Für eine nachhaltige Popkarriere ist Kathryn Williams denkbar schlecht gerüstet: Die junge Engländerin hat keinen Produzenten mit eingebauter Hit-Garantie, sie hat keine PR-trächtige Geschichte, und sie ist dick. Sie spielt akustische Gitarre, trägt mit wenigen Begleitmusikern eigene Songs vor und hat damit eigentlich alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Wettsingen am Lagerfeuer einer Kirchenjugendfreizeit. Vor zwei Jahren nahm sie zu Hause, quasi auf der Bettkante, zwölf ihrer Songs auf, nannte die CD "Little Black Numbers" und verwirrte und entzückte Hörer und Kritiker mit der hausgemachten Folkmusik gleichermaßen.
Für diese CD hatte sich Kathryn Williams 3000 Pfund gepumpt, den Vertrieb organisierte sie in der Küche ihrer Wohnung in Newcastle. Dann der Urknall - ihre CD wurde für den britischen »Mercury Award« als bestes Album des Jahres nominiert. Jetzt bringt das Label »east west« die CD groß heraus. Die Entscheidung hat sicherlich damit zu tun, dass Folkmusik unter dem neuen, von Ideologie unbelasteten und modern klingenden Namen "Nu-acoustic" in der Musikbranche als kommender Trend gilt.
Die 27-jährige Musikerin besitzt, was in Zeiten von Retortenerfolgen wie "Bro'sis" selten ist: das Talent, betörende Songs zu schreiben und sie mit einer engelhaft hohen, unendlich zarten und hypnotischen Stimme vorzutragen.
Ihr bisher einziges Deutschland-Konzert fand im Februar in einem kleinen Saal der Hamburger Musikhalle vor etwa hundert Zuhörern statt - Kathryns extremes Lampenfieber lässt kein größeres Publikum zu. Ihre hingehauchten, dann wieder sehr kräftigen und selbstbewussten, immer sehr melancholischen Lieder, in denen es meistens um Einsamkeit, Liebe oder Tod geht, schlugen die Zuhörer geschlossen in den Bann - fast jeder hatte das Gefühl, einem der seltenen magischen Momente der Popgeschichte beigewohnt zu haben.
Kathryn Williams kann zufrieden sein: "Little Black Numbers", kleine schwarze Zahlen, hat ihr Album inzwischen längst geschrieben.