SEXGEFLÜSTER Lustwandel

Je länger die Beziehung, desto geringerer die Lust auf Sex? Kolumnistin Hannah Garbaty denkt über mögliche Ursachen nach und erzählt von eigenen Erfahrungen mit dem Lustwandel.

Sind wir frisch verliebt, dann genügt schon der klitzekleinste Gedanken an das begehrte Wesen und uns peitscht die pure Lust. Nie können wir genug voneinander bekommen, ständig fallen wir übereinander her und können auch nach einer Party nachts um 3 Uhr nicht einschlafen, ohne uns nicht vorher noch geliebt zu haben.

In dieser Zeit genügt schon ein Blick, eine Berührung mit dem Ellenbogen oder ein Hauch des geliebten Dufts und schwupps - stehen wir wieder unter Strom.

Verliebt sein ist der blanke Wahnsinn ? und wie sehr genießen wir es, so wahnsinnig sinnlich zu sein, nicht wahr? Zumal wir ja wissen, dass diese Zeit irgendwann ihr Ende finden wird, denn wäre das nicht so, dann würden wir wahrscheinlich spätestens nach 3 Jahren Dauerstrom einer sehr unerotischen Herzattacke zum Opfer fallen.

Endet diese verrückte Phase happy, dann beginnt eine ernsthafte Beziehung. Wir lieben uns natürlich immer noch heftig, aber wir kümmern uns auch mal wieder um unsere Hobbys und Freunde, wir können etwas unternehmen, ohne dabei dauerzuknutschen und fallen auch nicht mehr in jeder Lebenslage übereinander her. Unsere Lust gerät wieder in normalere Bahnen. Da kann es schon mal passieren, dass wir nachts um 3 Uhr wirklich müde sind und einfach nur schlafen. Dass wir mal allein sein wollen. Dass wir uns eine erotische Auszeit nehmen, weil die Regel einsetzt oder uns ein fieser Virus am Wickel hat. Eben ganz normal.

Dabei muss der sexuelle Appetit keineswegs kleiner werden, allerdings kann es jetzt passieren, dass die ersten Unterschiede in der Häufigkeit der Lustanfälle zutage treten. Da man jedoch häufig noch nicht zusammen wohnt, hat jeder noch Chancen, seinem ureigenen Rhythmus Tribut zu zollen. Außerdem fördert es die Libido, wenn man Sehnsucht empfindet, weil der andere nicht da ist bzw. wenn man eine Tür hinter sich zumachen kann, weil man mal seine Ruhr haben will.

Schwierig wird es, wenn man dann einige Jahre zusammen ist. Noch schwieriger, wenn man eine gemeinsame Wohnung teilt. In beiden Fällen gibt es keine Chance mehr, dem fiesen, dicken Alltag zu entkommen: Arbeitsstress, Haushalt, Freunde, Hobbys, wenn möglich gar noch Kinder... und zwei Menschen mit sexuellen Bedürfnissen. Jetzt geht es um die Wurst. Können sie sich die erotische Anziehung bewahren, ihre libidösen Rhythmen aufeinander abstimmen und die sexuelle Spannung pflegen? Leider kriegen das die wenigsten so hin, dass beide auf Dauer richtig zufrieden sind.

Ich nehme mich da keineswegs aus. Der Mann, mit dem ich vor Jahren eine Wohnung geteilt habe, war mal eine große Liebe, gar keine Frage. Doch zum Ende unserer Beziehung hin reduzierte sich der sexuelle Kontakt auf ein Mal alle zwei Monate ? und das war dann noch nicht mal mehr dem Begehren der geliebten Person, sondern eher einer Art Aufbegehren der Natur geschuldet. Meine Lust ist im Laufe der Jahre Stück für Stück in viel zuwenig Aufmerksamkeit füreinander und viel zuviel unerwünschter Intimität gestorben.

