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Nie wieder... ... Freunden beim Umzug helfen

Wer anderen Bücherkartons und Waschmaschinen in den fünften Stock schleppt, handelt nicht aus Menschenliebe, sondern aus kühlem Kalkül. Er weiß: Beim nächsten Wohnungswechsel wird ihm geholfen. Unser Autor hat jahrelang vorgesorgt - nun stehen die Freunde zentnerschwer in seiner Schuld. Der Tag der Abrechnung ist nah.
Von Roman Heflik

Eigentlich dürfte ich diesen Artikel gar nicht schreiben: Freunde könnten ihn lesen, und das wäre schlecht. Gut möglich, dass diese Freunde pikiert reagieren und mir ein massives Stück Humankapital wegbrechen könnte, das ich seit Jahren horte und hüte wie ein vielversprechendes Wertpapierdepot. Ich spreche von der Währung Umzugshilfe.

Karton gegen Karton, Stockwerk gegen Stockwerk

Vor Jahren habe ich massiv in diese Art der Zukunftssicherung investiert, habe alten und neuen Freunden beim Umzug geholfen und für sie gewuchtet und geschuftet. Mit einem Rekord von zehn Umzügen in nur einem Jahr fühlte ich mich zeitweilig wie ein Sherpa, dessen Bergexpedition sich in eine Großstadt verirrt hatte. Und während ich mich abrackerte, legte ich insgeheim ein Guthaben an Hilfsdienstleistung an, dessen Zinsen ich nun bald zu ernten gedenke. Dieses Vermögen berechnet sich in ungefähr so: Anzahl der geschleppten Kartons mal deren Durchschnittsgewicht mal Anzahl der überwundenen Stockwerke plus Kilometeranzahl der Umzugsstrecke. Mein gefühlter Kontostand ist siebenstellig.

Denn, mal ganz ehrlich: Wer für seinen Wohnungswechsel Freunde wie mich einspannt, der dankt den Bekannten anstandshalber zwar öffentlich für die uneigennützige Hilfe, weiß aber doch insgeheim, dass er sich auf einen knallharten Deal eingelassen hat. Dessen uralter Grundsatz lautet: Umzugshilfe gegen Umzugshilfe, Karton gegen Karton, Stockwerk gegen Stockwerk.

Wer hat den besseren Tausch gemacht?

Doch dieser Deal ist hochriskant, da keine der Vertragsparteien weiß, wer gerade den besseren Tausch gemacht hat: Helfe ich dem Uwe vielleicht nur dabei, seine minimalistisch eingerichtete Junggesellenbude im Erdgeschoss auszuräumen, weil ich - welch diabolischer Plan! - selbst beabsichtige, in wenigen Tagen samt Waschmaschine und Eichenschrankwand ins fünfte Stockwerk eines Altbaus ohne Aufzug einzuziehen? Andererseits: Warum grinst der Uwe gerade so? Plant der etwa, in der nächsten Woche in den Urlaub zu fahren?

Tatsächlich taugen Umzüge selten als vertrauensbildende Maßnahme oder Freundschaftsdienst. So gibt es kaum etwas, durch das man sich noch unbeliebter machen kann, als zu spät zum Umzug dazuzustoßen, noch ein paar leere Kleiderbügel zum Umzugswagen zu tragen, um sich dann theatralisch den Schweiß abzuwischen und zu fragen: "Puh, nächste Woche dann bei mir?" Solche Menschen bleiben besser ganz zu Hause, sie müssten sonst von ihren einstigen Freunden als Erschwindler des Umzugshelfer-Titels gebrandmarkt und lebenslang gemieden werden.

Aus Rache etwas Schweres erwerben

Für Verärgerung können jedoch auch die Umziehenden selbst sorgen, insbesondere wenn sie zur Gattung der Sammler gehören: von alten Möbelstücken aus Vollholz oder den "Geo"-Ausgaben der vergangenen 20 Jahre. Tatsächlich habe ich schon bei der einen oder anderen Gelegenheit überlegt, aus Rache ebenfalls etwas möglichst Schweres zu erwerben, die Encyclopaedia Britannica oder einen Satz Hanteln.

Zurzeit bin ich auf Wohnungssuche - auf dass meine Noch-Freunde endlich ihre Verbindlichkeiten bei mir abtragen mögen. Den teuren Möbelwagen darf ich mir dann sparen: Meine vielen Schuldner können problemlos eine Menschenkette von der alten zur neuen Wohnungstür bilden - egal, in welchen Stadtteil ich ziehen werde. Allerdings muss ich noch eine angemessene Unterkunft finden. Mindestens siebter Stock, versteht sich. Ob ich danach jemals wieder bei Umzügen helfen muss?

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