Das ist häufig zu hören. "Ist doch schon voll lange her". Junge Menschen sagen das, nach dem obligatorischen Besuch in einem Konzentrationslager. Die Alten, um nicht mehr über Krieg und Holocaust reden zu müssen. Meine Generation, weil wir ein Problem mit der Schuld haben. Ein altersübergreifender Satz.
Die Literaturverfilmung von Bruno Apitz' "Nackt unter Wölfen" ist ein mittelmäßiger Fernsehfilm. Der enorm erfolgreich war. 13,1 Prozent Einschaltquote in der jungen Zielgruppe. Nico Hofmanns Film ist kitschig - sterbende Kommunisten zu Moll-Tönen - und er ist obszön brutal. Die Handlung des Buches, die Rolle des kommunistischen Lagerwiderstands, die ethische Dimension der Menschlichkeit am hässlichsten Ort deutscher Geschichte - gekürzt, entfernt, geschnitten. Passt nicht ins Konzept eines KZ-Schockers. Und ich finde das vollkommen in Ordnung.
"Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz
Die Erstausgabe unserers Autors von 1958
Erinnern funktioniert heute anders
Es ist ein mittelmäßiger Film, der eine hohe Aufmerksamkeit erzeugt. Und gerade das ist wichtig. Was nützt es dem allgemeinen Verständis des Themas, wenn Intellektuelle mit einem Glas Rotwein am Abendbrottisch Gespräche über ungelesene Adorno-Bücher führen. Wer kann noch die Ausrede hören: "Meine Großeltern haben aber Juden im Keller versteckt." Und wie lächerlich sind die Freunde, die von ihren jüdischen Kumpels erzählen, die sie in Wahrheit nur für ihr Gewissen halten. Noch schlimmer: das Hobby deutscher Laienhistoriker, in der eigenen Geschichte nach Widerstandskämpfern und/oder jüdischen Familienmitgliedern zu suchen.
Erinnern funktioniert im 21. Jahrhundert anders. Das wichtigste aber ist: Es funktioniert. Und das ist auch eine Errungenschaften eines Nico Hofmanns und der Ufa Fiction.
#NacktunterWoelfen ist Twittertrend. Apitz hätte es gefreut. Denn darum ging es ihm. Überleben, um davon zu erzählen. Den nachkommenden Generationen.
Wir brauchen Banalität
"Ist voll brutal, musste ich ausschalten" oder "Voll schlimm, dass Menschen so was machen konnten", lauten Twitter-Kommentare. Wenn wir heute über Auschwitz, die Deutschen und ihre Taten reden, bewirkt der intellektuelle Diskurs in der breiten Masse wenig. Wir brauchen Banalität. Einfache Stoffe, gut zu verstehende Handlungen und eben blutige Bilder und Klaviermusik. Nur wenn wir uns trauen, das Thema so alltagsnah wie möglich zu behandeln, erreichen wir Menschen, die Sätze sagen, wie "Voll lange her". Damit sie verstehen: Dieser Massenmord war eigentlich gestern.
Thilo Mischke besitzt eine siginierte Erstausgabe von "Nackt unter Wölfen", mit der er gestern auf Twitter angegeben hat. Sie können ihm unter @mischke_thilo folgen.