David ist anders Wie ich lernte, meinen Sohn zu lieben

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  • von Diana Laarz
Mein Sohn David braucht viel Zeit für alles: gehen, denken, sprechen, lernen. Es dauert eine Weile, bis Ärzte die Ursache finden. Und bis ich ihn so akzeptieren kann, wie er ist.
David lachend, er hat eine Genmutation
Für David hat eine winzige Genmutation große Folgen
© Roman Pawlowski für GEO



Diesen Satz werde ich mir nie verzeihen. Ich hielt diesen kleinen Menschen im Arm, der sich bäumte und mir seine ganze Wut oder Verzweiflung entgegenschrie. Es war mitten in der Nacht. Und ich wollte ihn nicht mehr halten müssen. Ich wollte sein Gebrüll nicht mehr hören. Und ich dachte und ich sagte im selben Moment: "Warum machst du unser Leben kaputt?"

Alle Entschuldigungen – die Schlaflosigkeit, die Überforderung – zählen nicht. Er ist mein Sohn. Er war noch sehr jung, er hat die Worte sicher nicht verstanden. Aber er hat die Ablehnung bestimmt gespürt. Auch die Hilflosigkeit, weil ich damals schon ahnte, dass irgendetwas nicht stimmte.

Die durchbrüllte Nacht liegt eine Weile zurück. David ist nun fünf Jahre alt. Er ist ein blonder Junge, und für mich hat er das schönste Lausbubengesicht der Welt. Wenn er steht, wankt er wie ein Grashalm im Wind. Wenn er geht, stakst er ungelenk vorwärts, seine Arme schlenkern durch die Luft. Wenn er dann bei mir angekommen ist, umschließt er meine Hüfte ganz fest, schaut mich überglücklich an und sagt: "Richtig schnell". Aber er sagt es nicht so, dass alle ihn verstehen könnten. David spricht in undeutlichen, abgehackten Silben. Man muss sich reinhören in seine Sprache. David kann bis zwei zählen, vielleicht sogar bis vier, so genau wissen wir das nicht, weil er in der Regel die Drei auslässt. Er malt eine Sonne, die aussieht wie eine Qualle. Er trägt Windeln, und er kann seinen CD-Player bedienen.

Erschienen in GEO 08/2024