"Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" – ein Video aus Sylt, in dem junge feiernde Menschen inbrünstig rassistische Parolen zur Melodie von Gigi D'Agostinos "L'amour toujours" grölen, sorgt in den sozialen Medien gerade für Entsetzen. Das Video wird fleißig geteilt, viele bekunden ihren Schrecken und vor allem ihre Überraschung, dass so etwas auch auf der Reichen-Insel Sylt passieren kann.
Warum Ihr alle so schockiert seid, weiß ich nicht. Vielleicht hat Euch Rassismus noch nie so dumm grinsend direkt ins Gesicht gelacht. Für Menschen mit sichtbarer Migrationsgeschichte wie mich allerdings gehört er zum Alltag. Von klein auf lernen wir ihn kennen und fürchten. Meine früheste Erinnerung an Rassismus spielt sich in der Grundschule ab. Meine Lehrerin, eine kalte Frau, stets mit Louis-Vuitton-Tasche am Arm, behandelte uns nicht-weiße Kinder offenkundig schlechter. Wie oft wir grundlos in der Ecke stehen mussten, kann ich heute gar nicht mehr zählen. Auch in der jungen Schülerschaft und später im Gymnasium war Rassismus weit verbreitet: Beleidigungen, körperliche Übergriffe und weiße Spucke in meinem Gesicht.
Sylt ist überall
Mit 18 Jahren zog ich nach München. Dort war es besser, zumindest etwas. Einer meiner damaligen Chefs versprach mir eine große Karriere in den Medien. "Menschen wie du sind gerade gefragt". Damit meinte er Menschen mit nicht-weißer Haut, die akzentfrei deutsch sprechen und sich sogar eloquenter ausdrücken können als manch weißer Biodeutscher.
Die nächsten zehn Jahre lebte ich in sieben Städten, machte Jobs in unterschiedlichen Branchen. Überall, in jedem Milieu und an jedem Ort, traf ich auf sie, die kleingeistigen Rassistinnen und Rassisten, die mir klar machen wollten, wo mein Platz zu sein habe: nämlich unter ihnen. Ganz sicher nicht neben ihnen. Und, Gott bewahre, niemals über ihnen.
Rassismus ist in Deutschland kein Arme-Leute-Problem. Die Moët-trinkenden Sylter Partypeople sind weder ungebildet, noch bangen sie um bezahlbaren Wohnraum. Ihr Hass ist nicht angstgetrieben. Sie sind die warm gebettete Oberschicht, mit einem Ralph-Lauren-Pullover um die Schultern und einer Gucci-Sonnenbrille auf der Nase. Sie sind die Profiteure unseres rassistischen und klassistischen Systems.
Rassismus ist kein Social-Media-Trendthema
Wenn Euch das Video jetzt so schockiert, dann sollte es nicht bloß zu einem fruchtlosen Aufreger in Eurer Instagram-Story verkommen, eingebettet zwischen Urlaubsfotos und Rabattcodes für Nasssauger. Rassismus ist kein Social-Media-Trendthema, über das man sich kurz öffentlich wirksam echauffiert, nur um dann weiterzumachen wie gehabt. Er ist brandgefährlich, kann tödlich enden.
Wenn also das nächste Mal vor Euch jemand menschenverachtende Parolen anstimmt oder diskriminierendes Gedankengut verbreitet: Hört und seht nicht weg, geht in den Dialog und zeigt Zivilcourage. Und ganz wichtig: Wählt die Rassisten raus aus unseren Parlamenten. Euer Instagramaktivismus allein reicht nicht aus.