"The Big Book Of Breasts" Zentralmassiv im Alpenglühen

Der Taschen-Verlag hat ein dickes Buch über noch dickere Dinger herausgebracht. Im Duett entdeckt von den Busenfreunden Sabina und Jo Glückmann.

Er hat das kiloschwere Buch angeschleppt: "The Big Book Of Breasts" aus dem Taschen Verlag, Format 30x30 cm, knapp 400 Seiten voller silikonfreier XXL-Brüste. Der Band spannt den Bildbogen über drei Jahrzehnte Nackedeifotografie, den Fokus auf vollbusige Damen gerichtet. Das ist eine Herausforderung, sagt sie, lass uns drüber schreiben! - Einverstanden, antwortet er. Ich konzentriere mich auf den Erotikaspekt, du schaust auf die Dehnungsstreifen.

Sie: Von einem männlichen Betrachter wäre es tatsächlich zuviel verlangt, seinen Blick bei diesem Buch an biologische Gegebenheiten und ästhetische Feinheiten zu fesseln; sich bei hunderten von gierig in die Kamera blickenden drallen Weibsbildern auf deren Mängel im Hautbild zu konzentrieren. Lasziv lächelnd nehmen die Damen Augenkontakt auf. Saugen am Blick des Betrachters. Wollen ihn unterhalten, anregen, verführen. Ziehen ihn in eine sexuell aufgeladene Traumwelt, in der er der einzige Mann ist, in der er gesteuert von Trieben, fiktive Szenarien lenken kann. Und was bleibt Frau, die sich irritiert durch "The Big Book of Breasts" blättert? Mildes Lächeln über detailverliebte Inszenierungen, die schon fast wieder ironisch wirken, mikroskopisches Begutachten von Stylingdetails wie Schminktechniken und Reizwäschekonstruktionen. Und manchmal auch nur noch sprachloses Kopfschütteln darüber, wie sich manch männlicher Betrachter von den falschen Sirenen locken und seine Fantasien zwischen Papierseiten verenden lässt.

Er:

"Wir haben Verständnis für Amerikas einzigartige Leidenschaft", heißt es in der Einführung. "Aber wie konnte es geschehen, dass ein ganzes Land auf ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, auf jene weiche Masse aus Fett und Drüsengewebe so versessen war?" Oder ganz anders gefragt: Mögen wir uns mit dem Busenfetischismus im verklemmten Amerika auseinandersetzen?

Video: "The Big Book of Breasts"

Sie: "Alle Macht den Brüsten", schreit das Buch in seinen Bildern. Und analysiert in den kulturtheoretischen Kapiteltexten, die den Bildermassen Struktur verleihen - so wie ein Büstenhalter Stütze für die Brust bedeutet -, wie Pin-Ups den amerikanischen Soldaten Kraft und Vorfreude auf die Rückkehr ins Mutterland schenkten. Gleichzeitig bedeuteten die Pin-Ups wirksamen Schutz vor Geschlechtskrankheiten. Denn beim Betrachten von Papierfotos besteht im Gegensatz zu Bordellbesuchen in feindlichen Gefilden keinerlei Ansteckungsgefahr. Und auch sonst sind die Granatenweiber ohne riskante Nebenwirkungen zu genießen. Zumindest fast. Denn eine Text-Bildkombination hinterlässt einen unangenehmen Beigeschmack bei meinem männlichen Co-Rezensenten...

Er:

Eine Zumutung, Seite 27 - unter Freuds Satz, wonach das Stillen eine Sexualverkehrsvariante sei, stehen Milchkühe mit angezapftem Euter. Bescheuert.

Sie:

Getroffen! Ein harter Schlag für den seligen Mann im Busenwunderland. Sein Lustobjekt dargestellt als Nahrungszapfsäule, als tropfendes, melkbares Etwas, schwer triefend Richtung Boden hängend. Obwohl eben diese Funktion rein biologisch gesehen primäre Bedeutung des sekundären Geschlechtsmerkmals ist. Aber was interessiert das den Betrachter eines Busenbildbands? Ihn interessiert die Lockfunktion der Brüste. Alle anderen finden in den Babynahrungsmittelabteilung der Drogerieketten, was sie brauchen.