Es begann schon damit, dass ich es nicht mehr sehr spannend fand, jemanden zu verführen, der Nacht für Nacht nur Armeslänge entfernt, allzeit bereit und nackt neben einem liegt. Prickelnde Aktivitäten an anderen Orten fanden nicht mehr statt ? irgendwie hatte sich mit der Zeit schleichend eingespielt, dass Sex abends im Bett zu passieren hat.

Aalte ich mich mal genüsslich in der Wanne, musste mein Ex mit Sicherheit in dieser Zeit dringend aufs Klo ? das war schon fast wie die Sache mit dem Pawlowschen Reflex.

Mit der Zeit ging er auch wieder zu seiner vorehelichen Kleiderordnung über: Er fand es urgemütlich, zuhause in Unterwäsche herumzulaufen ? ungeachtet der Tatsache, dass ich diesen Anblick alles andere als phantasieanregend oder gar erotisch fand. Dass er sich nach getaner Arbeit nicht mehr duschte, machte es nicht besser.

Auch unsere Gespräche wandelten sich: Wer kauft ein, was gibt es zu essen, wann putzen wir die Küche und warum kommt seine Mutter schon wieder übers Wochenende zu Besuch? Wir hatten uns kaum noch etwas zu erzählen.

Natürlich kam es, wie es kommen musste: Ich hatte immer weniger Lust, mit ihm zu schlafen. Das führte natürlich zu Diskussionen, denn seine Libido war rege wie eh und je. Doch was sollte ich sagen? Ich wollte halt nicht. Und so spürte und hörte ich 2-3 mal wöchentlich, wie sich mein Ex im Bett nebenan selbst befriedigte, während ich mich schlafend stellte ? froh, meine Ruhe zu haben. Lieber räumte ich beim Bettenmachen die klebrigen Tempos weg. Weiter in die Tiefe will ich gar nicht gehen.

Was war passiert? Heute und mit dem nötigen Abstand einiger Jahre, weiß ich, dass wir in die schlimmste aller Fallen getappt sind: Den anderen als selbstverständlich hinzunehmen, sich gehen zu lassen, nur noch den Alltag zu leben und nicht rechtzeitig dagegen aufzubegehren.

Wir hatten versäumt, uns unsere Liebesinseln zu schaffen, wo in aller Muße genussvolle Sinnlichkeit zelebriert werden kann - in stressigen Zeiten mal weniger, in entspannten Phasen mehr, aber immer mit unendlich viel Aufmerksamkeit und Befriedigung. Tagtäglich um den anderen zu werben. Das Begehren zu hegen und zu pflegen.

Diesen Fehler scheinen viele Paare zu machen, denn eine arte-Umfrage brachte das traurige Ergebnis, je länger eine Partnerschaft besteht, desto geringer wird die sexuelle Zufriedenheit und umso spärlicher der Geschlechtsverkehr. Wertet man die Umfrage pessimistisch aus, kommt man zu dem Schluss, dass glückliche langfristige Beziehungen überhaupt nicht möglich sind. Optimisten - wie ich einer bin - stellen zumindest fest, dass es eine hohe Kunst sein muss, sich die Lust auf Sex in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft zu bewahren.

Wie man diese Herausforderung angeht, kann sehr unterschiedlich sein. Mein Liebster und ich, wir haben in den drei Jahren unserer Beziehung einen ganz eigenen Weg gefunden:

Obwohl wir nicht zusammen wohnen, verbringen wir doch den größten Teil der Woche zusammen. Allerdings immer auf dem Prinzip der Freiwilligkeit ? wenn ich mal meine Ruhe haben möchte, kann ich das sagen, ohne Beleidigung hervorzurufen. Und umgekehrt.

