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Schlager richtig interpretiert Warum in Schlager viel mehr steckt als nur Gefühlsduselei

Warum in Schlager viel mehr steckt als nur Gefühlsduselei
In Schlagertexten steckt  so viel drin – vor allem in denen von Jenny van Bree (kl. Bild)
© POP-EYE / Peng / rtn / Patrick Becher / Picture Alliance
Schlager vertonen nur die Gefühlsverwirrung aus dem letzten Strandurlaub? Nicht bei Jenny van Bree. Ihr Song "Amore" steckt voller kultureller Anspielungen. Eine durch und durch ernstgemeinte Einordnung.
Von Gregor Becker

Wenn das Zitieren vergangener Epochen tatsächlich die zentrale Kulturtechnik unserer Gesellschaft ist, dann müssen wir der Schlagersängerin Jenny van Bree ein Denkmal bauen, jetzt, für immer und unbedingt.

Sie ist eine Meisterin dieser Technik, und in ihrem größten Hit zeigt sich ihr ganzes Können: "Amore".Schon die erste Zeile ist eine einzige Überhöhung. "Ich bin deine Serenade", da ist sofort klar: Abendlieder, Hochromantik, Schubert, Dvořák, Brahms! Zweite Zeile, zweite Anspielung: "Du sagst mein’ Namen wie ein Gedicht." Und man versteht: Es geht van Bree um die Intonation des Poetischen, um den Soundtrack zur Empfindsamkeit, dieser literarischen Epoche im Rausch der Gefühle. Da ahnt man noch nicht, dass van Bree ihren Zuhörern eine Falle stellt.

Schlagersong "Amore" ist ein Meisterwerk

Doch zunächst findet sich van Bree in einem existenziellen Konflikt zwischen Hingabe und Selbstbehauptung wieder, wie sonst nur Bernhard Brink bei seinen "Let’s Dance"-Auftritten. Ganz und gar gibt sie sich ihrem Gegenüber hin ("Ich weiß, ich liebe dich") und will doch ihrem Wesen treu bleiben, will stark sein und schwach zugleich. Sie weiß um ihre Uneindeutigkeit und bedient sich der nächsten Referenz: "Du schaust mich an, als wäre ich Mona Lisa."

Wenn van Bree im Refrain dann ins Italienische wechselt, bereitet sie den Bruch vor. Zunächst wiegt sie den Zuhörer in Sicherheit. Italien, Ursprungsland der Serenade, italienisch, lingua franca der Stimmungs-Community, denkt der Zuhörer, sieht sich vor seinem geistigen Auge irgendwo in der Toskana und entkorkt einen Chianti.

Doch die bewusst erzeugte Penetranz, mit der van Brees Upbeat-Ode die Amore ins Hirn stanzt, lässt den Zuhörer stutzen. War das nicht ein "Amore" zu viel? Ist van Bree ins Italienische gewechselt, nur um die Empfindsamkeit zu karikieren? Spätestens als die Drumbase den Synthesizer unterbricht, erinnert sich der Zuhörer: Es war doch gerade Goethes Italienreise, die das Ende der Empfindsamkeit einleitete!

Und tatsächlich: In der letzten Strophe radikalisiert van Bree das Bekenntnis zur Emotion bis ins Leidenschaftliche, steigert die Amore zum Eros ("Will dir für ewig meine Liebe schenken"). War die Natur in der ersten Strophe nur behagliches Refugium, so ist sie nun emotional aufgeladen ("Glanz des Abendmeeres"). War die Andeutung des Aktes zu Beginn noch zurückgenommen, ist sie nun anspielungsreich wie ein Altherrenabend ("Küsse wie eine Sucht").

Jenny van Brees MUSS gewürdigt werden

Eine Klimax, die nur einen Schluss zulässt: Die Zeit der Empfindsamkeit ist abgelaufen, jetzt übernimmt der Sturm und Drang. Van Bree vollzieht den Epochenbruch in nur wenigen Zeilen, Erkenntnis durch Verdichtung, eine intellektuelle tour de force.

So erscheint auch die zentrale Zeile des Werks in neuem Licht ("Es ist wahre Liebe"). Das "Es" ist hier eben nicht als Pronomen zu verstehen, sondern im Freudschen Sinne, als Unbewusstes, dessen Triebe das Menschsein strukturieren, radikal und unvermeidlich. Auch der Beat muss als Metapher für dieses "Es" verstanden werden, Taktgeber der Leidenschaft, wahr und voller Liebe, kompositorisch vollkommen.

Es ist an der Zeit, diese Leistung zu würdigen, in Stein gehauen, auf einem Podest. Zugegeben: Das ist ein Zitat. "Denkmal" ist eines der Lieder van Brees.

Schlager am Strand - NEON ist dabei!

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