Hausboottour rund um Venedig In der Lagune bin ich Kapitän

Von Rüdiger Schmitz-Normann
Natürlich ist es die einzig angemessene Art, sich dieser Stadt zu nähern: übers Wasser. Auf einer Hausboottour rund um Venedig erlebt man die Stadt und die Lagune mit ihren traumhaften Inseln aus großer Nähe. Und alles ohne Führerschein.

Sie stellt ein paar Cicheti auf den Tresen, venezianische Leckereien. Oliven, Salami und Crostini. Dann öffnet sie den mannshohen Kühlschrank und kramt drei Flaschen Bier heraus. Vor ihrem silberglänzenden Imbisswagen, den Luisa "El Bunker" getauft hat, sitzen geduldige Angler, ein Transportkahn tuckert vorbei. "Ist es nicht wunderschön hier?", fragt sie. In Venedig führt Luisa obendrein eine Bäckerei und eine Modeboutique, aber am liebsten ist sie hier auf der Insel Sant'Erasmo, mit Blick auf den Museumssegler vor Lazzaretto Nuovo. Sie hat für jeden Kunden ein offenes Ohr - kein Wunder, dass sich die halbe Lagune unter ihren roten Sonnenschirmen trifft.

"Wie seid ihr hier?", fragt sie. "Mit dem Hausboot", antworten wir und zeigen auf unseren weißen, schimmernden Palast am Anlegesteg. Luisa signalisiert Zustimmung und nickt. "Das ist die beste Art, die Lagune zu entdecken", sagt sie.

"Leinen los!"

Danke, Luisa. Du gibst uns das Gefühl, dazuzugehören. Zu den Menschen, die auf den Inseln der Lagune leben und die mangels Straßen alles mit dem Boot erledigen. Die nicht in Busse steigen, um zur Arbeit zu fahren, sondern in Vaporetti, stattliche Motorboote. Die als Jugendliche keine Mopeds tunen, sondern ihre Außenborder und dann den Boden mit einer Matratze auslegen, um nachts mit ihrer Freundin an einem romantischen Plätzchen zu ankern. Das Leben in der bodenseegroßen Lagune findet auf Fischerbooten und Transportkähnen statt, auf Linienschiffen, Polizeiund Krankenschiffen. Auf Kanus, Gondeln, Ruderbooten - und auf unserem Hausboot.

Auf unserem Boot gibt es ein Drinnen und ein Draußen. Das Drinnen ist zum Beispiel die knapp ein Quadratmeter große Nasszelle: Toilette und Dusche. Oder die süßen kleinen Betten. Oder die zwei Steckdosen an Bord, die nur für Rasierer zugelassen sind.

Und dann gibt es das Draußen. Das "Leinen los!" Den Fahrtwind. Die Freude, dieses zwölf Meter lange Ding langsam in den Griff zu kriegen. Besonders spannend sind die Anlegemanöver: Bei unserem ersten Versuch in Torcello kämpfen wir fast 30 Minuten, um unser Schiff in eine enge Parkbucht hinter der Basilika zu manövrieren. Einen großen Bogen schlagen, treiben lassen, kurz den Rückwärtsgang reinhauen, Bugstrahlruder - es hilft alles nichts, immer wieder werden wir von der Strömung und vom Wind abgetrieben. Als wir es endlich geschafft haben und stolz an Land gehen, erfahren wir, dass wir auf der falschen Seite der Insel festgemacht haben. Die Anlegeplätze für Hausboote sind auf der anderen Seite von Torcello. Salute!

Doch mit jedem Mal läuft es besser - bis wir sogar einer englischen Familie helfen dürfen, die seit Stunden im Schlick festsitzt. Sie haben sich zu weit von den Pfählen entfernt, den sogenannten briccole, mit denen die Fahrrinnen zwischen den Inseln markiert werden. Die Rinnen werden zwar regelmäßig ausgebaggert, doch an manchen Stellen ist die Lagune so flach, dass die Muschelfischer neben ihren Booten im Wasser knien. Wir werfen den Engländern ein Seil zu und ziehen sie, bis sie wieder genug Wasser unter dem Kiel haben. Und weiter geht's.

Hummer und Jetset

Von unserem hoch gelegenen Steuer aus scherzen wir mit den Kapitänen der Lastkähne, fotografieren die Fahrgäste auf den Vaporetti und lassen uns von ihnen fotografieren. Anders als die üblichen Hausbootferien, in denen es immer nur den Kanal entlang geht, unterliegt unsere Route keinerlei Zwängen. Die völlige Freiheit sorgt für totale Entspannung. Bleiben oder weiterfahren? Yachthafen oder Kloster? Auf Murano ein palloncino trinken, ein kleines Bier, oder sich einen pisolino gönnen, einen Mittagsschlaf? Essen gehen oder an Deck speisen? Oder doch einen kleinen Ausflug nach La Cittá unternehmen? Und das Glück kommt nebenher, egal, wohin wir fahren.

