Der Euro-Psychotest Der Euro beim Therapeuten

Angstattacken, unverarbeitete Traumata - der europäischen Gemeinschaftswährung geht es nicht gut. Zeit für eine Psychotherapie: Wir haben den Euro auf die Couch gelegt.

Therapeut: "Setzen Sie sich doch." (Der Euro setzt sich hin. Er ist gut genährt. Aber seine Augen flackern. Er hat Angst.)

Therapeut:

"Wie geht es Ihnen?"

Euro:

"Danke, gut (Er fängt jedoch unvermittelt an zu weinen). Nein, gar nicht gut. Mir geht's beschissen."

morgenstern

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Therapeut:

"Weinen Sie ruhig. Lassen Sie 's raus."

Euro:

"Ich habe seit Monaten nicht mehr richtig geschlafen. Es ist furchtbar. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll."

Therapeut:

"Ich werde Ihnen jetzt erst einmal eine Finanzspritze in Ihre südliche Körperhälfte geben. Es handelt sich hier um ein sehr starkes Beruhigungsmittel, das keinesfalls längere Zeit angewandt werden sollte. Es macht abhängig. Es lindert die Symptome, aber nicht Ihre Krankheit."

(Er verabreicht dem Euro eine Spritze.)

Euro:

"Danke, Herr Doktor (er springt auf). Damit komme ich dann erst einmal ..."

Therapeut (streng):

"Setzen Sie sich wieder!" (Der Euro setzt sich.)

Therapeut:

"Dieses Mittel habe ich Ihnen therapiebegleitend gegeben. Es ist - wie gesagt - nicht die Lösung Ihrer Probleme." (Er greift hinter sich.) "Ich habe mir mal Ihre Akte angesehen."

Euro:

"Und?"

Therapeut:

"Meiner Ansicht nach leiden Sie an einer dissoziativen Identitätsstörung."

Euro:

"Du meine Güte. Was ist das denn?"

Therapeut:

"Sie kennen wohl eher den populäreren Ausdruck. Sie sind eine sogenannte Multiple Persönlichkeit. In Ihnen wohnen verschiedene Personen mit unterschiedlichen Interessen, Fähigkeiten und Veranlagungen. Sind diese im Gleichgewicht, geht es einigermaßen. Sorgen aber ein, zwei Persönlichkeiten für Unruhe, gerät das ganze Konstrukt in eine Schieflage."

Euro:

"Oh, Gott, kann man das wegmachen? Oder Wegschneiden?"

Gehen Sie weit zurück in Ihre Kindheit!

Therapeut (tadelnd):

"Sie müssen sich als Erstes diese mechanistische Sichtweise abgewöhnen. Wegschneiden geht nicht. Es hilft auch nichts, an den Symptomen rumzudoktern. Sie müssen Ihre Krankheit akzeptieren. Sich ihr stellen. Dann können Sie auch lernen, mit ihr zu leben und langsam etwas zu verändern."

Euro:

"Wie denn?" (Der Euro schluchzt.)

Therapeut:

"Nun: durch eine Mischung aus Analyse und Verhaltenstherapie, denke ich. Lassen Sie uns doch gleich mal über Ihre Kindheit reden. Da liegt bei vielen einiges im Argen."

Euro:

"Ach so. Jetzt kommt die Nummer. Da muss ich Sie enttäuschen, Herr Doktor. Meine Kindheit war sehr glücklich. Ich war ein dickes, zufriedenes Kind."

Therapeut:

"So, so. Dann erzählen Sie doch mal. Wie war das denn so? Geben Sie mal ein paar Beispiele? "

Euro:

"Ich erinnere mich nicht an sehr viel." (Er rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.)

Therapeut:

"Ich möchte jetzt eine gedankliche Reise mit Ihnen machen. Entspannen Sie sich, schließen Sie die Augen. Gehen Sie weit zurück in Ihre Kindheit. Was ist Ihre erste bewusste Erinnerung?"

Euro (mit schleppender Stimme):

"Ich sitze bei einem meiner Väter auf dem Schoß. Es ist ein dicker, deutscher Mann. Helmut. ‚Alles wird gut‘, sagt er dauernd."

Therapeut:

"Und dann?"

Euro:

"Dann erzählt er von früher. Von der Zeit weit vor meiner Geburt. Wie das ganze Haus zweimal abgebrannt ist, weil es so viel Ärger untereinander gab. Und dann wurde die große Wohngemeinschaft gegründet."

Therapeut:

"Und dann wurden Sie geboren."

Euro:

"Ja, ich war ein Wunschkind. Ich kam allerdings per Kaiserschnitt. Es ging dann am Ende doch sehr schnell. Ich hatte es zu eilig." (Lacht tonlos.)

Therapeut:

"Was versprach man sich von Ihrer Geburt?"

Euro:

"Na ja, da gab es in dieser großen WG in Übersee meinen Cousin, diesen Dollar. Ein super erfolgreicher Typ. So einen wollten sie hier auch."

Gab es auch negative Erlebnisse zu Hause?

Therapeut:

"Und dann waren Sie auf einmal da. Und wie war das? Freuten sich alle?"

Euro:

Ich erinnere mich an viele Reden und große Feiern. Alle hatten Bombenlaune. Vor allem Kostas, der Grieche. Der hat mich dauernd durchgekitzelt und mir in die Wangen gekniffen. Der konnte sich gar nicht mehr einkriegen."

Therapeut:

"Gab es auch negative Erlebnisse zu Hause?"

Euro:

"Ich will darüber nicht reden. (Er rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Seine Augen flackern.)

Therapeut:

"Es ist wichtig, dass Sie sich dem Erlebten stellen. Was ist damals geschehen?"

Euro:

"Kostas ... ich habe ihn einmal nachts in der Küche beobachtet, wie er heimlich etwas im Haushaltsbuch geändert hat. Er hat was wegradiert und was anderes reingeschrieben. Später hat mir meine ältere Halbschwester, die D-Mark, erzählt, dass er so was auch früher schon gemacht hat."

Therapeut:

"Haben Sie jemandem davon erzählt?"

Euro:

"Nein, es war ja vor meiner Pubertät. Ich habe es damals nicht begriffen, nicht begreifen wollen."

Therapeut:

"Was geschah dann?"

Euro:

"Kostas und auch Luigi und Carlos haben sich von dem dicken Deutschen und anderen immer ganz viel Geld geliehen. Sie hätten da was Todsicheres laufen, haben sie immer erzählt. Und sie würden das Geld mit dicken Zinsen zurückzahlen."

Therapeut:

"Und? Taten sie's?"

Euro:

"Ja, aber nur, indem sie immer neue Schulden machten."

Therapeut:

"Wurde darüber zu Hause gesprochen?"

Euro:

"Nein. Immer wenn einer davon anfing, zischte ein anderer: ‚Ruhe, nicht vor dem Jungen.‘ Vor allem sollten die Nachbarn nichts erfahren. Wir wohnen ja in der Nähe vom Wochenmarkt. Nach außen taten wir immer so, als wenn nix wäre. Aber drinnen wurde die Stimmung immer sonderbarer. Und jetzt haben alle Angst und ich auch." (Der Euro weint.)

Therapeut:

"Ist ja gut. Schön, dass Sie das alles rausgelassen haben. Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Aber ein Anfang ist gemacht. Kommen Sie morgen wieder, und bringen Sie dann bitte Ihre siebzehn Eltern mit. Mit denen muss ich dringend mal reden."

Von Kester Schlenz