Editorial Über die wohl glücklichste Epoche der deutschen Geschichte

Liebe stern-Leser!

Als die Bundesrepublik gegründet wurde, am 23. Mai 1949, da hat niemand an einen so spektakulären Erfolg geglaubt. Nicht nur die Städte waren zerbombt. Deutschland war in vielerlei Hinsicht verwüstet - vor allem moralisch. Nun wurde dem Volk, das Hitler zugejubelt, die Welt überfallen und die Juden ermordet hatte, von außen eine Demokratie aufgepfropft. Geteilt war das Land auch noch. Die beiden Hälften lagen an der Grenze zwischen zwei feindlichen Blöcken, die jederzeit einen Dritten Weltkrieg entfachen konnten. Gerade jetzt, da die Pleite des entfesselten Kapitalismus vielen Sorge bereitet, ist ein Blick zurück nützlich: auf das, was alles gelingen kann, wenn eine sozial gestaltete Marktwirtschaft den Wohlstand mehrt und dieser Wohlstand genutzt wird, um gigantische Aufgaben wie die Integration von Millionen Flüchtlingen oder den Lastenausgleich zu bewältigen. Die stern-Serie "60 Jahre Bundesrepublik", die in diesem Heft beginnt, ist auch ein Blick in das Familienalbum der Republik und auf die Lebensgeschichten der Menschen, die sie geprägt haben. Aber sie ist zugleich eine Erinnerung an die Wurzeln unserer Demokratie. Sie beschreibt, wie die Westdeutschen - begünstigt durch ihren Platz in Weltpolitik und Weltwirtschaft - in den 50er Jahren wieder Zuversicht gefasst und in den Sechzigern und Siebzigern das Land moderner und liberaler gemacht haben. Sie beschreibt auch den Weg zum Mauerfall und die Suche des dann vereinigten Deutschlands nach seinem Platz in der globalisierten Welt. Letztlich geht es darum, was wir aus der - zumindest im Westen - wohl glücklichsten Epoche der Geschichte lernen können. Eines gehört sicher dazu: Zum Markt als Ordnungsprinzip gibt es keine Alternative; seine Effizienz hat er nicht zuletzt in den bald 60 Jahren Bundesrepublik bewiesen. Aber jedes menschliche Zusammenleben erfordert Regeln. Der Staat wird noch gebraucht. Ungebremste Gier verschlingt sich am Ende selbst. Es geht, wie Ludwig Erhard sagte, um "Wohlstand für alle".

Recherchiert und geschrieben wurde die Serie von den stern-Autoren Stefan Schmitz und Michael Stoessinger. Um die sechs Folgen zu bebildern, haben die Fotoredakteure Andreas Eucker und Andreas Kronawitt mit dem Grafiker Andreas Fischer etwa 100.000 Fotos gesichtet.

stern.de begleitet die Geschichte der Bundesrepublik in einem umfangreichen Spezial. 28 Grafiker und Journalisten, zum Großteil aus dem 31. Jahrgang der Henri-Nannen- Schule, haben virtuelle Wohnzimmer für jedes Jahrzehnt gestaltet. Über 55 Filme und Audio- Slideshows zu Themen wie Mode, Fernsehen und Erfindungen sind unter stern.de/deutschland zu sehen. Zu Wort kommen die Menschen, die in den vergangenen 60 Jahren Geschichte geschrieben haben. Zeitzeugen sind zu hören, daneben gibt es originale Film- und Radioaufnahmen - beispielsweise den Rias-Kommentar zu den Demonstrationen am 17. Juni 1953 - sowie die Musik der Zeit. Der Bruder des ersten Mauertoten erinnert sich, und ein Erfurter erzählt, warum er zum Zahnarzt musste, um damals, 1970, Willy Brandt zu sehen.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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