BBC-Star Hannah Fry im Interview "Es ist wie ein unbändiger Appetit, Fragen über Fragen zu stellen": Weltreise mit einer berühmten Mathe-Professorin

  • von Luisa Paulin
Eine bekannte Stimme des BBC: Mathe-Professorin Hannah Fry reist mit NationalGeographic um die Welt. Es geht nach Island, Spanien, Irland, Vietnam, Südkorea und Griechenland.
Eine bekannte Stimme des BBC: Mathe-Professorin Hannah Fry reist mit NationalGeographic um die Welt. Es geht nach Island, Spanien, Irland, Vietnam, Südkorea und Griechenland.
© Atomic Television
Die Mathe-Professorin Hannah Fry reist für National Geographic in ihrer Doku-Serie "Mit Neugier um die Welt" in sechs verschiedene Länder, um mehr über die dortige Kultur und das Leben der Einwohner zu lernen. Ein grandioser Anlass für ein weltumspannendes Interview.

Die Britin Hannah Fry ist Professorin der Mathematik, Autorin und eine der bekanntesten Stimmen des BBC. Immer wieder setzt sie sich mit den versteckten Fragen des Alltags auseinander und wirft ein Licht auf die kleinen Dinge, die oft übersehen werden. In ihrer neuen National Geographic-Reisedokumentation "Mit Neugier um die Welt" bereist sie sechs verschiedene Länder. Sie drehte in Island, Spanien, Südkorea, Griechenland, Vietnam und Irland. Die Serie (sie wird am Montag, 24. November, 21 Uhr, erstmals auf NationalGeographic in Deutschland augestrahlt) ist ein intensiver Reisebericht. Fry möchte nicht nur die schönsten Sehenswürdigkeiten abklappern, sondern auch besondere Persönlichkeiten treffen, am Alltag der Menschen teilnehmen und die kulturell-historischen Motoren enthüllen, die diese Länder antreiben. Im Interview gibt sie spannende Einblicke, wie sie die Welt wahrnimmt – und wie die Mathematik sie fordert und antreibt.

"Mit Neugier um die Welt" – Aber was bedeutet Neugier für Hannah Fry?

teleschau: Neugier spielt in Ihrer Doku-Serie auf National Geographic eine titelgebende Rolle. Was genau bedeutet Neugier für Sie?

Hannah Fry: Ich denke, es ist wie ein unbändiger Appetit, Fragen über Fragen zu stellen. Die Zuschauer merken, wenn man nicht authentisch ist, aber ich bin einfach eine absolut neugierige Person. Egal, in welcher Situation ich mich befinde, versuche ich zu verstehen, wie die Dinge funktionieren und wie einzelne Teile miteinander arbeiten. Bei Menschen ist das genauso, ich frage mich, wie sie als Individuen und ihre Leben mit größeren philosophischen, kulturellen und historischen Fragen zusammenhängen. In der Serie kann man, denke ich, diese konstanten Fragen sehr gut nachvollziehen.

teleschau: Mathematik ist eines ihrer Lieblingsthemen und auch ein zentraler Teil Ihres Werdegangs, Sie sind Professorin der Mathematik. Was ist es an diesem abstrakten und sehr fordernden Fach, das Sie so fasziniert?

Hannah Fry: Um ehrlich zu sein, bin ich einfach niemals mit Mathematik fertig geworden. Es war nicht so, dass ich mich anfangs hingesetzt habe und gedacht habe: Ich werde jetzt Mathe-Professorin, am besten gleich an der Cambridge University oder so etwas. Es war mehr so, dass ich in jedem Moment, in dem ich noch nicht fertig war, an jedem Punkt, an dem ich hätte aufgeben können, einfach noch ein bisschen mehr wollte. Ich weiß, dass die meisten Menschen sich nicht zu diesem Fach hingezogen fühlen, aber ich habe einfach diese Angewohnheit, mich in Unbehagen zu stürzen. Die Tatsache, dass Mathematik etwas war, das sich ziemlich schwierig anfühlte, ziemlich herausfordernd, wie ein Berg, den es zu erklimmen galt – das ist es, das mich bis heute an diesem Fach fasziniert.

"Viele Fragen zu haben, bedeutet nicht automatisch viele Antworten zu haben"

teleschau: Wie prägt Ihre Arbeit als Mathematikerin Ihre Herangehensweise an ein Projekt wie die National Geographic-Serie?

Hannah Fry: Ich denke, ich analysiere von Natur aus gerne. Mein Werdegang hat das dann noch zusätzlich geprägt. Viele Fragen zu haben, bedeutet nicht automatisch, viele Antworten zu haben, sondern mehr, dass man Theorien aufstellen kann, die man dann testen und erforschen darf. Und das bereitet mir unglaublich viel Freude.

teleschau: Entstand aus diesem Antrieb heraus die Doku-Serie?

