Überflüssige Bürokratie abbauen. Irrsinnigen Papierkram abschaffen. Teure Vorschriften streichen. Das finden alle gut und wichtig. Bis zu 146 Milliarden Euro Wirtschaftsleistung jährlich kostet überbordende Bürokratie hierzulande, hat das ifo-Institut ermittelt. Das Problem ist nur: Welche Regeln konkret wegkönnen und welche bleiben müssen, da gehen die Meinungen regelmäßig auseinander.
Die Bundesregierung will in dieser Frage am Mittwoch einen entscheidenden Schritt vorankommen. Im sogenannten "Entlastungskabinett" sollen verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die vor allem die bürokratischen Lasten für Unternehmen verringern. Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) hat dafür alle übrigen Minister um Vorschläge aus ihrem Bereich gebeten. Nun warten alle gespannt, ob wirklich etwas Substanzielles dabei herauskommt.
Den Ton für die Debatte hat ausgerechnet Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) gesetzt, die bislang eher nicht als Vorkämpferin der Deregulierung galt. Bas ist mit einigen Ideen aus ihrem Haus schon vorab an die Öffentlichkeit gegangen. Sie will vor allem bei den umfangreichen Regeln zum Arbeitsschutz entschlacken und unter anderem 123.000 "Sicherheitsbeauftragte" abschaffen, insbesondere in kleinen Betrieben. Allein das soll 135 Millionen Euro sparen.
Zu viel Bürokratie beim Arbeitsschutz?
Dazu muss man wissen, dass derzeit jedes Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten mindestens einen Sicherheitsbeauftragten aus den eigenen Reihen zu stellen hat. Größere Unternehmen und solche, in denen die Beschäftigten größeren Risiken ausgesetzt sind, benötigen mehr. Da kommt eine Menge zusammen: Rund 760.000 Sicherheitsbeauftragte gibt es laut gesetzlicher Unfallversicherung in deutschen Unternehmen und Einrichtungen der öffentlichen Hand. Vom Druckluftbeauftragten für Beschäftigte, die bei der Arbeit Überdruck ausgesetzt sind, bis zum Leiterbeauftragten zur Sicherstellung der nötigen Trittsicherheit.
Klingt wie ein Paradebeispiel für überbordende deutsche Bürokratie, an die man guten Gewissens die Axt anlegen kann. Nach Bas' Vorschlag sollen Betriebe künftig erst ab 50 Beschäftigten einen Sicherheitsbeauftragten aufbieten müssen und größere Betriebe mit einem statt mehreren auskommen. Aber bringt das wirklich einen entscheidenden Fortschritt?
Beim Spitzenverband der Gesetzlichen Unfallversicherungen (DGUV) jedenfalls ist man irritiert, dass die Arbeitsministerin ausgerechnet die Sicherheitsbeauftragten in den Fokus der Bürokratie-Debatte rückt. "Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind gerade in Zeiten des Personal- und Fachkräftemangels ein hohes Gut, das auch die Produktivität und den Wirtschaftsstandort Deutschland stärkt", betonte DGUV-Geschäftsführer Stephan Fasshauer in einer Reaktion auf Bas' Vorschlag.
Der Verband spricht sich gegen eine Schwächung des Arbeitsschutzes aus – und wundert sich zudem über die von Bas genannte Einsparungssumme. Denn die Sicherheitsbeauftragten sind keine Vollzeitkontrollettis, die dafür bezahlt werden, ihren Kollegen auf die Nerven gehen. "Sie sind zusätzlich zur eigenen beruflichen Aufgabe ehrenamtlich tätig und passen gerade nicht in ein Bild kleinkarierter, bürokratischer Kontrolleure", sagt Fasshauer in der "FAZ". Zudem gebe es auch gar keine Pflicht, einen Leiterbeauftragten in der Firma zu haben, sondern nur die Empfehlung an den Arbeitgeber, Leitern regelmäßig zu prüfen, damit es keine Unfälle gebe.
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Keine einfachen Lösungen
Ähnlich sieht es der Deutsche Gewerkschaftsbund. Die Sicherheitsbeauftragten brächten insbesondere kleinen Betrieben einen "niedrigschwelligen Zugang zu Fachwissen im Arbeits- und Gesundheitsschutz", erklärt DGB-Vorständin Anja Piel. Dass die Unternehmen mit Einsparungen rechnen könnten, wenn die Beauftragten wegfielen, glaubt Piel nicht.
Klar scheint jedenfalls: Um den Standort Deutschland wirksam zu entbürokratisieren, braucht es stärkere Ideen als die Abschaffung von ein paar ehrenamtlichen Beauftragten, die die Sicherheit der Kollegen im Blick haben. Man darf gespannt sein, was Wildbergers Entlastungskabinett tatsächlich auf den Weg bekommt.
CDU-Politiker Ralf Brinkhaus erklärte am Dienstag schon mal vorsorglich, den "ganz, ganz großen Wurf – den wird’s nicht geben", sondern nur "hunderte von kleinen Maßnahmen". Neben der Streichung von Vorschriften für Unternehmen plant die Regierung vor allem weniger Papierkrieg durch mehr Digitalisierung. Geplant ist unter anderem eine vereinfachte Fachkräfteeinwanderung, sowie die Digitalisierung weiterer behördlicher Vorgänge.