Editorial Kinder um jeden Preis - das geht zu weit

Liebe Leserin, lieber Leser,

in Deutschland werden wieder mehr Kinder geboren, verkündete Familienministerin Ursula von der Leyen freudestrahlend. Und damit die Zahl der Babys weiter steigt, will sie auch künstliche Befruchtung wieder stärker fördern. Kinderlosigkeit ist nicht nur ein Problem der Gesellschaft, sondern oft auch ein persönliches Drama: In Deutschland gibt es Hunderttausende von Paaren, die gern Kinder hätten, aber keine bekommen können. Die Zahl steigt sogar, weil sich Frauen aus beruflichen Gründen immer später für Nachwuchs entscheiden - womit leider auch die Wahrscheinlichkeit abnimmt, dass es klappt. Künstliche Befruchtung ist in all diesen Fällen eine geeignete, legitime und auch unterstützenswerte Methode, um den Traum vom Kind doch noch zu verwirklichen. Freilich bedarf es dabei strikter Regeln, sonst wird daraus leicht ein Albtraum: Das zeigt der Fall der kalifornischen Achtlingsmutter Nadya Suleman, den wir in unserer Titelgeschichte kritisch beleuchten (ab Seite 24). stern-Korrespondentin Christine Kruttschnitt aus Los Angeles konnte als einzige deutsche Journalistin mit ihr sprechen und beschreibt die wachsende Kritik an der Frau und ihrem Arzt. In Deutschland sind die Regeln zum Glück strenger. Verboten ist, einer Frau mehr als drei befruchtete Eizellen einzupflanzen, ebenso die Eispende und die Leihmutterschaft. Das hindert einige Frauen allerdings nicht daran, sich in anderen Ländern zu versorgen. Kliniken etwa in Belgien und Spanien bieten übers Internet unverblümt Samen oder Eizellen an, in der Ukraine und Russland sogar Leihmütter. Das perverse Gen-Shopping kann theoretisch dazu führen, dass ein Kind fünf verschiedene Elternteile hat: einen Samenspender, eine Eizellenspenderin, eine Leihmutter plus die beiden Auftraggeber. Die Fallsammlung in dieser Ausgabe ist ein Blick ins Gruselkabinett der Reproduktionsmedizin. Trotzdem ist die Frage berechtigt, ob unser 18 Jahre altes Embryonenschutzgesetz noch zeitgemäß ist. stern-Redakteurin Helen Bömelburg beschreibt, warum Spezialisten heute neue Regeln fordern. Sie wollen lieber vorher unter befruchteten Eizellen die erfolgversprechendste auswählen, als hinterher risikoreiche Mehrlingsschwangerschaften per Todesspritze zu beenden. Eine schwierige Diskussion, die aber geführt werden muss.

Herzlichst Ihr
Thomas Osterkorn

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