Eltern-Dasein Guter Sex trotz kleiner Kinder

Von Marietta Canavaro
Flaute im Bett, wenn Kinder kommen? Bei vielen Eltern normal, muss aber nicht sein
Flaute im Bett, wenn Kinder kommen? Bei vielen Eltern normal, muss aber nicht sein
© Colourbox
Glücklich mit der Familie, aber im Bett läuft nichts? Sie betrifft das Thema natürlich nicht. Aber mal lesen, wie es anderen so geht, kann ja nicht schaden ...

Sie schauten betreten, alle. Vielleicht war es naiv von mir, das Thema so achtlos und roh auf den Tisch zu werfen wie ein Metzger einen Schweinenacken. "Sex trotz Kindern" - vermutlich ist das überhaupt kein Gesprächsstoff für ein Abendessen unter Freunden. Aber seit ich begonnen hatte, dieses Buch zu lesen, von dem ich Ihnen gleich viel erzählen werde, beschäftigte mich wie ein Ohrwurm die Frage: Was ist bei anderen Paaren los? Was ist bei anderen Paaren los? Was ist bei … Und ich war es leid, darüber nur heimlich zu spekulieren.

Gefunden in...

...der Zeitschrift Nido - Wir sind eine Familie. Das neue Familienmagazin wurde konzipiert von Timm Klotzek, Chefredakteur von "Neon". Die erste Ausgabe ist ab dem 17. April am Kiosk erhältlich und kostet 3,90 Euro. Das Titelthema: "Ich will wieder arbeiten - wie familienfreundlich deutsche Firmen wirklich sind"

Ich hätte die Runde, in der ich saß, ebenso gut auf Hautkrankheiten oder den Tod ansprechen können, es wäre eine ähnliche Art von Schweigen gefolgt, ein Schweigen, in das man sich nicht einmal zu räuspern traut. Die Runde bestand aus drei Ehepaaren: Silvia und Frank, Anna und Fredrik, meinem Mann und mir. Und Bernhard, einem Frührentner, der dreimal verheiratet gewesen war, recht umtriebig eine vierte Frau suchte und von dem niemand mehr wusste, wie er eigentlich in unseren Freundeskreis gedrungen war.

Bernhard war es auch, der die Stille durchbrach. "Ehebruch!", rief er: "Das ist eure einzige Chance. Nur wer untreu ist, kriegt auch wieder Lust auf seinen eigenen Partner." Viel Spaß, Nummer vier, dachte ich. Mein Mann und ich fassten einander unter dem Tisch bei den Händen. Wir sind nun drei Jahre verheiratet und haben einen sechzehn Monate alten Sohn. In diesem Augenblick spürten wir den kalten Atem des ehelichen Niedergangs im Nacken. War das unser Los? Ehebruch?

Tabuthema

Die Sache wurde nicht dadurch besser, dass ich vom Liebesleben unserer versammelten Freunde schon einiges wusste. Silvia und Anna hatten zumindest gelegentliche Andeutungen gemacht, Bernhard sprach sowieso am liebsten über Sex. Silvia hatte mir einmal, kurz nach ihrem dritten Mojito, von Frank und ihr erzählt - und zwar, dass so gut wie gar nichts mehr passierte. Vor dem ersten Kind hatte es sich kaum je gelohnt, zu Hause Kleidung anzulegen; nach dem ersten Kind betrieben sie ein leidenschaftsloses, aber regelmäßiges Geschlechtsleben, einmal pro Woche; nach dem zweiten Kind hörte auch das auf. Silvia hatte abends nie recht Lust, aber morgens sind die Kinder dummerweise wach. Frank hatte immer Lust, was dazu führte, dass Silvia sich bedrängt fühlte, wodurch sie noch seltener wollte, so dass wiederum Frank sich zurückhielt, aus Scheu davor, erneut abgewiesen zu werden … Ach, ihre Elternschaft war eine Geschichtsstunde über erotische Verödung. Bernhard hatte keine Kinder.

