Er gilt als einer der größten Visionäre der Pop-Historie: Brian Wilson, Jahrgang 1942 und das wohl wichtigste Bandmitglied der legendären kalifornischen Musikgruppe The Beach Boys, bekannt für Alben wie "Pet Sounds" oder "Smile". Wilson aber gilt auch als ziemlich eigensinnig, lange hatte der Musiker mit psychischen Problemen zu kämpfen. Von all dem berichtet Regisseur Bill Pohlad (Produzent von Werken wie "Brokeback Mountain" und "Into the Wild") in seinem Film über den Auf- und Abstieg Wilsons im Musikgeschäft der 1960er bis 80er Jahre.
In "Love & Mercy" wird Wilson von gleich zwei Darstellern verkörpert: Paul Dano ("There Will Be Blood") und John Cusack ("High Fidelity"). Des Weiteren zum Cast gehören Mimen wie Paul Giamatti ("Sideways") und Elizabeth Banks ("Die Tribute von Panem"). Dass wir Brian Wilson, das sensible Genie, ausgerechnet beim Kauf eines Cadillacs kennen lernen - eine famose und ziemlich kuriose Sequenz, die viel über den Porträtierten erzählt - ist ein hübscher Kunstgriff: "Love & Mercy", und das spürt man an jeder Ecke dieses Films, möchte mehr sein als das chronologisch erzählte, handelsübliche Biopic. So springt der Film virtuos, und kongenial zu Wilsons teils so komplexen Arrangements, zwischen den Zeitebenen, ohne dabei je ins Ruckeln zu geraten.
"Ich höre seit 1963 Stimmen"
Das Opus Magnum der Beach Boys, "Pet Sounds" von 1966, Wilsons Ehrgeiz, noch bessere Lieder zu komponieren als die Beatles, sind genauso Thema wie Brians Drogenmissbrauch und seine mentalen Probleme. "Ich höre seit 1963 Stimmen", gesteht er irgendwann seiner späteren Frau Melinda Ledbetter, toll gespielt von Elizabeth Banks (die mit ihrem "Pitch Perfect 2" gerade auch als Regisseurin reüssiert). Vor allem zu loben aber sind die schauspielerischen Leistungen von John Cusack und Paul Dano. Der heutige Brian Wilson, er ist mittlerweile 72, hat unlängst sein elftes Solo-Studioalbum ("No Pier Pressure") veröffentlicht, spielt in "Love & Mercy" keine Rolle. Umso großartiger aber ist die Darstellung sowohl des jungen als auch des mittelalten Künstlers.
Dano gibt den Brian der 1960er, Cusack den der 1980er Jahre. Beiden gelingt es, Wilsons Verwundungen (vor allem durch seinen tyrannischen Vater) und auch das genialische Talent des legendären Komponisten fühlbar zu machen. In einer frühen Szene sehen wir, wie Wilson seinem Vater eine neue Komposition vorspielt, "God Only Knows". Dessen barsche Reaktion ausgerechnet auf ein Stück, das heute zu den Meilensteinen der Band zählt, sagt viel über das tragische Verhältnis, das der Musiker zu seinem Vater hatte. Ohne Danos Spiel aber, der dem jungen Brian tatsächlich ähnelt, wäre es weniger beeindruckend. "Love & Mercy" bewegt bis hin zum rührenden Abspann, der den echten Brian Wilson dabei zeigt, wie er den titelgebenden Song zum Besten gibt.
Für Fans der Beach Boys ist dieser Film ohnehin ein Muss. Alle anderen haben die Chance, nicht nur einen großartigen Künstler kennen zu lernen, sondern auch einiges über eine Gruppe zu erfahren, die auch heute noch teils als reine Gute Laune- und Surfer-Band missverstanden wird. The Beach Boys aber waren und sind viel mehr (2012 erschien ihr 29. Album). Zuweilen fragt man sich, ob Regisseur Bill Pohlad mit seinem Film nicht zu sehr den allzu gern bemühten Mythos von Wahnsinn und Genie, die angeblich so dicht beieinander liegen, bedient. Ohnehin aber sollte man von einem zweistündigen Spielfilm nicht erwarten, dass er einem Menschen, zumal einem so komplexen wie Wilson, voll und ganz gerecht wird. Ein ungewöhnliches und höchst eindringliches Biopic ist "Love & Mercy" allemal.