Trotzdem gab es auch unter diesen freudvollen Umständen im erotischen Bereich so manchen Lustwandel: Nach der wilden Anfangsphase setzten sich die natürlichen Rhythmen durch. Meiner besagt zwar, dass ich im Durchschnitt mit ein Mal wöchentlich befriedigendem, wunderbaren Sex sehr glücklich bin, doch da ich ein Weib mit einem Zyklus bin, kann von Regelmäßigkeit keine Rede sein. Zu Zeiten des Eisprungs würde ich am liebsten täglich Sex haben, zur Periode hin eher weniger. Mal brauche ich langsame, sehr sanfte Zärtlichkeit, mal wilde Attacken, die mir den Atem rauben. Schwierig zu bewerkstelligen, oder?

Mein Liebster hat da schon regelmäßigere Bedürfnisse. Außerdem liebt er es, sich vor dem Einschlafen noch ein bisschen sexuell zu entspannen, auch wenn er eigentlich hundemüde ist. Anfangs ließ ich mich immer gern verführen, denn er ist ein hervorragender Liebhaber und versteht es, meine Lust hervorzukitzeln. Aber wenn ich nicht von vornherein in Stimmung bin, brauche ich etwas länger, um richtig heiß zu werden und noch länger bis zum Orgasmus. Ahnen Sie, was in dieser Konstellation ? er eigentlich müde, ich mit der langen Leitung - oftmals passierte? Na klar: Der Liebste hatte also zuerst seinen Höhepunkt. Aufmerksam, wie er ist, hatte er schon noch ernsthaft vor, mir auch zu meinem zu verhelfen, doch die Müdigkeit forderte ihren Tribut: Noch mit den Fingern zwischen meinen Schenkeln, fiel er sanft und zufrieden in einen komatösen Schlaf. Und ich lag da: hellwach, superheiß und mir allein. Frustrierend!

Nachdem das einige Male zuviel passiert war, nahm meine Lust, mit ihm zu schlafen, gnadenlos ab. Irgendwie fehlte das Urvertrauen, dass auch ich meinen Spaß bekommen würde. Außerdem ertappte ich mich dauernd dabei, dass ich argwöhnisch den Stand seiner Schläfrigkeit belauerte und mich dementsprechend beim Sex nicht mehr richtig fallen lassen konnte.

Heute haben wir eine Vereinbarung: Wir schlafen nur noch dann miteinander, wenn wir beide es wollen und keine Einschlafgefahr herrscht. Um den »Rest« unserer sexuellen Bedürfnisse kümmern wir uns allein. Praktisch sieht das so aus, dass er seine Einschlafentspannung in handgreiflicher Eigenliebe bei sich zuhause zelebriert. Ebenso ich: Wenn mich meine libidoreiche Eisprung-Phase befällt und der Liebste ist müde oder nicht da, dann weiß ich mir auch allein zu helfen.

Ist doch nur gerecht, oder? Und am allerwichtigsten: Unsere Lust aufeinander bleibt seitdem ungebrochen, denn wenn wir miteinander schlafen, ist es immer ein Highlight, das lange nachwirkt und uns ein Dauerlächeln aufs Gesicht zaubert.

Allerdings findet dieses Highlight wesentlich seltener statt als 2-3 mal wöchentlich ? die durchschnittliche Häufigkeit von Geschlechtsverkehr lt. Umfragen und Fernsehberichte. Na und? Wir haben uns dazu entschieden, Qualität vor Quantität zu stellen. Das ist eben UNSER Weg, um das Schöne, das wir haben, zu erhalten und dem Lustwandel ein Schnippchen zu schlagen.

Andere Paare werden sicherlich andere Möglichkeiten ausprobieren und finden. Ich denke, wenn man sich von Druck bzw. Klischees befreit und sich jeden Tag aufs Neue aufmerksam umeinander bemüht, dann gibt es eine Chance, auf Dauer miteinander glücklich zu sein ? auch wenn Umfragen etwas anderes behaupten. Und diesen Optimismus werde ich hegen und pflegen wie meine Lust.

In freudiger Erwartung auf Ihre Meinungen und Abenteuer verbleibt bis zur nächsten Woche

Ihre Hannah Garbaty