Es ist nicht die reine Schadenssumme, die den Strafprozess, der an diesem Dienstag vor dem Landesgericht Innsbruck beginnt, zum Wirtschaftsprozess des Jahres in Österreich macht. Rund 660.000 Euro beträgt der Schaden, um den es in diesem Fall vor Gericht geht. Eine vergleichsweise läppische Summe, insbesondere wenn man sich den Angeklagten anschaut: Ex-Immobilienkönig René Benko, der jahrelang als Mehrfach-Milliardär galt.
Knapp zwei Jahre nach dem Crash von Benkos Signa-Gruppe läuft nun der erste Prozess, in dem sich der einst gefeierte Unternehmer vor Gericht verantworten muss. Schon vor einigen Tagen wurde der prominente Untersuchungshäftling von Wien in seine Heimatstadt Innsbruck verlegt. Am Dienstag wird Benko auf der Anklagebank Platz nehmen. Im Fall einer Verurteilung drohen dem Mann, der einst als "Wunderwuzzi" galt und der heute sämtliche Vorwürfe zurückweist, bis zu zehn Jahre Haft. Capital beantwortet die wichtigsten Fragen zum Prozess.
Worum geht es im ersten Prozess gegen René Benko?
Die erste Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Benko bezieht sich nicht auf Vorgänge in seinem Signa-Konzern – sondern auf die Umstände von Benkos Privatinsolvenz. Der heute 48-jährige Tiroler Immobilienmagnat hatte im Frühjahr 2024, wenige Monate nach dem Crash bei Signa, auch Insolvenz als Einzelunternehmer angemeldet. Offenbar sehen die Strafverfolger bei den damaligen Geldflüssen im persönlichen Umfeld von Benko und seiner Familie die Beweislage für mögliche Straftaten am belastbarsten – nach ihrer Auffassung dokumentiert in sichergestellten Fotos und Chatnachrichten sowie abgehörten Telefonaten.
Die Ermittler werfen Benko vor, in Erwartung seiner privaten Insolvenz bewusst Vermögenswerte beiseite geschafft und dadurch seinen Gläubigern entzogen zu haben. Im österreichischen Strafrecht lautet dieser Tatvorwurf betrügerische Krida, also betrügerischer Bankrott. Konkret soll Benko laut der WKStA im Oktober 2023 vier Jahresmieten in Höhe von insgesamt rund 360.000 Euro für die Anmietung einer Villa in Innsbruck an eine Tochterfirma einer Familienstiftung, zu deren Begünstigten seine Mutter Ingeborg zählte, überwiesen haben – obwohl die Villa auf der Innsbrucker Hungerburg zu diesem Zeitpunkt nach einem Hangrutsch monatelang nicht bewohnbar war.
Auch eine Schenkung von 300.000 Euro an Angehörige werten die Ermittler als Versuch, vor der Pleite Vermögen in Sicherheit zu bringen. So summiert sich der Gesamtschaden auf rund 660.000 Euro. Allein Darüber hinaus machen Gläubiger Forderungen in zweistelliger Milliardenhöhe geltend, doch darum geht es in dem Prozess noch nicht. Für Benko könnte eine Verurteilung im aktuellen Prozess aber schon zu einem Problem werden, weil es strafrechtlich bereits als schweres Vermögensdelikt mit entsprechendem Strafmaß gilt. Benko hat die Vorwürfe der WKStA in seinen Vernehmungen zurückgewiesen und fühlt sich ungerecht behandelt. Es gilt, wie bei allen Vorwürfen der Ermittler, die Unschuldsvermutung.
Wie lang geht der Prozess und wann gibt es ein Urteil?
Für den Prozess hat das Innsbrucker Landesgericht lediglich zwei Verhandlungstage angesetzt. Schon bis Mittwochabend wird ein Urteil des Schöffengerichts erwartet. Nach dem Prozessbeginn am Dienstag um 9 Uhr haben im Schwurgerichtssaal zunächst Staatsanwaltschaft und Verteidigung das Wort. Auch Benko könnte sich zu den Vorwürfen äußern.
Wer sind die Zeugen gegen Benko?
Für den zweiten Verhandlungstag sind acht Zeugen geplant, die unter Wahrheitspflicht stehen. Auf der Zeugenliste finden sich unter anderem Benkos Mutter und seine Schwester, die allerdings ihre Aussage verweigern können, sowie der Ex-Finanzchef von Signa, ein enger Vertrauter von Benko, der wiederum selbst im Visier der Ermittler steht. Sie alle spielten eine wichtige Rolle bei den diversen Familienstiftungen der Benkos – zumindest auf dem Papier. In Wahrheit, so die Erkenntnis der Ermittler, habe René Benko selbst die Kontrolle bei den Stiftungen und deren Geldflüssen ausgeübt.
Folgen weitere Prozesse gegen Benko?