Anna und Fredrik - ein Sohn, zehn Monate alt - lösten die Sache so, dass sie sich zum Sex verabredeten. Das hatten sie sich angewöhnt, nachdem Anna auf dasselbe Buch gestoßen war wie ich. Darin steht, man solle Sex ebenso behandeln wie einen beruflichen Termin. Mir schauderte bei dem Gedanken. "Montag, 21 Uhr 30, Beischlaf" - Kinder hin oder her, hatte ich nicht irgendwo mal gehört, Sex habe etwas mit Spontaneität zu tun? Mit Lust und ihrem unwillkürlichen Ausbruch? Mit Funken und Feuer?

Andererseits ließ mich der Umstand nicht los, dass der Terminsex laut Anna ziemlich gut funktionierte. Also beschloss ich einige Tage nach der unseligen Dinnerparty - wir hatten nach Bernhards Aufruf zur Untreue rasch das Thema gewechselt, aber da ich mit den Widrigkeiten der Unkrautbeseitigung wenig anfangen kann, waren mein Mann und ich bald darauf nach Hause gefahren, wo wir den Babysitter entlohnten, ins Bett krochen und keinen Sex hatten -, mich von diesem Buch leiten zu lassen. Nur eine Weile, um zu sehen, was geschieht.

Sex-Facts für junge Eltern

Wann Eltern nach der Geburt wieder Sex haben:
43 Prozent innerhalb der ersten sechs Wochen 83 Prozent innerhalb der ersten drei Monate

Gründe für sexuelle Lustlosigkeit junger Mütter:

1. Erschöpfung
2. Angst vor Schmerzen
3. Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper
4. emotionale Beanspruchung durch das Baby

Rückkehr der Erotik

"Wild Life" lautet der Titel der deutschen Fassung des Originals "Mating in Captivity", was mir ein bisschen drollig erscheint, da "Mating in Captivity" so viel bedeutet wie "Paarung in Gefangenschaft" und damit doch einigermaßen das Gegenteil von "Wild Life". Wichtiger war mir aber ohnehin der Untertitel: "Die Rückkehr der Erotik in die Liebe". In diesem Buch stehen praktisch ausschließlich Dinge, die mir beim ersten Lesen ungeheuerlich erschienen. Den Sex nach Stechuhr erwähnte ich bereits.

Die Autorin Esther Perel, eine Paartherapeutin in New York, der sicherlich therapiebedürftigsten Stadt der Welt, formuliert folgende Kernbotschaft: Geht auf Distanz, um Nähe wiederherzustellen. Distanz zwischen Mann und Frau, Mutter und Kind, Tisch und Bett. Je enger ein Paar zusammenwächst, schreibt Perel, in emotionaler, räumlicher und verbaler Hinsicht, erst recht in Verbindung mit der Kindererziehung - desto geringer sei die Chance des Paares, als Liebhaber zu überdauern. Du bist lustig, Esther, dachte ich. Wie soll ich Distanz wahren zu einem Kind, das mir zu Hause auf Schritt und Tritt in jedes Zimmer folgt, sogar ins Badezimmer? Oder zu einem Mann, der mich, wenn wir schon beim Stichwort "Badezimmer" sind, schon viele Male auf dem Klo hat sitzen sehen?

Urlaub ohne Kinder

Wenn das Autorenfoto im Buch der Wahrheit nahekommt, dann sieht Esther Perel sexy aus, das muss ich sagen. Knapp fünfzig Jahre alt, verheiratet, zwei Söhne, eine verführerische Erscheinung. Sie selbst fährt einmal im Jahr für zehn Tage mit ihrem Mann in den Urlaub. Ohne die Kinder. Eine feste Regel. Über die typischen Mangelerscheinungen moderner Eltern hat sie geschrieben: "Sex steht meist ganz unten auf der Liste und kommt gegen die Dringlichkeit anderer, alltäglicher Aufgaben nicht an." Oh ja, dachte ich beim Lesen. "Vielleicht sind wir insgeheim immer noch überzeugt davon, dass sich sexuelle Begierde mit mütterlichen Pflichten nicht verträgt." Aha.

