Analyse Der Trend zur Jobverlagerung lässt nach

Die Unternehmen suchen nach den besten, nicht den billigsten Standorten.

Wohl kaum ein Thema weckt in deutschen Betrieben so viele Ängste wie die Diskussion über Standortverlagerungen: Wie sollen deutsche Beschäftigte, deren Arbeitsstunde im Schnitt 26,50 Euro kostet, mithalten mit Polen, Ungarn und Tschechen, bei denen die Kosten zwischen vier und fünf Euro liegen? Unternehmen nutzten in den vergangenen Jahren solche Kostenvergleiche als Drohkulisse, um ihren Belegschaften Zugeständnisse abzuringen. Dieter Brucklacher, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, sieht aber inzwischen eine deutliche "Trendumkehr" beim Thema Standortverlagerung.

Das Vertrauen der Unternehmer in den Standort sei wieder da. "Viele haben erkannt, dass sie nicht darauf setzen können, am billigsten zu produzieren, sondern nur am besten." Es gebe keine typischen Verlagerungsmuster nach dem Motto, die Unternehmenskarawane zieht einfach dorthin, wo die Löhne am niedrigsten sind. Über den Umfang von Standortverlagerungen deutscher Unternehmen existieren keine exakten Daten. Eine repräsentative Umfrage des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung ergab, dass etwa jedes vierte Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes (Metall- und Elektroindustrie, Chemie und Kunststoffverarbeitung) zwischen 2001 und 2003 Teile seiner Produktion in Niedriglohnländer verlagert hat.

Mit Standorten flexibel umgehen

Der Autor der Studie, Steffen Kinkel, schätzt, dass "der Trend zur Standortverlagerung in Zukunft eher zurückgehen wird". Die deutschen Unternehmen verfügten weltweit bereits über viele Standorte. "Mit denen können sie nun flexibel umgehen und gucken, wo sich welches Produkt am besten herstellen lässt", sagt Kinkel. Rein kostengetriebene Verlagerungen, so Kinkel, seien nicht erfolgreich.

So unterschätzten viele Unternehmen den Lohn und Preisanstieg in den Niedriglohnländern. Auch die langen Anlaufzeiten für den Aufbau einer Produktion würden falsch einkalkuliert. "Es dauert in der Realität doppelt so lange wie geplant, bis die Produktion funktioniert", sagt Kinkel. Ebenfalls vernachlässigt würden die hohen Kosten, die durch das Pendeln von Managern und Facharbeitern während der Aufbauphase entstünden. "Diese Kosten werden häufig vom deutschen Standort gezahlt. Dadurch rechnet man ihn künstlich schlecht", sagt Kinkel. Er schätzt, dass im Verarbeitenden Gewerbe pro Jahr etwa 50.000 Arbeitsplätze von Deutschland ins Ausland verlagert werden.

Mehr Arbeitsplätze entstanden als abgebaut

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung rechnet im Bereich Dienstleistungen (Banken, Versicherungen usw.) für den Zeitraum von 2004 bis 2009 mit 500.000 Arbeitsplätzen. Dennoch gehört Deutschland eindeutig zu den Gewinnern der Globalisierung. Denn die meisten Unternehmen lagern nicht nur aus, um Kosten zu senken, sondern um Märkte im Ausland zu erschließen. Das führt häufig auch zu mehr Beschäftigung am deutschen Standort. Dierk Hirschel, Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sagt: "Unter dem Strich sind in Deutschland durch die Globalisierung mehr Arbeitsplätze entstanden als verloren gegangen."

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