Editorial Die kleinen schnellen Brüter

Liebe stern-Leser!

Selbstbewusst sollen sie sein, clever natürlich, durchsetzungsstark, und sie sollen bitte auch gewandt argumentieren können, die lieben Kleinen. So mögen es viele Eltern in den gebildeten Kreisen. Das alles so früh wie möglich. Je eher die Kinder wie Erwachsene handeln, desto schneller können wir Eltern uns zurücklehnen. Projekt Kindheit abgeschlossen, Pubertät im Schnelldurchlauf, drei Sprachen fließend, ein Instrument vielleicht noch, Tennis - und ab geht's in die globalisierte Welt. Mitunter allerdings entwickeln sich diese schnellen Brüter zu kleinen Monstern, denn zu oft wird ihnen auf dem Weg zur Volljährigkeit jede Hürde beiseitegeräumt. Die Eltern drohen dem Lehrer mit dem Anwalt, um aus der Fünf eine Vier zu machen. Für jedes Problem gibt es eine Lösung von Mama und Papa. Das liegt vor allem daran, dass manche Eltern schlicht keine Lust haben, ihren Kindern Regeln einzubimsen. Und darauf zu achten, dass die eingehalten werden. Ist einfach zu anstrengend. Denn wenn der Nachwuchs zu spät nach Hause kommt, die Hausaufgaben verweigert oder endlich ein Handy haben will, dann steht unweigerlich Streit ins Haus - wenn die Eltern es ernst und gut meinen. Aber wie oft bleibt der elterliche Wille chancenlos gegen einen wütenden Früh-Pubertierer? Wie oft geben die Erziehungsberechtigten (!) klein bei, um die Familienharmonie zu erhalten? Hauptsache, Frieden, sonst könnte der Kleine mit dem großen Ego am Ende noch demotiviert werden! Da bringt Mutti den Müll doch lieber selbst nach unten, und der Filius glaubt weiterhin, die Welt sei eine Playstation. So wird der Wunsch des Kindes zum Befehl, die Aufzucht und Pflege des Nachwuchses zur grenzenlosen Wohlfühlveranstaltung, die Egozentrik der Kleinen zum Erziehungsprogramm. Was alles schieflaufen kann, wenn wir mit den Mini-Erwachsenen auf Augenhöhe verhandeln, statt ihnen Grenzen zu setzen, beschreibt der Psychiater Michael Winterhoff in seinem aktuellen Bestseller "Warum Kinder Tyrannen werden. Oder: Die Abschaffung der Kindheit". stern-Autorin Stefanie Rosenkranz, Mutter von Alice und Mina, heute 13 und 7, nahm Buch und Debatte um die kleinen Tyrannen zum Anlass für unsere Titelgeschichte (Seite 46).

Die Apokalypse des gigantischen Bebens in China wird erst spürbar, wenn man die Kraft dokumentarischer Fotos auf sich wirken lässt. Anders als bei flüchtigen TV-Bildern kann sich der Betrachter Zeit nehmen, um sich auf das Geschehen einzulassen - und das wahre Ausmaß der Katastrophe annähernd ermessen. Auch in dieser Ausgabe bringt der stern eindrucksvolle Fotos, die das Leid von fünf Millionen Chinesen in der gebirgigen Provinz Sichuan offenlegen. Ungewollt hat dieses grausame Naturereignis für Chinas Führung auch eine nützliche Seite: Die Bilder aus der Erdbe- benregion überlagern den Tibet-Konflikt, lenken von der brutal praktizierten Pressezensur ab, und die Machtroboter aus Peking zeigen beim Besuch der Opfer plötzlich Emotionen, die ihnen Sympathie einbringen. Unstrittig ist, wie sehr sich die Parteiführung ins Zeug legt, um dem geschundenen Volk zu helfen. Das zeigt auch die Reportage unseres China-Korrespondenten Adrian Geiges, der mit Fotograf Mark Leong und stern-Mitarbeiterin Ellen Deng in dem verwüsteten Gebiet unterwegs ist. Dabei stießen die drei nicht nur auf entsetzliches Leid, sondern auch auf eine neue Offenheit der chinesischen Behörden. Das Epizentrum des Erdbebens im Berggebiet Wenchuan war mit dem Auto nicht zu erreichen. Das stern-Team entkam nur knapp einem Erdrutsch, dann war die Straße völlig von Steinen blockiert. Darauf wurden die Journalisten von einem Motorboot des Militärs mitgenommen und fuhren dann, nach einer kurzen Bergbesteigung, auf der Ladefläche eines Polizei-Lkws weiter. Die Reportage beginnt auf Seite 22.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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