In Torcello zum Beispiel. Lange bevor Venedig besiedelt wurde, war Torcello ein mächtiger Bischofssitz mit 20.000 Einwohnern. Heute zählt die Insel gerade mal ein gutes Dutzend und zehrt vom Ruf der Vergangenheit - und der "Locanda Cipriani". Mit dem Landgasthaus hat der Italiener Giuseppe Cipriani seine Träume verwirklicht. Drüben auf der Lagune hatte er Anfang der 1930er Jahre bereits "Harry's Bar" eröffnet, jene Location, in der 20 Jahre später der Jetset Bellini-Cocktails schlürfte und dazu Carpaccio aß - beides ebenfalls eine Erfindung von Cipriani.

Hier in seinem Landgasthaus in Torcello ist nichts Jetset, dafür alles auf das Wesentliche reduziert und von allem nur das Beste. Die Anchovi-Plätzchen zergehen auf der Zunge, die Nudeln mit Hummer und das Rinderfilet mit grünem Spargel könnten ausgewogener nicht sein. An der Garderobe hängt ein alter Strohhut. Der könnte von Hemingway sein, der hier sein Nachkriegsdrama "Über den Fluss und in die Wälder" schrieb. Im Laubengang des Gartens, mit Wein überwuchert, entspannen die Gäste zwischen Rosenstöcken und Dahlien wie einst Charles Chaplin und die englische Königsfamilie.

Treffpunkt Lagune

Auf Sant'Erasmo, wo angeblich die besten Artischocken Italiens wachsen, ist das Glück handfester. Die Venezianer ankern mit ihren Außenbordern vor dem Strand, laden Tische, Stühle und Sonnenschirme ab und machen es sich mit Wein und Blick auf berghohe Containerschiffe und Kreuzfahrtriesen gemütlich. Auf dem verschlafenen Vignole schlendern wir an dem einsamen Kanal entlang zur Trattoria, wo das fertige Essen über Lautsprecher ausgerufen wird. Dort treffen wir auch die Deutschen wieder, die eine Woche mit dem Hausboot unterwegs sind, eine Männertour. "Ob man will oder nicht, man sieht sich in der Lagune immer wieder", sagt Rüdiger, der capitano, der bereits zum elften Mal hier seinen Urlaub verbringt. In der Bucht schaukeln die Boote, dahinter leuchten die Lichter von Murano, und am Himmel steht der Mond.

Wie so oft sind es die scheinbar nebensächlichen Momente, die in Erinnerung bleiben. Wenn am Horizont die Alpen auftauchen. Wenn wir auf dem Canal Grande von Murano dicht unter der Brücke hindurchfahren, die Hände heben und mit den Fingerspitzen die Stahlträger berühren können. Wenn wir vor dem Lido von einem entgegenkommenden Lastkahn mit einem Hupen begrüßt werden. Das fühlt sich für uns an wie ein Ritterschlag. Wenn wir bis nach Sonnenuntergang unter den Blicken des geflügelten Löwen zwischen Markusplatz und San Giorgio kreuzen, zum Weinen schön, und im langsam schwindenden Licht noch unseren Weg nach Vignole finden.

Glanzvolle Momente

In der Nacht steht über der Adria ein Gewitter, Blitze irrlichtern stundenlang zwischen den Wolken und erleuchten den Himmel. Unser Boot schaukelt sanft in den Wellen - traumhaft. Am nächsten Morgen glänzen die bunten Häuser von Burano wie frisch gewaschen, an den Leinen flattert die Wäsche, und die Stickerinnen hängen ihre Gardinen, Decken und Blusen vor den Geschäften auf. Und wir müssen fahren, der letzte Tag ist gekommen.

Auf dem Weg zurück machen wir noch einmal in Sant'Erasmo halt. Vor der Kirche treffen wir Giovanni, 72. "Auf Sant'Erasmo leben wir ein glückliches Leben", sagt er. "Die Menschen werden unglücklich, wenn sie zu viel wollen und es dann doch nicht erreichen. Wir sind zufrieden mit dem, was wir haben." Es riecht nach Land und Meer zugleich. "Wir haben die Sonne und das Wasser. Wir bauen an, was wir essen", sagt er. "Was wollen wir mehr?" Ist das Geheimnis des Glücks wirklich so einfach? "Nicht ganz", antwortet Giovanni. "Ich bin schon seit über 50 Jahren mit einer wunderbaren Frau verheiratet. Ein Leben zu zweit ist ein erfülltes Leben."

Dann gehen wir noch einmal zu Luisa. Zum Abschied sagt sie: "Schreibt eine Flaschenpost mit euren Wünschen. Sie werden in Erfüllung gehen." Hinter der Insel La Grazia verkorken wir die Flasche und werfen sie ins Wasser. Der Nebel schluckt das Geräusch des Aufpralls, die Flasche treibt davon, Richtung Malamocco, hinaus in die Adria.

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