Offene Beziehung "Mach bitte nicht dauernd mit meiner Freundin Schluss"

Eine Studentin und zwei Studenten sitzen auf der Wiese
Neben Frieden und Eintracht bringt das Leben in einer offenen Beziehung manchmal auch Probleme mit sich, die vorher nicht absehbar sind (Symbolbild)
© Digital Vision/Getty Images
"Ich war derjenige, der eine offene Beziehung wollte", schreibt Nick Rowan Bassman bei "Salon.com". Doch dass seine Freundin das Modell leben würde, ausgerechnet mit seinem Mitbewohner, erwies sich als kompliziert.

Wenn Menschen sich eine offene Beziehung wünschen, dann hat das in der Regel damit zu tun, dass sie sich "noch" nicht festlegen möchten. Die Angst, etwas zu verpassen, das schlechte Gewissen schon bei mentaler Untreue, die Neugier auf ein Abenteuer – die Gründe für das Liebesverhältnis ohne Einschränkungen sind vielfältig. Und kommen doch alle aus der gleichen Quelle: mehr erleben wollen als traute Zweisamkeit. "Salon.com"-Autor Nick Rowan Bassman hatte genug von seinen Schuldgefühlen und brachte das Thema deshalb auf den Tisch. Er sagte seiner Freundin Elizabeth, dass er sie nicht verlassen, aber trotzdem mehr Freiheit wollte. Sie stimmte seinem Vorschlag, eine offene Beziehung zu führen, zögerlich zu – obwohl die Vorstellung ihr Angst machte.

Monate später geschah, womit Bassman nicht gerechnet hatte: Elizabeth küsste seinen transsexuellen Mitbewohner, während er selbst sich im gleichen Raum befand. Es war ihr 21. Geburtstag, fünf Tage vor den Frühjahrsferien, und die Köpfe im Zimmer wandten sich den beiden zu, während Beyoncé "Drunk in Love" sang und der Kuss an Leidenschaft zunahm. "Es war einer der liebevollsten Küsse, die ich je gesehen habe", beschreibt Bassman das Geschehen zwischen seiner Freundin und seinem Zimmergenossen Jamie. 

Unerwartete Gefühle

Zunächst kam bei Bassman die Eifersucht, denn Elizabeth praktizierte gerade, was er für sein Leben wollte. Was für eine Ironie. Darauf folgte Verwirrung: Hatte Elizabeth ihre Einstellung geändert oder war das nur ein euphorischer Geburtstagskuss unter dem Einfluss von zu viel Alkohol? Schließlich das Glücksgefühl, dass zwei Menschen, die er liebte, solche Intimität teilten. Und zu guter Letzt die Hoffnung, dass Elizabeth ihn nun besser verstehen würde. "Endlich", dachte Bassman. 

Der Abend verging, doch der Kuss der beiden schien nicht enden zu wollen. Bassman betrank sich wie nie zuvor in seinem Leben – und verbrachte die Nacht kopfüber an der Toilette. Und Elizabeth, nachdem sie Bassman das Haar zurückgehalten hatte, ihre erste Nacht in Jamies Bett. Privatsphäre gab es nicht, Nähe war das Prinzip der studentischen Lebensgemeinschaft, inklusive unverschlossener Türen und unglaublich verdreckter Unisex-Duschen.

Zeit zu reden

Nachdem er dreimal ins Zimmer geplatzt war, während Jamie und Elizabeth sich küssten, beschlossen die drei, dass er Zeit sei zu reden. Das Gespräch dauerte Stunden und war warmherzig und vorsichtig. Elizabeth hielt Bassmans Blick stand, Jamie wich ihm aus. "Wir brauchen uns", gestand Elizabeth ihm. "Okay", antwortete Bassman. Bedürfnisse sind ihm heilig. Jamie bedankte sich und beteuerte, er habe das nicht verdient. Womöglich plagte ihn das schlechte Gewissen.

Jamies Freundin Sophie, mit der er eine Fernbeziehung führte, seit der Schule ein Paar war und die er vielleicht heiraten würde, wusste nichts von seinem Verhältnis zu Elizabeth. Obwohl er selbst beteuerte, dass sie mit seiner Beziehung zu Elizabeth einverstanden sein würde, hatte Bassman Zweifel. Er glaubte nicht daran, dass sie, die selten geschlechtsneutrale Pronomen für Jamie verwendete und ihren zukünftigen Ehemann und nicht ihren androgynen Partner in ihm sah, Fan einer polyamourösen Beziehung sein würde. In der Abenddämmerung beschlossen die drei, dass sie die Lage schon meistern würden und zogen Arm in Arm in Arm ins Campus-Café, lachend und mit dem Gefühl, gemeinsam auf eine ungewohnte Reise zu gehen. Doch es sollte der letzte Moment sein, an dem alle drei gleichermaßen glücklich waren.

Offene Beziehungen mag nicht jeder

Noch in der Nacht rief Jamie seine Freundin an – und kam mit den Worten "Das kann so nicht weitergehen" zurück ins Zimmer. Es hörte aber nicht auf. Bassman fragt sich, ob er hätte eingreifen müssen, doch gesteht auch, wie sehr er genossen habe mit anzusehen, wie die beiden sich ineinander verliebten: "Als würde ich mich selbst verlieben." Er mochte es, wenn Jamie schlaftrunken murmelte "Ich bin verrückt nach ihr" und er selbst mit "Nicht wahr?" reagierte. Ebenso freute er sich, morgens ineinandergerollt neben Elizabeth aufzuwachen und ihr an anderen Morgen zuzuwinken, wenn sie sich in Jamies Bett streckte. Doch hasste er es, wenn sich Jamie sich nach einem Skypegespräch mit Sophie schuldbeladen von Elizabeth abwandte.