Im Verfahrenskomplex Signa laufen seit dem Crash der Dachgesellschaft Ende 2023 umfangreiche Ermittlungen in mehreren Ländern – neben Österreich auch in Deutschland und Italien. In Österreich wurde beim Bundeskriminalamt eine Sonderkommission "Signa" eingerichtet. Dort verfolgen die Ermittler rund ein Dutzend verschiedene Ermittlungsstränge, aus denen eine ganze Prozessserie folgen könnte, wie Signa-Insider erwarten.
Dabei geht es um dubiose Geldflüsse in der Signa-Gruppe oder zwischen Firmen und Stiftungen aus Benkos Familienumfeld und der Signa-Ebene. Die Ermittler sind überzeugt, dass Benko sowohl im Unternehmen als auch bei den Stiftungen als "faktischer Machthaber" das Sagen hatte. Benkos Verteidigungsstrategie beruht unter anderem darauf, dass er weder bei den zahllosen Signa-Firmen noch bei den Stiftungen eine offizielle Führungsfunktion hatte.
Auch in einem zweiten Fall hat die WKStA inzwischen Anklage erhoben. In diesem geht es – wie im ersten Prozess – um den Vorwurf der betrügerischen Krida. So fanden die Fahnder bei Verwandten von Benkos Ehefrau Nathalie in einem versteckten Tresor teure Uhren, Manschettenknöpfe und Schmuck sowie 120.000 Euro Bargeld. Benko will von dem Tresor nichts gewusst haben, die Uhren habe er seinen Kindern geschenkt, wie er in seinen Vernehmungen angab. In diesem Verfahren hat die WKStA nicht nur den Signa-Gründer im Visier, sondern auch seine Frau. Nathalie Benko, die in den guten Jahren vor der Pleite Millionensummen für Luxusmode, Schmuck und eigene Immobiliengeschäfte ausgab, wirft sie "Beitragstäterschaft" vor. Beide Benkos haben gegen die Anklage Einspruch erhoben. Das Gericht hat bislang noch nicht über eine mögliche Hauptverhandlung entschieden.
Auch in weiteren Fällen könnte es noch Anklagen gegen René Benko geben. Dabei geht es etwa um Kapitalerhöhungen und Kredite, bei denen sich Signa-Investoren und Fremdkapitalgeber über die wahre Lage des Konzerns getäuscht sehen. Insgesamt werden im Signa-Komplex allein in Österreich mehr als ein Dutzend Personen als Beschuldigte geführt. Auch gegen zwei Verbände wird ermittelt. Die Vorwürfe reichen von schwerem Betrug über Untreue bis zu Subventionsmissbrauch und verschiedenen Insolvenzdelikten.
Welche Haftstrafe droht René Benko?
Das Strafmaß für betrügerische Krida beträgt in Österreich ein bis zehn Jahre Haft. Grundsätzlich können sich nach österreichischem Recht bei mehreren Verurteilungen die Strafen addieren. Bei den Straftaten, die Benko zur Last gelegt werden, geht dies allerdings nur bis zu einem Strafmaß von zehn Jahren. Für alles, was darüber hinausgeht, wird eine symbolische Freiheitsstrafe verhängt.
Sollte der Signa-Gründer in einem oder mehreren Prozessen verurteilt werden, würde seine Untersuchungshaft auf die Haftdauer angerechnet. Benko sitzt seit Januar 2025 in U-Haft. Wie frühere Vertraute berichten, leidet der Ex-Milliardär unter den kargen Haftbedingungen hinter den hohen Gefängnismauern der Justizanstalt in Wien-Josefstadt. Anträge seiner Verteidigung auf Entlassung aus der U-Haft wurden allerdings in mehreren Haftverhandlungen abgewiesen. Das zuständige Gericht sah bei Benko einen dringenden Tatverdacht sowie "Tatbegehungsgefahr", also weitere mögliche Straftaten, etwa zur Sicherung von Vermögenswerten.
Welche Ermittlungen laufen in Deutschland?
In Deutschland interessieren sich Staatsanwaltschaften im Signa-Komplex vor allem für zwei Stränge. In einem Fall geht es um die Insolvenz der Luxuskaufhausgruppe KaDeWe Group im Januar 2024. Hier gehen Berliner Ermittler dem Verdacht der Insolvenzverschleppung sowie des Subventionsbetrugs nach – mutmaßlich im Zusammenhang mit Staatshilfen in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe während der Corona-Pandemie. René Benko hatte bei der KaDeWe-Gruppe, die Signa knapp zur Hälfte gehörte, allerdings keine Funktion als Geschäftsführer inne, dürfte hierbei also nicht selbst im Fokus stehen.
Im zweiten Fall hat die Münchner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einem Immobilienprojekt in der bayerischen Metropole eingeleitet. Für das Projekt namens "Franz" soll Benko unter falschen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag bei dem saudischen Staatsfonds PIF eingeworben haben. Das Geld sei dann jedoch an anderer Stelle im Signa-Imperium gelandet, lautet der Vorwurf. Deshalb ermitteln die Münchner Staatsanwälte wegen des Verdachts des Betrugs und der Untreue. Benkos Anwalt hatte die Vorwürfe in der Vergangenheit stets zurückgewiesen.
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