"Es sind nicht die Kinder, die die Flamme der Leidenschaft zum Erlöschen bringen. Es sind die Erwachsenen, denen es nicht gelingt, den Funken am Leben zu erhalten." Aua. Und dann lese ich einen besonders ketzerischen Gedanken: Klar habe sie Verständnis für die Müdigkeit, die jede Lust erwürgt. Aber sei es nicht so gewesen, dass uns als Jungverliebten diese Müdigkeit egal war? Tja.

"Drittfreie Zone"

Ich nahm mir vor, einen Monat lang so zu handeln, wie Esther Perel es Ehepaaren rät. Ohne es meinem Mann zu sagen - ich dachte, dann wirkt der Zauber bestimmt nicht mehr. Das klingt, als hätte ich Perels Empfehlungen eher wie Voodoo aufgefasst als wie therapeutische Lösungen, und wenn ich ehrlich bin, war es auch so. So schlüssig es mir schien, was Perel schrieb: Einem Ratgeberbuch zu folgen, in der Hoffnung, dadurch den Sex neu zu erfinden, erschien mir ähnlich realistisch, wie einem 2000 Jahre alten Buch nachzueifern, in der Sehnsucht, der Welt einen Sinn zu geben. Ich bin Atheistin, auch sexuell gesehen.

Also, Woche eins. Ich habe bisher kein Wort darüber verloren, wie es um das Liebesleben in meiner eigenen Ehe bestellt war. Sagen wir: Es war stabil. Nicht mehr, nicht weniger. Esther Perel schreibt gegen die Kindzentriertheit moderner westlicher Familien an. Die Zärtlichkeiten, die eine Mutter den ganzen Tag über mit ihrem Kind austauscht, seien zwar nicht sexuell, aber in vielen Fällen bräuchten Mütter am Abend einfach keine weiteren Zärtlichkeiten mehr. Eher hätten sie das Gefühl, noch ein weiteres Kind zufriedenstellen zu müssen: ihren Mann. Nun gut.

Ich bestimmte einen Block einiger Stunden, in denen unser Sohn garantiert schläft, zur "drittfreien Zone". Er braucht mich dann nicht. Auch gibt es keine Hausarbeit, keine Telefonate, keine Mails, überhaupt kein Sich-kümmern um fremde Belange; nur Sex - oder zumindest die Möglichkeit dazu. Ich servierte Muscheln zum Abendessen und trug dabei nichts als ein Hemd mit Spaghettiträgern, das mir kaum über die Hüften reichte. "Hast du dich schon umgezogen? Na ja, ich bin auch total erledigt", sagte mein Mann. Immerhin, wir hatten beide "Bett" gedacht.

Guter Sex trotz Kindern funktioniert: eine Frage des Willens und ein bisschen Arbeit
Guter Sex trotz Kindern funktioniert: eine Frage des Willens und ein bisschen Arbeit
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"Lediglich eine Phase"

Woche zwei. Perel beschwört die Kraft des rücksichtslosen, eigensinnigen Verlangens. Ich ließ meinen Mann für drei Tage mit unserem Sohn allein und übergab mich den Händen von Masseuren und der Stille von Whirlpools in einem Wellnesshotel. Als ich am Ende des dritten Tages zurück nach Hause fuhr, fühlte ich mich frei. Ich hatte die Wohnung als Mutter verlassen, aber ich kehrte heim als Frau. Die Wohnung lag still, ich widerstand der Versuchung, im dunklen Kinderzimmer nach unserem Sohn zu sehen. Mein Mann war noch wach. Er wirkte erschöpft, aber munter. Eigentlich schien er weniger erschöpft zu sein als nach einem Wochenende zu dritt. Die Uhrzeit, zu der wir uns dann liebten, war eingedenk der Schlafenszeiten unseres Sohnes nichts Neues.

