Wild und bunt, traurig oder romantisch: Träume faszinieren die Menschheit seit langem. Denn die nächtlichen Bilder und Gefühle scheinen uns in unser Tiefstes zu führen, in die schemenhafte Welt jenseits des Wachseins, in der Phantasie und Realität verschwimmen.
Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, sah den Traum als Ausdruck des Unterbewussten an. Er meinte, die Bilder zeigten, was den Mensch seelisch belastet, was er im wahren Leben verdrängt. Im Traum seien Wünsche und Begierden erkennbar - allerdings in verschlüsselter Form. Denn sonst würden sie ängstigen und aus den Schlaf stören.
Carl Gustav Jung, ein Schüler Freuds, sah in den Träumen ebenfalls wichtige Botschaften: Sie zeigten den aktuellen Zustand des Unbewussten. Sie zu verstehen bedürfe es der Kenntnis von Symbolen aus Mythen und Religionen. Der Schweizer Psychoanalytiker verstand die nächtlichen Gespinste aber vor allem als Quelle der Kreativität.
Hirnforscher meinen: Träume sind Schäume
Die meisten Neurowissenschaftler halten Träume, ähnlich wie viele Zeitgenossen von Freud, für sinnlose Reihen von Bildern. Sie seien lediglich ein zufälliges Nebenprodukt der nächtlichen Gehirnaktivität, eine Art Neuronengewitter. Erst wenn der Mensch aufwache, interpretiere das Bewusstsein einen Sinn in die Bilder hinein und reime sich eine Traumgeschichte zusammen.
Die Traumforschung tut sich schwer. Denn mit naturwissenschaftlichen Methoden lassen sich die Geister der Nacht schlecht fassen. Und Berichte über Träume können ja nur das wiedergeben, was der wache Mensch noch über sie zu sagen weiß. Ein Traum, im Wachzustand erzählt, enthält schon die Interpretation der Bilder. Deshalb finden Hirnforscher es schwierig, objektiv Nachprüfbares über Träume auszusagen.
Dennoch gibt es einige Fakten. Sicher ist: Menschen träumen in allen Schlafphasen. Im Tiefschlaf sehen wir zwar wenig Bildhaftes, sondern träumen eher gedanklich, sprachlich. In der REM-Phase - die durch heftiges Augenrollen im Schlaf gekennzeichnet ist - sind die Träume hingegen gefühlsgeladen, bunt und lebhaft, Bild reiht sich an Bild. Denn in dieser Phase sind das Gefühlszentrum und das Sehzentrum des Gehirns besonders aktiv. Besonders detailreich und filmähnlich sind Träume in den REM-Phasen der frühen Morgenstunden.
Träume ähneln den Phantasien psychisch Kranker
Träume spielen keine tatsächlich erlebten Situationen nach. Meist erscheinen nur Bruchstücke und Fetzen von Erinnerungen vor dem inneren Auge. Nach einem belastenden Erlebnis werden häufig Gefühle wie Angst, Schmerz und Schuldgefühle im Traum nochmals durchlebt, nicht aber die konkrete Situation selbst.
Für viele Menschen sind Träume kleine Übungseinheiten, in denen Gelerntes nochmals wiederholt wird. So berichten Sportler immer wieder, dass sie ihre Fertigkeiten im Schlaf trainieren. Experimente zeigen, dass komplizierte Bewegungsabläufe leichter fallen, wenn der Mensch zuvor davon geträumt hat. Träume können sogar dabei helfen, Stress zu bewältigen. Wer sich im Traum intensiv mit etwas beschäftigt, zum Beispiel mit einer Prüfung oder einer Operation, wird besser damit fertig. Das zeigen Studien.
Träume können überaus bizarr sein. Deshalb kamen einige Forscher auf die Idee, Träume mit den Phantasien psychisch Kranker zu vergleichen. Dabei entdeckten sie Ähnlichkeiten. Denn sowohl im Traum als auch in der Erlebniswelt mancher Kranker werden rationale Gedanken ausgeblendet. Manche Wissenschaftler glauben deshalb, psychische Störungen ließen sich gut anhand von Träumen erforschen. Ob Träume nun dem Wahnsinn nahe stehen, verdrängte Wünsche zeigen oder eher Neuronengewitter sind: Spannend ist eine Reise durch die eigene Traumwelt allemal.
Ute Kehse