Seine erste Schiffsreise beginnt König Abd al-Aziz Ibn Abd ar-Rahman in großem Stil: Mit gleich 200 Begleitern – darunter sein Leibarzt, ein Astrologe und ein Vorkoster – will er im Hafen von Dschidda einen Zerstörer besteigen. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika persönlich hat dem Herrscher Saudi-Arabiens dieses Kriegsschiff gesandt. Doch dessen Besatzung dürfte mit einer solch gewaltigen Entourage kaum gerechnet haben.

Das Zeitalter des Öls: Wie ein Rohstoff die Welt eroberte
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Nur mühsam kann Washingtons Gesandter in Dschidda die Saudis überzeugen, sich mit 20 Personen zu begnügen (am Ende werden es doch wieder knapp 50 sein). Immerhin dürfen zehn Schafe mit an Bord. Die Herde wird in einem Verschlag nahe der Reling untergebracht und schrumpft rasch, denn König Abd al-Aziz und seine Höflinge verspeisen jeden Tag zwei Tiere.
Es ist der 12. Februar 1945. Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs sind angebrochen. Unter strenger Geheimhaltung verlässt der Zerstörer den Hafen von Dschidda im Westen der Arabischen Halbinsel, fährt durch das Rote Meer hinauf zum Suezkanal.
Dort wird Abd al-Aziz, Herrscher über einen archaischen Wüstenstaat, auf Franklin D. Roosevelt treffen, den mächtigsten Mann der westlichen Welt. Erst wenige Tage zuvor hatte der US-Präsident in Jalta auf der Krim mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin und dem britischen Premierminister Winston Churchill konferiert und die Grenzen in Osteuropa neu gezogen. Auch in der arabischen Welt strebt Roosevelt nun eine Neuordnung der politischen Verhältnisse an.
König Abd al-Aziz – ein großer Mann von würdevoller Erscheinung – leidet an schwerer Arthritis, kann kaum laufen. Zumeist sitzt der Vater von über 30 Söhnen in einem goldenen Sessel auf dem Oberdeck, gehüllt in ein schwarzes Gewand, auf dem Haupt trägt er eine rot-weiße Kufija, das traditionelle Kopftuch der Araber. Um ihn herum wachen Angehörige seines Hofstaats, Krummsäbel in den Händen. Die Nacht verbringt der Herrscher unter einem eigens aufgespannten Zeltdach.

Auf einem Schiff wartet Roosevelt – auf den saudischen König
Abd al-Aziz ist 70 Jahre alt und hat sein Land bislang so gut wie nie verlassen. Und doch ist er kein Hinterwäldler, sondern ein cleverer Mann, der wissen dürfte, worüber der amerikanische Präsident mit ihm sprechen will: über die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina. Und über das Erdöl, das seit wenigen Jahren reichlich in Abd al-Aziz’ Wüstenstaat fließt.