Wenn Veronique Maeder an den Morgen des 1. Januar 2002 denkt, ist ihr mulmig zu Mute. »Das wird ein echter Albtraum«, befürchtet die Bäckerin im 15. Pariser Arrondissement: »Wir müssen als erste in der neuen Währung rausgeben.« Der eine zahlt das Baguette stolz mit der nagelneuen Zwei-Euro-Münze, der andere kramt für seine drei Croissants und eine Flute einen abgegriffenen 100-Franc-Schein aus dem Portemonnaie. »Ich stelle mich mit einem Euro-Franc-Umrechner neben die Verkäuferin, das muss doch alles schnell gehen«, sorgt sich die Geschäftsfrau.
Rauchende Köpfe
Lange Warteschlangen und rauchende Köpfe sind zum Euro-Start unterm Eiffel-Turm vorprogrammiert. Den Franzosen hat der Wechselkurs der Einheitswährung besondere Rechenkünste auferlegt - 6,55957 Franc ist ein Euro wert, ein Franc kostet also 0,1524 Euro. Statt sechs Franc müsste Monsieur Dupont für den kleinen schwarzen Kaffee 91 Cent auf den Tresen des Cafes an der Ecke legen - wenn der Wirt nicht schon im Herbst mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns auf Euro-Preise aufgerundet hätte und seinen Kunden seitdem den Gegenwert eines glatten Euros abverlangt.
Berechtigte Angst vor Preiserhöhungen
»Die Sorge vor Preiserhöhungen ist sehr groß«, sagt der Generalsekretär der linken Verbraucherorganisation INDECOSA-CGT, Daniel Tournez. Kostet die Zeitung morgens 1,10 Euro statt sieben Franc (1,07 Euro)? Die Bäcker lockt die Versuchung, noch vor der Euro-Umstellung den Preis für das Baguette von 4,40 Franc auf 4,60 Franc zu erhöhen - das sind dann genau 70 Cent. Von November bis März wollen Handel und Industrie freiwillig auf Preiserhöhungen bei den meisten Produkten verzichten - die Franzosen sollen sicher sein, dass ihnen mit Einführung der neuen Währung nicht tiefer ins Portemonnaie gegriffen wird.
Staatsunternehmen mit schlechtem Beispiel
Die Bahngesellschaft SNCF verzichtet deshalb auf die übliche Tariferhöhung zum Januar - und kassiert die Reisenden bereits vier Monate früher stärker ab. Wenn schon ein Staatsunternehmen mit schlechtem Beispiel vorangeht, warum sollten sich andere Geschäftsleute dann zurückhalten, fragt sich die linksliberale Zeitung »Liberation« besorgt. Auch Bäckermeisterin Maeder will in diesen Tagen auf ihren Preisschildern erstmals den Euro größer als den Franc auszeichnen und bei der Gelegenheit ein paar Centimes aufschlagen.
Bargeldloses Zahlen vereinfacht Umstellung
Etwas einfacher dürfte die Währungsumstellung in den Supermärkten und bei größeren Anschaffungen vor sich gehen. Bargeld gilt bei höheren Beträgen als unfein. Die Franzosen zahlen gern und viel mit Scheck - die meisten Geschäfte akzeptieren ihn ab 50 Franc (7,62 Euro) - und Geldkarte (ab 100 Franc/15,24 Euro). Die Schecks werden dabei von einem Drucker an der Kasse ausgefüllt, der Kunde muss nur noch unterschreiben. Seit Juli gibt es die ersten Scheckhefte in Euro. Bei der Bankkarte, die an landesweit 610.000 Stellen akzeptiert wird, reicht die Eingabe der Geheimzahl. Der problemlose Start ins Euro-Zeitalter setzt allerdings voraus, dass jeder Geschäftsmann sein Lesegerät umgestellt hat.
Preisauszeichnung tückisch
Nach und nach hat der Euro an vielen Stellen Einzug in den Alltag der Franzosen gehalten und für erste Verwirrung gesorgt. Strom und Gas werden bereits in der neuen Währung bezahlt, die Angestellten des öffentlichen Dienstes in Euro entlohnt. »Liberation« berichtete von Touristen, die glaubten, in einem schicken Pariser Cafe im Viertel Saint-Germain-des-Pres einen Salat für elf Franc bestellt zu haben.
Aus Versehen Wein für 380 Euro bestellt
Richtig teuer wurde die bevorstehende Währungsumstellung für ein Pärchen, das sich in einem feinen Restaurant der Hauptstadt eine Flasche edlen Pomerol-Wein gönnte - für angeblich 380 Franc. Das Paar übersah jedoch, dass das Etablissement seine Karte schon auf Euro umgestellt hatte.
Uwe Gepp