Hannah Fry: National Geographic und ich wollten schon eine ganze Weile miteinander arbeiten, und wir waren auf der Suche nach einem Pitch, der sich richtig anfühlt. Wir fragten uns, wie es wäre, eine Reiseserie zu machen, in der man das Gefühl hat, mit mir in den Urlaub zu fahren. Wie könnte das aussehen? Die Serie ist im Wesentlichen das Ergebnis davon.

teleschau: Wie haben Sie die Länder gewählt, in die Sie gereist sind? Was haben Irland, Island, Vietnam, Spanien, Südkorea und Griechenland gemeinsam?

Hannah Fry: Tatsächlich wollten wir Länder auswählen, deren Geografie sich deutlich voneinander unterschiedet. Beispielsweise ist da Griechenland mit seiner Lage an der Ägäis und den vielen verstreuten Inseln. Die Einwohner wurden zu Seefahrern mit historisch bahnbrechenden Techniken, und in jeder Richtung, in die sie sich bewegen konnten, gab es etwas Neues zu entdecken. Vergleichen wir das mit einem Land wie Island, einer isolierten Landmasse umgeben von einem unbändigen Ozean. Oder Spanien, das war diese historische Großmacht, die bis heute von der Geografie der iberischen Halbinsel geprägt ist und von dort aus halb Amerika kolonialisierte. Vergleichen Sie das wiederum mit einem Ort wie Südkorea, der geografisch sehr verletzlich zwischen Russland, China, Japan und Nordkorea liegt und trotzdem heutzutage in der globalen Wirtschaft zentral mitspielt. Die Kernidee ist, dass die Geografie eines Ortes, die physische Struktur der Landschaft, großen Einfluss darauf hat, wer die dortigen Menschen sind und wie sie sind. Und diese Beziehungen waren unser Hauptfokus.

"Wie bringt man seine nationale Vergangenheit und seine Hoffnungen für die Zukunft in Einklang?"

teleschau: Nachdem Sie nun alle diese sehr verschiedenen Länder besucht haben, gab es da eine übergreifende Erkenntnis, die Sie nicht erwartet hatten?

Hannah Fry: Ja, alle diese Länder sind sehr unterschiedlich, aber sie alle müssen dieselbe Frage mit sich verhandeln: Wie bringt man die Vergangenheit, seine Geschichte, mit der Hoffnung auf das, was man sein möchte, in Einklang? Das ist eine wirklich schwierige Frage, mit der jedes Land auf seine eigene Weise zu kämpfen hat. Griechenland ist ein klassisches Beispiel. Das antike Griechenland hatte einen so großen, globalen Einfluss, der bis heute noch massiv zu spüren ist, aber wie lebt man in dessen Schatten? Wie findet man so seinen Platz auf der Weltbühne? Dann gibt es Länder wie Vietnam, die einen etwas anderen Weg eingeschlagen haben.

teleschau: Inwiefern?

Hannah Fry: Ich glaube, viele Menschen weltweit denken immer noch an Vietnam, wie an das vom Krieg zerstörte Land, das man aus den Kriegsfilmen der 80er- und 90er-Jahre kennt. Und in Vietnam selbst möchte man diese schmerzhafte Geschichte natürlich nicht vergessen, aber gleichzeitig möchte man auch nicht in der Vergangenheit leben. Es gibt sehr wenig bittere Gefühle und Ressentiments, beispielsweise gegenüber den Amerikanern, was ich ehrlicherweise wirklich überraschend finde. Es gibt für die Menschen dort keinen wirklichen Grund, die immergleichen Argumente wieder aufzuwärmen. Es gibt dort eine gewisse Leichtigkeit und Freiheit, die in die Zukunft blicken möchte. Man will ein Land sein, in das die Menschen kommen wollen, anstatt eines, aus dem sie fliehen möchten. Und damit kommen wir wieder auf diese Frage zurück, die für jedes Land relevant ist: Wie ehrt man das, was einmal war, ohne sich selbst in seiner Zukunft einzuschränken? Das ist wirklich schwierig. Das war wirklich eine kleine Überraschung für mich. Ich hatte nicht erwartet, dass das auch in der Dokumentation so deutlich zum Ausdruck kommen würde.

teleschau: Wir beobachten global, wie nationale Identitäten und Geschichte instrumentalisiert werden, wie Menschen voneinander isoliert, Gesellschaften gespalten werden. Glauben Sie, dass Neugier, wie Sie sie an den Tag legen, etwas ist, das wieder mehr verbinden könnte?

Hannah Fry: Ja, ich denke, dass die Art und Weise, wie Sie das beschreiben, mich denken lässt, dass hier ganz grundlegend Empathie der Schlüssel ist. Dass man rausgeht und andere Standpunkte nachvollziehen möchte, um zu verstehen und nicht um seine eigenen Sichtweisen jemand anderem aufzuzwingen. Das muss doch zwangsläufig etwas Gutes sein, oder?

(Die Doku-Serie ist im Anschluss an die lineare Ausstrahlung auch über Deutsche Telekom (MagentaTV), Vodafone Deutschland (GigaTV), 1&1, T-Mobile Austria (MagentaTV), A1 Telekom Austria, M7 Group (HD Austria, Canal+ AT, Canal+ CH), Swisscom (BlueTV) und Sunrise UPC verfügbar.)

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