Ein Teufelskreis. Jamie konnte Elizabeth nicht küssen, ohne Sophie seine Untreue zu gestehen, die wiederum darauf bestand, dass es so nicht weitergehen könne. Jamie konnte nicht anders als zuzustimmen und mit Elizabeth Schluss zu machen. Das hatte zur Konsequenz, dass Bassman die ganze Nacht Elizabeth' Haar streichelte, wenn sie weinte und bedauerte, was alles nicht ging. Eine Woche später trafen sich die beiden wieder allein und alles ging von vorn los. Jamies Betrügereien nervten. Bassman fühlte sich mitschuldig. Aber er hatte das Gefühl, dass Jamie jemanden brauchte, der sein Geschlecht voll mittrug. Jemanden wie Elizabeth.

Bassman begann, seinem Zimmergenossen einzureden, mit der Frau, die er heiraten wollte, Schluss zu machen, damit er aufhörte, mit seiner eigenen Freundin Schluss zu machen. "Unseretwegen." Selbstsüchtig schätzte er an der Situation den vermeintlich klaren Beweis, dass er und Elizabeth eine offene Beziehung brauchten. Er genoss das Vertrauen. Er hatte kein schlechtes Gewissen mehr, wenn er mit einer anderen Frau in der Bibliothek längeren Augenkontakt hielt oder bei einem Spaziergang ihre Hand oder nachts mit ihrem Namen im Kopf einschlief.

Ein weiteres Problem

Dann kam der Zeitpunkt, an dem Elizabeth Bedenken äußerte, dass "Außenseiter" in die Beziehung dringen könnten. Menschen, die sie beide liebten, wie Jamie, wären eine Sache. Aber wechselhafte Bedürfnisse von Fremden in dieses Geflecht einbinden? Hätten sie nicht schon genug damit zu tun, ihr eigenes Durcheinander zu entwirren? Die Doppelbeziehung wiederum nagte an Bassman. Es fiel ihm schwer zu hören, wie toll Jamie sei – und wie grausam. Es belastete seine Zeit zu zweit mit Elizabeth, eben weil sie nur zu zweit waren.

Mitte März suchten alle nach Ablenkung. Elizabeth entschied sich für Mathe, Jamie für Drogen und Bassmann schrubbte die versifften Unisex-Duschen. Ohne Atemschutz, was ihn kurzerhand mit einem Asthmaanfall ins Krankenhaus brachte. Nach der Entlassung spürte er, wie sich jedes Mal seine Lunge zusammenzog, wenn er die WG betrat. Er verordnete sich ein Exil und schlief eine Woche allein in Elizabeth' Zimmer auf der anderen Seite des Campus, während sie und Jamie in seinem Zimmer schliefen.

Es wird kompliziert

Ohne ihn als Puffer schlugen die Beziehungswellen höher. Panische Anrufe von Elizabeth erreichten ihn um Mitternacht: "Ich kann das nicht, Nick. Ich bin keine polyamouröse Person." Als er entgegnete, dass sie aber doch zwei Menschen liebe, konterte sie: "Das ist ja das Problem." Für Elizabeth war Polyamorie ein Experiment, das für ihre Beziehung nicht funktionierte. Für Bassman war und ist es ein Teil von Identität. Ob einen, drei oder zwölf Menschen lieben – er will da nichts ausschließen. Lediglich Zeit beschränke ihn im Ausleben unendlicher Liebe.

So kam es, dass Bassmans Eifersucht auf Jamie wuchs, weil alle Zeit und Energie von Elizabeth von der An- oder Abwesenheit Jamies geprägt war. Jamies Unentschlossenheit verletzte beide, Elizabeth und Sophie, und brachte Bassmans Beziehung in Abhängigkeit davon. "Jamie hatte eine große, rastlose Leere im Herzen, die ich nicht verstehen konnte. Er versuchte es mit Drogen, Liebhaberinnen und einer endlosen Reihe von Hobbys zu füllen. Nichts füllte ihn aus." Und alles was er tat, beeinflusste, wie Bassmans eigenes Leben verlief.

Das Finale

Alle wollten nur glücklich sein, aber keiner konnte. Ende April verließ Jamie Elizabeth, aufgefressen von Schuldgefühlen, mit den Worten: "Ich liebe dich nicht mehr. Du hast mir zu sehr wehgetan." Elizabeth weinte in Bassmans Armen und wiederholte immer wieder: "Ich versaue sein Leben. Ich versaue sein Leben." Bassman beruhigte sie: "Ich glaube nicht, dass du ihm irgendetwas antust, was er sich nicht längst selbst antut."

Ende des Semesters half Bassman Jamie beim Auszug. Es trug ein Shirt mit Blumenmuster, das er auf seinem Kopfkissen gefunden hatte. Jamie bedankte sich "für alles" und Bassman lächelte und log "kein Problem". Später rief Elizabeth an, um sich für den Sommer zu verabschieden. Bassman rannte sofort los – trotz des Asthmas.Als er über die Straße flog, hörte er eine Autotür schlagen und Füße schnell näher kommen. Elizabeth raste um die Ecke direkt in seine Arme. Sie küssten sich. Dann befühlte sie sein Hemd und fragte: "Warum trägst du Jamies Hemd?" "Ich habe es auf meinem Kopfkissen gefunden", entgegnete er, "Ich frage mich, warum Jamie nichts gesagt hat." Elizabeth schloss ihre Augen und sagte: "Ich habe es dort vergessen. Ich hatte es gestern Nacht an."

Beide lachten wie zu Beginn des Semesters. Nichts war verheilt, nichts gerettet, nichts ergab einen Sinn – aber sie lachten wieder.

Pärchen
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