Liebe stern-Leser!
Alle tun sich schwer, unbefangen über Michel Friedman zu schreiben und zu sprechen. Steht der TV-Moderator unter Drogenverdacht oder der Rechtsanwalt, das CDU-Mitglied, der prominente Jude, die Society-Figur oder einfach nur Michel Friedman?
Das Problem ist, dass Friedman nie einfach nur Friedman ist, sondern immer irgendwie alles gleichzeitig. Wer ihm begegnete, fühlte sich in der Defensive: Er ist Sohn von Holocaust-Überlebenden, steht für die Opfer. Man selbst ist in seinen Augen zwar nicht schuldig, aber doch verantwortlich, denn es gibt für ihn keine Gnade der späten Geburt.
Als Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland war Friedman in vielerlei Hinsicht unangreifbar - so- lange er sich nicht selbst angreifbar machte. Nun steht der Moralist selbst am Pranger. Und schlimmer als das Ermittlungsverfahren ist für ihn die Frage, wie sich ein so intelligenter Mensch offenbar in so kompromittierende Situationen bringen konnte.
Es war eine fast schon groteske Parallelität der Ereignisse: Genau eine Woche, nachdem sich Jürgen Möllemann in den Tod gestürzt hatte, und zwei Tage, bevor er zu Grabe getragen wurde, durchsuchte die Polizei Friedmans Wohnung und Anwaltskanzlei und entdeckte Kokain.
Die beiden Männer waren politische Feinde, spätestens seit der stern vor gut einem Jahr Friedman in Italien anrief und ihn mit Möllemanns unseligem Satz konfrontierte, er - Friedman - habe mit seiner "untoleranten, gehässigen Art" dem Antisemitismus Zulauf verschafft.
Friedman schlug zurück, und so entbrannte der Streit, der Möllemanns politischen Niedergang einläutete. Nun ist der FDP-Politiker tot, und sein Widersacher ist abgetaucht. Bekannte, die Friedman auch schon "am Rande von Depressionen" erlebt haben, machen sich Sorgen um ihn. Und schon sieht Hans-Olaf Henkel, der Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, "eine gewisse tragische Parallele zu Möllemann".
Falls sich der Drogenverdacht bei Friedman erhärtet, ist er als Vize im Zentralrat der Juden wohl unhaltbar. Das Gleiche würde auch gelten, wenn er Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche oder im Zentralkomitee der Katholiken wäre. Moderator könnte er vielleicht bleiben, genau wie Konstantin Wecker jetzt wieder singt und Christoph Daum wieder Fußballspieler trainiert. Als TV-Inquisitor dürfte er es künftig jedoch sehr schwer haben.
Noch aber gilt: Bisher ist Michel Friedman nicht überführt oder gar verurteilt. Er steht unter Verdacht. Nicht mehr und nicht weniger.
Herzlichst Ihr Thomas Osterkorn