SEXGEFLÜSTER Ein bisschen Bi schadet nie!

Wenn 30 Prozent aller Frauen und 20 Prozent aller Männer von der gleichgeschlechtlichen Liebe phantasieren, hat das jede Menge für sich ? findet Erotik-Kolumnistin Hannah Garbaty. Auch sie selbst ist davor nicht gefeit...

Ich war süße 16 Jahre alt, hatte schon reichlich mit Jungen geknutscht und mit ihnen auch diverse andere Spielchen gespielt, als ein intensiver Traum mein Selbstbild ins Wanken brachte:

Ich träumte, ich öffnete einen Schrank und sah darin eine splitterfasernackte Frau ? so um die 40 Jahre alt, nicht sonderlich hübsch, aber irgendwie faszinierend. Und sehr geil. Auf mich.

Kaum aus dem Schrank befreit, baute sie sich selbstbewusst vor mir auf und befahl mir, ihre Brust zu berühren. Anstatt ihr Anliegen empört von mir zu weisen oder gar das Weite zu suchen, erfasste mich eine solche Erregung, wie ich sie mir bis dahin nicht hätte vorstellen können. Ich streckte vorsichtig eine Hand aus und streichelte ihre Brust. Sie stöhnte genussvoll auf und fasste mich im Gegenzug zwischen meinen Beinen an. Ein himmlisches Gefühl! Ich betastete ihren Körper, sie streichelte meinen Kitzler und ... ich wachte mit irrsinnigem Herzklopfen und totaler Verwirrung auf. Oh nein!!! Was war das denn?! War ich etwa lesbisch?

Ich habe diesen Traum niemandem erzählt ? und meine Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht so intensiv ausgebaut, bis ich mir wirklich sicher sein konnte, ganz bestimmt nicht lesbisch zu sein.

Die Sicherheit blieb. Die Neugier aber auch.

Jahre später, ich hatte gerade wieder eine missglückte Beziehung hinter mir und quälte mich durch eine ausgewachsene Frustphase, bekam ich eine Chance, meine Neugierde zu stillen:

Es war Christopher-Street-Day. Wie in jedem Jahr anlässlich des berühmten und nicht nur bei Homos beliebten Feiertages brannte in ganz Berlin die Luft: Überall zogen gleichgeschlechtliche Paare durch die Straßen, die Stimmung war ausgelassen, die Toleranzschwelle so hoch wie nie und das Programm meiner Wahl kunterbunt. Gerade lauschte ich andächtig der Darbietung Ernie Reinhardts, da spürte ich, wie mich jemand beobachtete. Aha ? eine Frau. Um die 40, nicht sonderlich hübsch, aber irgendwie faszinierend. Und augenscheinlich geil. Auf mich. Wie in meinem Traum.

Also lächelte ich verheißungsvoll zurück, spielte das uralte »Immer-wieder-lange-gucken-mit-der-Hand-durch-das-Haar-fahren-Lippen-befeuchten-Beine-übereinanderschlagen-sich-selbst-den-Arm-streicheln-usw.-Spiel« und wartete aufgeregt auf eine Reaktion. Die kam prompt: Kaum machte ich mich auf den Weg zur Toilette, nahm Brita (so hieß sie, wie ich später erfuhr) die Verfolgung auf. Am Toilettenwagen sprach sie mich an, lud mich auf ein Sektchen ein und wir klönten über nichtssagende Dinge, während ihr Blick immer eindeutiger wurde. Irgendwann beugte sie sich zu mir und fragte mich leise, ob ich schon mal mit einer Frau geschlafen hätte. Ich verneinte errötend. Ob ich wissen möchte, wie es sich anfühlt, hakte sie nach. Unter gewaltigem Herzklopfen gestand ich ihr meine Neugierde, aber auch meine Zweifel. Brita lächelte jedoch nur und raunte mir zu: Wenn ich mit ihr in den nahen Tiergarten gehen würde, könne ich eine Kostprobe bekommen...

Ich ging mit. Dort im dunklen Park lehnte sie mich an einen Baum, küsste mich und streichelte meine Brust durch das T-Shirt. Das fühlte sich wahnsinnig gut an und so küsste ich begeistert zurück. Das ermutigte sie, meine Jeans zu öffnen, ihre Hand hineinzuschieben und mit dem Daumen sanft meine Knospe zu liebkosen, während ihre Zunge an meiner Brust spielte. Und während ich mich darüber freute, was sie mir an schönen Gefühlen angedeihen ließ, wurde mir zweierlei klar:

Erstens ist es kein Wunder, dass jede dritte Frau von Sex mit einer Frau träumt, denn Weiber wissen einfach richtig, richtig gut, wie ihresgleichen berührt werden möchte. Doch zweitens fehlte mir das erregende Kribbeln, das sich einstellt, wenn ich es mit einem Mann zu tun habe.

