In einem Alter, in dem viele Frauen zum ersten Mal Oma werden, wollte es Annegret R. aus Berlin noch einmal wissen: Mit 55 Jahren brachte sie ihre Tochter Lelia zur Welt, wickelte Windeln, fütterte Brei - und das zum dreizehnten Mal. Zwölf Kinder hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits geboren. Das war damals, vor zehn Jahren.
Heute ist Annegret R. - mittlerweile 65 Jahre alt - wieder schwanger. Sie erwartet Vierlinge, wie RTL und "Bild am Sonntag" berichten. Die Russisch- und Englischlehrerin ließ sich offenbar mehrfach im Ausland durch Eizellen- und Samenspenden künstlich befruchten. Während der letzten Behandlung wurden der Frau vier Embryonen eingesetzt - und alle vier entwickelten sich zu Föten.
Ein Vorgehen, das der Gynäkologe Ulrich Hilland, Vorsitzender des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ), in Frage stellt: "Sollten wissentlich vier Embryonen eingepflanzt worden sein, ist das unseriös. Denn je mehr Embryonen eingepflanzt werden, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Mehrlingsschwangerschaft entwickelt, die mit einem hohen Risiko verbunden ist."
Verfahren, bei denen Frauen die Eizellen von Spenderinnen eingesetzt werden, sind in Deutschland aufgrund des Embryonenschutzgesetzes verboten. Nur Samenspenden sind erlaubt. In vielen europäischen Ländern, etwa Spanien, Tschechien oder Belgien, sind dagegen beide Spenden gängige Praxis. Meist werden jedoch deutlich jüngeren Frauen Embryonen eingesetzt, die keine eigenen Kinder bekommen können. Geschichten, wie die von Annegret R. sind daher extrem selten. "Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt", sagt Ulrich Hilland.
"Schwangerschaften sind körperliche Höchstleistungen"
Auf natürlichem Weg hätte Annegret R. nicht schwanger werden können. Mit knapp über 51 Jahren sind die Eizellen der meisten Frauen verbraucht, die Regelblutungen setzen aus. Ab diesem Zeitpunkt können Frauen nicht mehr schwanger werden. Um den Körper auf die bevorstehende Einnistung der fremden Embryonen vorzubereiten, habe R. Hormone nehmen müssen, Östrogene und Progesteron, ein Gelbkörperhormon, so Hilland.
Die fremden Eizellen werden in einem Reagenzglas mit den Spendersamen befruchtet, die Embryonen nach einigen Tagen in die Gebärmutter übertragen. Mit ein wenig Glück nisten sie sich in der Schleimhaut ein und wachsen weiter heran - wie bei Annegret R.
Das Risiko für Hirnblutungen und Lähmungen steigt
Hilland weist zwar darauf hin, dass der Körper einer 65-Jährigen durchaus noch in der Lage sei, Kinder auszutragen, allerdings sei dies auch mit erheblichen Risiken verbunden: "Eine Schwangerschaft ist immer eine körperliche Höchstleistung - insbesondere für eine 65-jährige Frau. Bei Mehrlingsschwangerschaften steigt zudem das Risiko für ernsthafte Erkrankungen mit jedem weiteren Kind. Die werdende Mutter könnte beispielsweise einen Schwangerschaftsdiabetes oder eine -vergiftung entwickeln."
Auch das Risiko für Blutgerinnsel ist erhöht: "Die Plazenta produziert Hormone, die die Schwangerschaft aufrecht erhalten, die aber auch das Risiko für Thrombosen erhöhen. Da bei Vierlingen erheblich mehr Schwangerschaftshormon produziert wird als bei Einlingen, steigt das bei einer älteren Frau ohnehin schon hohe Thromboserisiko zusätzlich", erklärt Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. (BVF). Außerdem werde die Gebärmutter durch die vier Babys erheblich gedehnt. Der Gebärmutterhals könne sich daher sehr früh öffnen - und bei der werdenden Mutter vorzeitig Wehen einsetzen.
"Davon kann nur abgeraten werden"
Auch, wenn es gelänge, eine Fehlgeburt zu vermeiden und die Schwangerschaft zu erhalten, sei es unwahrscheinlich, dass die Kinder voll ausreifen: "Vierlinge kommen - entweder durch einen Kaiserschnitt oder durch einen spontanen Geburtsbeginn - im Durchschnitt bereits nach 31 Schwangerschaftswochen auf die Welt." Frühgeborene müssten mehrere Wochen in der Klinik bleiben, hätten ein erhöhtes Risiko für Hirnblutungen, Lähmungen oder Seh- und Hörschäden und seien auf Dauer krankheitsanfälliger als reif geborene Einzelkinder.
"Von einer Schwangerschaft in diesem Alter, die nicht spontan entstanden ist, sondern durch Samen- und Eizellspende und Hormonbehandlung herbeigeführt wurde, kann deshalb nur abgeraten werden", erklärt Christian Albring weiter. Der Gynäkologe Ulrich Hilland hinterfragt die Schwangerschaft auch aus Sicht des Kindeswohls: "Ist es wirklich das Beste für ein Kind, eine Mutter im betagten Alter zu haben, bei der es sich nicht einmal um die genetische Mutter handelt?"