Helene Fischer Wie können Kaffee und Wein zu einem Schlagerhit werden?

Helene Fischer und Florian Silbereisen im Duett
Muss Ex-Liebe schön sein: Florian Silbereisen und Helene Fischer singen 2024 das Duett "Schau mal herein" in der "Helene Fischer Show". Der Song hat sich zu einem viralen Hit entwickelt
© Rolf Vennenbernd / DPA
Das Duett "Schau mal herein" von Helene Fischer und Florian Silbereisen ist allgegenwärtig. Welche Sehnsüchte bedient der Song? Textdichter Peter Orloff hat Antworten.

Mehr als 3,3 Millionen Abrufe bei Youtube, über 3,6 Millionen bei Spotify, am zweithäufigsten gespielter Song bei Tiktok in Deutschland: Das Duett "Schau mal herein" von Helene Fischer und Florian Silbereisen hat sich seit seiner Premiere bei der "Helene Fischer Show 2024" zu einem viralen Hit entwickelt. 

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Dabei ist das Lied auch in seiner deutschen Version schon über 45 Jahre alt. Ursprünglich stammte der Song von Mike Chapman und Nicky Chinn, die ihn 1978 unter dem Titel "Stumblin' In" für Suzi Quatro und Smokie-Sänger Chris Norman schrieben. 1979 folgte die deutsche Version "Schau mal herein", gesungen von Bernd Clüver und Marion Maerz. Den deutschen Text schrieb Schlager-Urgestein Peter Orloff, bald 81.

Der stern erwischt den Sänger, Komponisten und Produzenten am Telefon: Orloffs Stimme wirkt 30 Jahre jünger, jeden Morgen macht er, wie er nicht ohne Stolz erzählt, 80 Liegestütze. Warum fasziniert sein Text die Menschen offenbar noch immer?

"Dass aus gescheiterter Liebe später so etwas wie Freundschaft werden kann, ist eine zeitlose Sehnsucht", sagt Orloff. "Natürlich sind Fans von Helene Fischer und Florian Silbereisen besonders berührt, weil der Text ihre Hoffnung ziemlich exakt wiedergibt: dass sich das einstige Traumpaar trotz Trennung noch immer sehr mag. Aber man muss kein Fischer-Fan sein, um im Text etwas wiederzufinden."

Den Hit-Text schrieb Peter Orloff in 20 Minuten

Geschrieben hat Orloff den Text Ende 1978 innerhalb von 20 Minuten – auf dem Rücksitz einer Limousine auf der Fahrt von seinem damaligen Wohnort Forsbach ins Kölner Tonstudio. Vorausgegangen war eine durchzechte Nacht mit Bernd Clüver. Geht es im englischsprachigen Original noch um ein in voller Leidenschaft zueinander erblühtes Liebespaar, handelt der deutsche Text vom Danach: Die Beziehung ist gescheitert, aber freundschaftliche Gefühle sind geblieben. Auch wenn man nicht mehr das Bett teilt, teilt man noch immer Freude und Leid. "Die Tasse Kaffee / und auch das Glas Wein / trink‘ ich noch immer gerne mit dir / schau mal herein. Ruf vorher kurz an / und lad dich ruhig ein / wenn es kein Umweg für dich ist / schau mal herein."

In dieser ersten Strophe steckt schon das ganze Geheimnis des Songs: Kaffee und Wein dienen als Chiffren für Beziehung jenseits des Sexuellen, für intime Bindung, für Vertrauen. Egal, was war: Wir können uns noch nah sein. Uns austauschen. Selbst die Sorgen dürfen, wie es später im Song heißt, "auf den Tisch gelegt werden". Auch wenn "kein Feuer mehr brennt": Es ist gut, im Expartner einen Menschen zu haben, der einen gut kennt. "Der Rosenkrieg fällt aus, die Vertrautheit bleibt", fasst Peter Orloff die Idee zusammen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Ziemlich überraschend für einen mehr als 45 Jahre alten Schlagertext, wie viel Empathie und klare Kommunikation schon in der ersten Strophe steckt: Bitte überfall mich nicht mit deinem Besuch, sondern ruf vorher kurz an. Dann ist es okay, und du darfst dich gern selbst einladen. Schau gern herein, aber nur, wenn es kein Umweg für dich ist.

Helene Fischers Neufassung kommt nicht bei jedem gut an

Natürlich hat die Neufassung des Songs durch Fischer und Silbereisen im Netz auch viele genervte Kommentare und Persiflagen hervorgebracht. So viel Harmonie! So viel Verständnis! So viel Kaffee!

Dennoch: "Schau mal herein" funktioniert. In bester Schlagermanier als Projektionsfläche für die eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte. Der Song lässt uns daran glauben, dass das Ende einer Beziehung nicht in Kontaktabbruch, Ghosting oder das endlose Waschen schmutziger Wäsche münden muss.

Ein Lied also, das ein Ideal beschreibt – und das für viele Paare oder Ex-Paare wohl ein Ideal bleiben wird: Der Schmerz über die Verletzungen der Vergangenheit ist überwunden. Die Dinge sind – emotional und finanziell – geklärt. Beide Expartner haben sich wirklich los- und freigelassen. Es ist bei aller Sympathie aber klar, dass es wirklich nur bei einer gelegentlichen Tasse Kaffee oder einem Glas Wein bleiben wird – ohne versteckte Hoffnungen, ohne Hintergedanken. Selbst die neue Partnerin oder der neue Partner muss sich keine Gedanken machen, warum der Herzensmensch immer mal wieder bei anderen "hereinschaut".

Ein Leben ohne Eifersucht, ohne Bitterkeit, ohne Unsicherheit. Ab und zu ein Getränk, aber bitte keinen Stress. Was genau so vermutlich nur in der Schlagerwelt stattfindet.