Er: Schöne Frauen, sortiert nach Jahrzehnten: die verboten-verträumten Fünfziger (die Damen schauen bevorzugt schräg und von unten herauf), die fordernd frechen Sechziger (nun linst der Fotograf von unten nach oben), die spielerisch-offensiven Siebziger (man inszeniert nicht mehr wie befreit, man ist befreit). Die Achtziger (Samantha Fox) bleiben uns erspart, auch die Neunziger; Reprints von Titelblättern billiger Tittenblätter deuten das Ausmaß des Grauens an: Riesenbrüste korrespondieren mit falscher Goldlockenmähne und gefrorenem Lächeln. Natürlich hat das Buch keinerlei Bedeutung. Es zeigt nackte Frauen mit großen Brüsten. Man ahnt das Vergnügen einer Altherrenjury, aus Tausenden Busenbildern die 500 besten auswählen zu dürfen. Ein infantiler Spaß, vergleichbar dem Eifer von Milchbubis beim Sammeln von Fußballerklebebildchen.

Sie:

Falsch. Keine Auswahljury hat schwüle Sommertage mit der Nacktbilderauswahl zugebracht. Dian Hanson, eine Veteranin im Männermagazingeschäft und deren 25-jährige Erfahrung und Fingerspitzengefühl sind für die Bildauswahl verantwortlich.

Er:

Das Buch ist eine Offenbarung. Exhibitionistische Frauen, kühler Kamerablick, Brustkunstbilder. Anonyme Damen neben professionellen Busenmodellen, Studio-Pinups und Babsi auf dem Flokati, so unterschiedlich sie sein mögen - sonnenwarme Ästhetik ist ihnen allesamt eigen. Der billige, geile, zudringliche Blick prallt ab an dieser majestätischen Weiblichkeit. Stolz erscheinen sie, selbstbewusst, ihre Brust ist ihr Panzer und ein Diadem, das sie krönt. Man betrachtet das Buch neugierig und blättert darin so entzückt wie ehrfürchtig. Man klappt es zu und fühlt sich ertappt. Wie töricht ist diese Ehrfurcht, wie groß die Verwirrung! Der Reflex funktioniert, es kichert das Ewigweibliche.

Sie:

Und ist sich seiner Durchschlagkraft bewusst. Als "deux obus" - zwei Geschosse - werden die Brüste im französischen Alltagsjargon bezeichnet. Eine treffende Formulierung für diese biologischen Bomben, die im Auge des Betrachters explodieren. Wuchtiges Dynamit: bedeutungsvoll, schwer. Frauen haben sie oder nicht, lassen sie machen oder sein wie sie sind. Männer wollen sie haben. Zumindest leihweise, zum Anschauen und Anfassen. So wie der 8-jährige Tete im spanischen Liebesfilm "La Teta y la Luna". Tete macht sich auf die Suche nach einer Brust, ganz für ihn alleine. Nach zwei Titten, die er mit niemand teilen muss. Nicht mit seiner neugeborenen Schwester, die in hungrig aus seinem Mutterbrustparadies vertrieben hat, nicht von lüsternen Liebhabern oder von besessenen Ehegatten, die mit besitzergreifenden Ehegattenhände die Gattinenbrust verdecken. In "The Big Book of Breasts" finden sich auf jeden Fall genug Brüste für alle.

Er:

Es spielt keine Rolle, welche Frauen ich in diesem Buch besonders mag, ich sage es trotzdem: die beiden Unbekannten von Seite 50 und 114, Linda von Seite 118, Joan (143), Regina (220), Chesty (371) nebst Michelle (369).

Das Buch:

Dian Hanson: "The Big Book of Breasts"
Taschen Verlag, Hardcover, 30 x 30 cm
396 Seiten, 39,90 Euro
www.taschen.com

Sie: Welche Tittenbilder mein Ästhetikempfinden stören? Sicher wird es als stutenbissig empfunden, diese hier zu nennen. Dennoch: Jane Reynolds und ihre ehemaligen Senkrechtstarter auf dem Weg in Richtung Schwerkraft (Seite 126), die in Schminktopftiegeln geaalten Grazien auf der Doppelseite 212/213 und die komplette Fotoreihe von Norma Stitz, der Frau mit den größten natürlich gewachsenen Brüsten. Schnell die Augen zu und einen Büstenhalter mit einer Mindestgröße von 100 DD vorstellen, der mit festem Stoff die Vorbaupracht stützt und bedeckt. Ob natürlich gewachsen oder mit Silikon vollgepumpt: "Was zuviel ist, ist zuviel", seufzt das nicht ganz so üppig bestückte Weiblein und blättert weiter auf der Suche nach Brüsten, die nicht die Sicht versperren auf das, was die Welt noch zu bieten hat.

Er:

Lass mir meinen verkitschten Blick. Brustschwärmen ist vergleichbar mit dem euphorischen Abendblick, Zentralmassiv im Alpenglühen.