Der Investigativ-Blog Killerkeime im Untergrund

  • von Christina Elmer
Der Investigativ-Blog: Killerkeime im Untergrund

Etwa 1000 Menschen starben 2010 bundesweit an multiresistenten Bakterien. Bei den berüchtigten MRSA-Keimen lässt sich die Verbreitung sogar regional nachvollziehen. Doch die Statistik hat tote Winkel.

Wer von Krankenhauskeimen befallen ist, hat nicht selten schwer mit den Bakterien zu kämpfen. Denn die Erreger mit den umständlichen Abkürzungen MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) oder ESBL (Extended–Spectrum Beta-Laktamase) lassen sich von vielen der gängigen Antibiotika nicht beeindrucken. Sie sind multiresistent. Und verursachten allein im Jahr 2010 bis zu 1000 Todesfälle und mehr als 12.000 zusätzliche Behandlungstage, wie eine Studie des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Berliner Charité ergab.

Wie verbreitet Infektionen mit MRSA-Keimen sind, soll die seit 2009 bestehende offizielle Meldepflicht zeigen. Auf der Webseite des Robert Koch-Instituts werden die gemeldeten Fälle zeitnah veröffentlicht – aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Altersgruppe und dem Wohnort des Patienten. Insgesamt 4428 Infektionen mit MRSA-Erregern wurden demnach im vergangenen Jahr gezählt. Vergleicht man die Inzidenzen, also die Fälle je 100.000 Einwohner der Landkreise und kreisfreien Städte, bilden sich gut sichtbare regionale Muster auf der Karte:

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Der Investigativ-Blog: Killerkeime im Untergrund

Quellen: RKI: http://www3.rki.de/SurvStat (Stand: 17.01.2012), Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, Frankfurt am Main, 2012

Während im Süden Deutschlands vergleichsweise wenige MRSA-Fälle registriert wurden, fallen Regionen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern mit überdurchschnittlich hohen Werten auf. Wobei die regionale Verteilung gerade im Nordosten nicht ganz eindeutig ist, da aufgrund der Kreisgebietsreform viele Fälle offenbar noch nicht zugeordnet werden konnten. Daher sind auf der Karte alle Kreise und Städte Mecklenburg-Vorpommerns nach dem landesweiten Durchschnitt eingefärbt.

Für Annette Jurke, Epidemiologin beim Landeszentrum Gesundheit in Nordrhein-Westfalen, stecken zwei Effekte hinter den relativ hohen Werten in ihrem Bundesland: "Einerseits gibt es offenbar tatsächlich Regionen in Deutschland, in denen mehr Menschen mit MRSA-Keimen infiziert sind. Zudem steht das Thema bei uns aber auch schon seit Jahren im Fokus, so dass sowohl Labore als auch Gesundheitsämter sensibilisiert sind und wir möglicherweise eine geringere Untererfassung haben als andere Bundesländer."

Ein Beispiel für dieses erhöhte Bewusstsein gegenüber multiresistenten Erregern ist der Landkreis Höxter. Im bundesweiten Regionalvergleich belegt der Kreis mit 20 gemeldeten MRSA-Fällen je 100.000 Einwohnern einen der vorderen Ränge. Allerdings werden neue Patienten in den Kliniken des Landkreises mittlerweile sogar standardmäßig auf diverse Keime getestet. Weil diese Tests noch nicht überall in gleichem Umfang gemacht werden, lassen sich die regionalen Häufigkeiten nur bedingt vergleichen. Hinzu kommen recht kleine Fallzahlen, zum Beispiel wurden in Höxter gerade einmal 29 Infektionen gezählt. Zufällige Schwankungen können in diesen Größenordnungen sehr viel ausmachen.

Die gravierendste Lücke der MRSA-Statistik aber liegt in ihrer Begrenzung auf eine einzige Erreger-Klasse: "Relevanter als die MRSA-Keime erscheinen uns gramnegative Bakterien, auch weil dafür weniger Reserve-Antibiotika zur Verfügung stehen", sagt Petra Gastmeier, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Berliner Charité. Im Gegensatz zu MRSA haben gramnegative Bakterien eine besonders dünne Zellwand. Zu ihnen gehören die Erreger des Typs ESBL, die sich auch außerhalb der Krankenhäuser munter verbreiten: "Die meisten Klinikpatienten, bei denen multiresistente Keime festgestellt werden, haben diese mit ins Krankenhaus gebracht. Wir haben festgestellt, dass die Bevölkerung gerade mit ESBL-Keimen in erheblichem Ausmaß kolonisiert ist", sagt Gastmeier.

Wie viele Menschen die Keime bereits in sich tragen, ohne an ihnen zu erkranken, lässt sich für die Gesamtbevölkerung bislang nur schätzen. Per Meldepflicht registriert werden lediglich Patienten mit einem positiven Bluttest. "Die Meldedaten der Gesundheitsbehörden zeigen nur die Spitze des Eisbergs", sagt Annette Jurke. "Wer multiresistente Bakterien im Blut hat, der ist daran schon schwer krank geworden. Weitaus häufiger kommt es vor, dass Menschen Wundinfektionen mit diesen Keimen haben. Und noch häufiger, dass sie mit ihnen schlicht und einfach besiedelt sind."

Insofern täuschen die feinsäuberlich erfassten Fallzahlen der MRSA-Statistik über eine beunruhigende Tatsache hinweg: Zur Verbreitung der Krankenhauskeime in der Bevölkerung wissen wir noch immer sehr, sehr wenig.