So gekonnt und schön das auch war, was Brita da mit mir machte - ihr Körper ging mich nichts an. Weder machte es mir Spaß, ihre Brüste zu berühren, noch war ich wild darauf, mit dem »Rest« nähere Bekanntschaft zu schließen. Mir fehlte der breite Oberkörper, mir fehlten die festen Muskeln, mir fehlte der andersartige Geruch, mir fehlte der Penis... Kurz: mir fehlte die Lust, Freude mit Freude zu vergelten. Und das gehört für mich nun mal einfach dazu ? egal ob man sich im Bett, im Park oder sonst wo der schönsten Nebensache der Welt hingibt. Dementsprechend kam ich zwar sehr schnell, doch anstelle eines Feuerwerkes fühlte ich eher ruhige Entspannung. Angenehm, mehr nicht.

Brita nahm mir nicht übel, dass ihr Engagement einseitig blieb und so verbrachten wir gemeinsam noch einen lustigen Christopher-Street-Day-Abend. Wir haben uns zwar nie wieder getroffen, doch ab und zu telefonieren wir miteinander.

Übrigens: Diese Erfahrung hat nichts daran geändert, dass ich mich auch danach noch des öfteren gleichgeschlechtlichen Phantasien hingegeben habe - davon träumte, mich von einer Frau mit wissenden Händen und einfühlsamer Zunge verwöhnen zu lassen. Allerdings verspüre ich keine Lust mehr, diese Phantasie ins Leben zu holen ? Brita sei dank.

Dafür habe ich mich selbst etwas genauer beobachtet und eine Theorie entwickelt, woher solche Träume kommen könnten und was sie so reizvoll macht: Ich ertappe mich immer dann bei lesbischen Vorstellungen in meinem Kopfkino, wenn ich sexuell in irgend einer Weise unausgefüllt bin. Wenn mir also entweder ausgiebige Streicheleinheiten fehlen, wenn mir mein Bettgefährte nicht genügend Zeit für ein ausgedehntes Liebesspiel gönnt oder wenn er es an der nötigen Aufmerksamkeit gegenüber meinem Perlchen fehlen lässt. Sprich: Wenn meine ganz spezielle - weil weibliche - Sexualität nicht zum Zuge kommt. Interessant, oder?

Doch Moment: Ein Umfrageergebnis bescheinigte auch immerhin 20% der heterosexuellen Männerwelt Interesse an einem schwulen Erlebnis. O je! Wenn meine Theorie stimmt, würde das ja bedeuten, dass auch wir Weiber unseren Liebsten nicht unbedingt die optimale Zuwendung für ihre spezielle ? weil männliche ? Sexualität geben! Und wie sieht die aus? Schenkt man den oberflächlichen Schubkasten-Behauptungen Glauben, würde es heißen: Männer sehnen sich nach mehr, schnellerem, eindeutigerem, hand- und mundgreiflicherem Sex.

Kann das sein?!? Wenn das stimmen würde, dann sähe die Zukunft für uns »Heten« ja verdammt traurig aus ? schließen sich doch typisch männliche und typisch weibliche Bedürfnisse ziemlich aus.

Es sei denn, wir besinnen uns auf das wunderbare Gefühl, beim Sex einfühlsam Freude mit Freude zu vergelten. Dann ist es egal, ob wir gerade männlichen oder weiblichen Sex haben, ob im Kopfkino dabei ein Film mit einem Mann, einer Frau oder beiden abläuft, ob sich ein extrem kuschelbedürftiger Mann mit einer Frau zusammentut, die auf harten Sex steht oder umgekehrt...

Am besten geht es natürlich den Menschen, die wirklich bisexuell sind und das auch ausleben. Ein Freund von mir lebt seit einigen Jahren mit einem Mann in einer festen Partnerschaft, gönnt sich aber zwischendurch immer mal wieder eine Affäre mit einer Frau.

Eine ehemalige Kommilitonin von mir war verheiratet, hat ein Kind bekommen und ein ganz normales Leben gelebt. Plötzlich verliebte sie sich in eine Arbeitskollegin, verließ ihren Mann und lebte fast 3 Jahre mit dieser Frau zusammen. Vor kurzem entdeckte sie während eines Klassentreffens ihre Jugendliebe wieder ? einen Mann...

Ist es nicht beneidenswert, wenn man doppelte Chancen hat, einen Menschen zu treffen, den man lieben kann? Wenn das Geschlecht keine Rolle spielen muss und es nur um den Menschen an sich geht? Ich bekenne mich: Ein bisschen Neid kommt auf. Und ich kann nur jedem Träumer empfehlen, wenigstens ein Mal im Leben den Versuch zu machen, ob er nicht vielleicht doch das Zeug zum Bisexuellen hätte!

Also sage ich: Ein bisschen Bi schadet nie. Ganz egal, ob wir mit lesbischen oder schwulen Phantasien sexuelle Dürreperioden ausgleichen, ob wir mal unsere Eignung auf doppelte Freude ausprobieren, oder gar völlig geschlechtsunabhängig unsere Herzen und unsere Körper hingeben können.

Und jetzt hole ich mir eines der zauberhaften Andrew-Blake-Videos, in denen sich wunderschöne Frauen miteinander vergnügen. Und träume ein bisschen davon, das auch zu können...

In freudiger Erwartung auf Ihre Meinungen und Abenteuer verbleibt bis zur nächsten Woche

Ihre Hannah Garbaty