Kopf im Sand Finanzieller Analphabetismus gefährdet Privatvorsorge

Die Deutschen sind finanzielle Analphabeten. Die meisten haben von Geldanlagen wenig Ahnung. Vor privater Altersvorsorge drücken sie sich nach neuen Studienergebnissen möglichst lange herum - mit manchmal dramatischen Folgen.

Die Deutschen sind finanzielle Analphabeten. Die meisten haben von Geldanlagen wenig Ahnung. Vor privater Altersvorsorge drücken sie sich nach neuen Studienergebnissen möglichst lange herum. Für Banken, Börsen- und Rentenexperten steht fest: Angesichts des steigenden Privatisierungsdrucks bei den Renten gehört verbrauchernahe ökonomische Bildung an deutschen Schulen fest auf den Stundenplan. Denn ob eigene schmerzliche Erfahrungen nach dem Börsencrash reichen, die Menschen von riskanten Aktiengeschäften abzuhalten, bleibt weiterhin fraglich.

Aus Unsicherheit gar nichts machen

Die Zahlen sprechen für sich: Fast zwei Drittel der 2.000 Befragten in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung finden Finanzfragen schwierig. Bei der Entscheidung für Lebensversicherung, Aktien oder Fondsanlage bleibt auch nach längerer Bedenkzeit bei jedem Zweiten ein unsicheres Gefühl. Die Konsequenz: "Viele schließen Verträge für Vorsorgeprodukte ab, die nicht optimal für ihre Situation sind, oder sie schieben die Entscheidung auf die lange Bank", befürchtet der Rentenexperte und Autor der Studie, Johannes Leinert. Im schlimmsten Fall ließen sie die Vorsorgeplanung weg: "Bei der Steuererklärung gibt es eine Abgabefrist, bei der Altersvorsorge nicht."

Eine stärkere Verankerung von Wirtschaftsthemen in den Schulen ist laut Leinert der beste Weg aus der Misere. "Im angelsächsischen Raum sind sie damit schon viel weiter, weil die Privatvorsorge dort gang und gäbe ist." Statt ökonomischer Theorien und Betriebswirtschaft müsste seiner Meinung nach in der Schule vor allem Lebenspraktisches wie Risiko, Renditechancen und Kosten verschiedener Anlageformen im Vordergrund stehen.

Schulen stärker gefordert

Abhilfe schaffen sollen Projekte wie "Ökonomische Bildung Online" der Bertelsmann-Stiftung, bei dem sich bisher 250 Lehrer in Themen wie "Finanzdienstleistungen und Verbraucherschutz" oder "Geldanlage und Vermögensbildung" fortbilden. Bisher nehmen 10 Bundesländer teil, die Finanzierung nach 2004 ist jedoch noch unklar. Das Deutsche Aktieninstitut, dessen Chef Rüdiger von Rosen an der Ausarbeitung der Inhalte mitbeteiligt ist, wünscht sich jedoch mehr Zuspruch von den Kultusministerien bei Wirtschaftsthemen. Mit Altersvorsorge müssten sich junge Menschen schon vor dem Eintritt in die Arbeitswelt auskennen. "Sie müssen wissen, dass sie für ihre Altersabsicherung entscheidend selbst verantwortlich sind", sagt von Rosen.

Aber auch außerhalb der Schule gibt es Handlungsbedarf. So könnte der Verbraucherschutz stärker auf Finanzprodukte ausgeweitet werden. Zur Unwissenheit vieler Bürger kommt nach Meinung vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) ein immer undurchsichtigeres Angebot. Die Chancen von Anlagen würden überbetont, mit den Risiken hielten die Anbieter dagegen hinterm Berg. Die Verbraucherschützer plädieren für vorgeschriebene Transparenz: "Gesetzliche Regeln sind nötig, weil die Selbstverpflichtung nicht zu dem gewünschten Ziel geführt hat", sagt vzbv-Sprecher Christian Fronczak. Damit Policen vergleichbar seien, müssten beim Effektivzins alle Kosten angegeben werden.

Kein Bewusstsein für Risikobewertung

Auch bei der Risikobewertung kennen sich viele Deutsche schlecht aus. So hält gemäß den Ergebnissen der Bertelsmann-Studie mehr als jeder Vierte Aktien für eine sichere Geldanlage gegen Wertverlust - und das zu einer Zeit, in der der jähe Absturz des Deutschen Aktienindex bei vielen noch in Erinnerung sein dürfte: Von Frühjahr 2000 büßte das Kursbarometer innerhalb von drei Jahren fast drei Viertel seines Wertes ein. Noch schlimmer traf es viele Anleger, die am Neuen Markt investierten: Der Index sackte in dieser Zeit von einem Höhenflug von über 9600 Zählern auf 300 Punkte ab.

Nicht nur Unwissenheit und die Komplexität der Angebote sorgen für Fehleinschätzungen. Das Institut für Finanzdienstleistungen Hamburg (iff) weist darauf hin, dass Schwierigkeiten in Finanzfragen ein Tabuthema sind. Viele verunsicherte Anleger gäben nicht zu, dass sie bei der Beratung etwas nicht verstanden hätten. iff-Mitarbeiter Achim Tiffe: "Es heißt höchstens mal, ich hab an der Börse Geld verloren, aber keiner sagt offen: Ich hab was unterschrieben, was ich nicht verstanden habe."

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Nadine Schwede, dpa