Doch die Umstände verliehen dieser Nacht eine Magie, die wir schon lange nicht mehr erlebt hatten. Ich musste - natürlich - wieder an einen Satz aus Esther Perels Buch denken: "Wenn Sie Ihre jetzige Situation lediglich als eine Phase in einer lebenslangen Beziehung ansehen, hilft Ihnen das, Geduld zu üben und Hoffnung zu bewahren." Oder so ähnlich. Jedenfalls tröstete mich das sehr. Und ich bedauerte all die Paare, die sich kurz nach der Geburt ihres Kindes trennen, weil der Stress und die Zumutungen sie überfordern und sie sich nicht vorstellen können, dass es einmal besser wird.

Treffen mit dem Ex

Woche drei. Wir verabredeten uns mit einem befreundeten Paar. Wobei das in diesem Fall ein ungenauer Ausdruck ist: Mein Mann kannte weder sie noch ihn. Ich kannte nur ihn. Er war mein Exfreund. Esther Perel empfiehlt das Spiel mit dem Feuer, um verwelkte Lust zu neuer Blüte zu bringen, und ich muss sagen, es gelang. Die Neue meines Alten ist gefühlte zwanzig Jahre jünger als ich; das war es nicht, was ich prickelnd fand. Es war vielmehr die Art, wie mein Mann mich an diesem Abend ansah. Er wusste nicht einmal, mit welchem Mann er es hier zu tun hatte, aber er schien etwas zu wittern, mich zu verteidigen, für sich zu beanspruchen - zu begehren! Dieses Experiment hatte damit, dass wir ein Kind haben, nichts zu tun, da es auch bei kinderlosen Paaren funktionieren kann; doch ein gemeinsames Kind verfestigt Routinen und Sicherheiten einer Beziehung noch einmal so sehr, dass es umso aufregender ist, diese spielerisch infrage zu stellen.

Sex nach Stechuhr

Woche vier. Der Schluss war gewissermaßen auch der Anfang, denn ich probierte aus, was mich zuerst an Esther Perels Buch erschreckt hatte: Terminsex. Perels Argument: Spontaner Sex ist eine tolle Sache, die voller Ungewissheit steckt, leider dem Alltag von Eltern kleiner Kinder gegensätzlich. Spontan geht nicht. Daraus folgert Perel, dass man mit Sex so verfahren soll wie mit anderen Dingen, die man im Familienleben unter einen Hut zu kriegen versucht - man soll ihn planen. "Planung impliziert eine Absicht, die nicht zu unterschätzen ist. Wenn Sie sich ein Schäferstündchen vornehmen, bekräftigen Sie damit Ihre erotische Verbundenheit", schreibt Perel. "Sie sollten die Planung als verlängertes Vorspiel ansehen, das eine halbe Stunde oder zwei Tage andauern könnte." Außerdem, denke ich mir, ist es zwar richtig, dass eine Verabredung zur Liebe erst mal merkwürdig klingt - aber was ist, wenn Sie sich in einem Hotelzimmer treffen und sich eine Flasche Champagner aufs Zimmer kommen lassen?

Es war dreizehn Uhr an einem Samstag. Unser Sohn machte Mittagsschlaf. Ich hatte meinem Mann gesagt, er solle sich einen Trenchcoat anziehen und einen langen weißen Schal. Dabei hatte ich ihn auf die gleiche Art angesehen wie beim Abendessen im Nachthemd, aber diesmal hielt er mich nicht für müde. Ich verkleidete mich als alleinstehende Dame von Welt in den 50er Jahren, wir schlossen unsere Tür und hörten irgendwann auf, auf ein Rascheln aus dem Kinderzimmer zu lauschen.