebt ein Grundgefühl der WM-Stimmung? Immerhin wissen wir jetzt, dass Leichtigkeit, Lebensfreude und vor allem unbekümmertes Flagge-Zeigen auch in Deutschland ihren Wohnsitz haben. Das verdanken wir vor allem der jungen Generation! Sie hat die Deutungshoheit über das schwarz-rot-goldene Symbol im Handstreich übernommen. Unbeschwert, aber ganz und gar nicht unbedarft hat sie eine riesige, spontane Werbeveranstaltung losgetreten, deren Botschaft um die Welt ging. Dafür müssten wir den jungen Leuten eigentlich auf Knien danken. Sie waren es, die Fan-Meilen in Party-Zonen verwandelten. Sie haben sich nicht mit Feuilleton-Debatten über Nationalismus und Patriotismus befasst oder mit der Frage, ob vaterlandslose Alt-68er nun Spielverderber sind oder nicht. Dafür war jetzt nicht die Zeit. Nein, die jungen Fans haben ganz selbstverständlich eine friedliche Euphorie entfacht, der innerhalb von vier Wochen gelungen ist, was weder Goethe-Institute noch Außenminister in den vergangenen Jahren geschafft haben: Sie malten ein frisches, weltoffenes Bild von Deutschland, das im Ausland Berge von Deutschland-Klischees abtrug.
Es dauerte ein paar Tage, bis sich auch die Älteren auf das Fahnenschwenken einließen - was durchaus verständlich ist. Je mehr Deutschland-Wimpel auf Autodächern durch die Städte knatterten, desto weniger drohte Gefahr, als Nationalist missverstanden zu werden. Man konnte ein unauffälliges Bad im Fahnenmeer nehmen und Schwarz-Rot-Gold so selbstverständlich tragen wie Dortmund-Fans ihre schwarz-gelben Schals. Es ging schließlich um Fußball und nicht um Deutschtümelei oder ein "Wir sind wieder wer"-Gefühl. Und so kam es zu einer grandiosen Gemeinschaftsleistung, die die Worthülse "Zu Gast bei Freunden" mit prallem Leben füllte. Dabei halfen auch kleine Gesten, beispielsweise, dass 3000 Würzburger das Team aus Ghana nach dem Achtelfinalaus begeistert vor dem Rathaus empfingen, dass bei den Fan-Festen viele Deutsche gemeinsam mit den Anhängern der Gegner feierten und dass überall Passanten ratlosen WM-Touristen unaufgefordert assistierten.
Was bleibt darüber hinaus?
Erwartungsgemäß hat die Weltmeisterschaft kein Wirtschaftswunder in Gang gesetzt und keine Rentenprobleme gelöst, und die politischen Entscheidungsträger in Berlin spielen immer noch in der Kreisklasse, weiter vom Aufstieg entfernt als je zuvor. Aber uns bleibt die Erinnerung an einen wunderbaren Sommer, der gezeigt hat, dass es auch mal richtig Spaß bringen kann, ein Deutscher zu sein.
Der stern beendet seine WM-Berichterstattung in diesem Heft mit exklusiven Aufzeichnungen von Kapitän Michael Ballack über die WM-Wochen, seine Mitspieler, sein Verhältnis zu Jürgen Klinsmann und über Momente, die auch einen Profi aus der Fassung bringen (Seite 46).
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold