Glosse Die Wahrheit ist da drinnen

Ein Blick auf die Schokoladenseite der Werbung offenbart: es geht nicht mit rechten Dingen zu. Die süßen Kleinen stammen entweder aus einem Computer - oder nicht von diesem Planeten.

Die Kult-Serie 'Akte X', ängstliche Menschen mit Mützen aus Alufolie und das SETI-Forschungsprojekt, mit dem Funksignale ins Weltall geschickt werden - alles ganz unterhaltsam, aber völlig überflüssig. Aufmerksame Beobachter wissen längst, dass die Außerirdischen sich mitten unter uns befinden: in den Werbespots beim abendlichen Spielfilm. Gut, so einiges sieht in der Werbung einfach anders und irgendwie schöner aus als im echten Leben, denn es soll ja etwas verkauft werden. Dafür haben wir Verständnis.

Andere Spots jedoch wecken spontan Erinnerungen an den Film 'Das Dorf der Verdammten'. Genau, das war der, in dem die außerirdischen Kinder in bedrohlichen Gruppen durchs Dorf ziehen und ihre Eltern töten. Wer den Film kennt, wird sich erinnern, dass sie seltsam gekleidet waren und wie neunmalkluge Mini-Erwachsene sprachen. Außerdem hatten alle einen leicht irren Blick.

Sie kommen nicht aus deutschen Kinderzimmern

Es sieht ganz so aus, als hätte man genau diese Kinder jetzt für die Schokobons-Werbung gecastet. Denn die lärmende Horde kleiner Schoko-Junkies, die in der aktuellen Fassung den Ausflugsdampfer stürmt, findet man sicher nicht in einem deutschen Kinderzimmer. Oder zumindest nicht, ohne vorher ein paar Fragen zu stellen, ungefähr in der Art von: Sprechen die Teenies von heute wirklich in Reimen? Will das Mädchen, das statt Schokobons "Schockobons" sagt, uns warnen oder nur die Botschaft auf möglichst brutale Art für immer in unser Gedächtnis einbrennen? Welcher 10-Jährige macht sich Gedanken über Schokoflecken auf der Kleidung, selbst wenn er ein "erfahrener Matrose" ist? Und was bitte haben das Matrosendasein und die Fleckenresistenz miteinander zu tun?

War der Stewart in Gefahr?

Kaum sind diese Punkte geklärt, gibt es Raum für weitere bange Gedanken. Haben Sie sich noch nie gefragt, was wohl aus dem Busfahrer und dem Oldtimer-Besitzer geworden ist, die die nicht krümelnden Kinder in den vorherigen Geschichten vertrauensvoll in ihre Gefährte haben einsteigen lassen? Immerhin findet die aktuelle Folge der als Serie angelegten Kampagne des Schreckens auf dem Wasser statt - und der Stewart, der noch in der ersten Fassung des Spots dabei war und Erinnerungen an Sascha Hehn auf dem 'Traumschiff' heraufbeschwor, ist entweder untergetaucht, weil er alles durchschaut hatte und nun bei der NASA aussagt. Oder die Werbe-Kinder haben ihn einfach -platsch - mit einem Stoß über Bord beseitigt, weil er plötzlich doch den Abdruck eines schokoladig-klebrigen Fingers auf der weißen Uniform hatte.

Die Wahrheit ist da drinnen

Wer denkt, er könne nun einfach die kleinen Schoko-Kugeln meiden und wäre sicher, ist allerdings schief gewickelt. Inzwischen zeigen auch diverse "große Kinder" dieselben bedenklichen Eigenschaften. Die tummeln sich dann in roten Shorts auf einem Golfplatz und genießen dabei Milchschnitten, kaufen ihren eigenen Kindern ein "Frühstückchen" statt ihnen eine Wurststulle und einen Apfel in die Hand zu drücken und futtern - unter dem "Milch-Jieper" leidend - Kindern kaltlächelnd die Schokoriegel weg. Kein Ort auf der Schokoladenseite der Fernsehwerbung scheint vor ihnen sicher. 'Akte X'-Agent Fox Moulder hatte nur bedingt recht: Die Wahrheit ist nicht irgendwo weit draußen - sie ist direkt auf der anderen Seite des Fernsehbildschirms.

Claudia Fudeus