Der Investigativ-Blog Kaltes Herz auf heißem Stuhl

Der Investigativ-Blog: Kaltes Herz auf heißem Stuhl

Den künftigen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen holt die Vergangenheit ein. Dokumente belegen, wie emotionslos er über den Ex-Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz urteilte. Wir zeigen den Vermerk.

Der Jurist Hans-Georg Maaßen (50), Ministerialdirigent im Innenministerium, steht unter Druck. Ab August soll er als Präsident den durch den NSU-Skandal gebeutelten Verfassungsschutz umkrempeln. Ein unbequemerer Chefsessel ist in der deutschen Spitzenbürokratie kaum vorstellbar. Die Personalie wurde gestern vom Bundeskabinett abgesegnet. Sie ist umstritten, denn Maaßens lupenreine Juristen- und Beamtenkarriere hat einen wunden Punkt: einen vertraulich gestempelten Vermerk aus dem Jahr 2002.

Darin geht es um den Bremer Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz. Obwohl deutsche Geheimdienstler Kurnaz im US-Militärlager verhört und für harmlos befunden hatten und die Amerikaner Kurnaz freilassen wollen, entschieden die Spitzen von Sicherheitsbehörden und Kanzleramt Ende Oktober 2002, ihn nicht wieder einreisen zu lassen. Der damalige Ministerialrat Dr. Maaßen, Experte für Ausländerrecht, lieferte noch am selben Tag die entsprechende formaljuristische Stellungnahme. (Klicken Sie auf die folgenden Ausschnitte, um sie zu vergrößern.)

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Die Amerikaner hatten den türkischen Staatsbürger Kurnaz Anfang 2002 nach Guantanamo verschleppt – ohne Zugang von Anwälten oder Diplomaten. Kurnaz hatte also keinerlei Möglichkeit, seine Frist für die Wiedereinreise in Bremen verlängern zu lassen. Doch Jurist Maaßen, Leiter des Referats Ausländerrecht im Innenministerium, befand: „Da der Ausländer sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hat, ist seine Aufenthaltsgenehmigung grundsätzlich nach § 44 Abs.1 Ziffer 3 AuslG erloschen.“ Dabei komme es nicht „auf die Tatsache der Freiwilligkeit der Abwesenheit an.“ Bei der Frage der Aufenthaltsgenehmigung habe „Rechtsklarheit zu herrschen“.

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Somit war Kurnaz das Recht auf Rückkehr verwehrt. „Diese Entscheidung war nicht nur abwegig, sondern von menschlicher Kälte geprägt“, sagt Kurnaz-Anwalt Bernhard Docke. „Eine haarsträubende und menschenfeindliche Rechtsauffassung“, urteilt Ex-Bundesrichter Wolfgang Neskovic, Justiziar der Links-Partei und nennt den künftigen Verfassungsschutzpräsidenten einen „empathielosen Technokraten“.

Im Februar 2007, mehr als vier Jahre nach seinem Vermerk, zeigte Hans-Georg Maaßen keinerlei Einsicht. Laut „Arbeitsauftrag“, sagte er als Zeuge im BND-Ausschuss aus, sollten er und seine Mitarbeiter im Innenministerium 2002 darlegen, „ob es möglich ist, die Einreise des Herrn Kurnaz nach dem geltenden Ausländerrecht zu verhindern“. Und „laut Vorschrift“ und „kraft Gesetzes“ erlösche die Aufenthaltsgenehmigung, „wenn der Ausländer ausreist und nicht innerhalb von sechs Monaten wieder eingereist ist.“

Wie aber hätte der Gefangene Kurnaz wieder einreisen können? Maaßen trotzig: „Schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kommt es allein auf die Abwesenheit von mehr als sechs Monaten an. Nicht entscheidend ist, ob der Auslandsaufenthalt freiwillig erfolgt.“ Der Gesetzgeber habe „für die besondere Fallgestaltung, dass sich jemand unfreiwillig über lange Zeit im Ausland aufhält, keine ausdrückliche Regelung vorgesehen.“

Maaßen setze in seinem Vermerk noch eins drauf und schlug vor, den Aufenthaltstitel im Pass von Kurnaz ungültig zu stempeln. „Dies entspricht der mir bekannten allgemeinen Verwaltungspraxis.“ Man hätte die Amerikaner um Herausgabe des Passes bitten können, so Maaßen später, und „der hätte durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ungültig gestempelt werden können“. Die Amerikaner, ohnehin voller Unverständnis, dass die Deutschen den harmlosen Kurnaz nicht zurücknahmen, spielten aber nicht mit.

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Anders als Maaßen urteilte das Bremer Verwaltungsgericht Ende 2005, dass die Aufenthaltsgenehmigung von Kurnaz für die Bundesrepublik Deutschland nicht erloschen war. Anders als der erzloyale Jurist im Innenministerium gingen die drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richter in Bremen ausdrücklich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ein. Die „weitgehend bestehende Kontaktsperre und das langfristige Vorenthalten anwaltlichen Beistands ist mit dem bundesdeutschen Grundsätzen über ein rechtsstaatliches Verfahren nicht vereinbar.“ Aufgrund der Haftbedingungen sei Kurnaz objektiv daran gehindert gewesen, fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen. Maaßens Rechtsauffassung war somit rechtswidrig. Murat Kurnaz konnte im August 2006 aus Guantanamo nach Deutschland zurückkehren.

Befragt nach dem Bremer Urteil, geriet Hans-Georg Maaßen im BND-Ausschuss ins Schlingern: Ein solches Urteil sei im Herbst 2002 „nicht vorhersehbar“ gewesen. „Ich will nicht sagen, dass die Entscheidung falsch ist, das steht mir auch gar nicht zu. Nur - das erkläre ich hier noch mal ausdrücklich -: Ich bin nicht der Auffassung, dass diese Entscheidung richtig ist, jedenfalls nach meiner Rechtsauffassung.“

Sein vertraulicher Vermerk von Oktober 2002, der wunde Punkt in der Karriere des künftigen Verfassungsschutz-Präsidenten, gab nun auch den Ausschlag bei einem erstaunlichen Vorgang. Der Akademische Senat der Freien Universität Berlin verweigerte am 11. Juli dem langjährigen Lehrbeauftragten Maaßen eine Honorarprofessur. Sein Vorgehen im Fall Kurnaz galt mehreren Professoren in dem Gremium als nicht vereinbar mit den Grundwerten der Universität. Publik wurde dies, nachdem der Spitzenjurist gestern vom Bundeskabinett zum Chef des Inlandsgeheimdienstes ernannt worden war. Hans-Georg Maaßen stolpert in sein neues Amt.

von Uli Rauss
Foto: Wolfgang Kumm/DPA