Liebe stern-Leser!
So ist es nun mal: Wer Erfolg hat, der darf fast alles und dem sieht man vieles nach. Besonders in der Politik. Als Partei-Patron Kohl seinerzeit quälend lange, besserwisserische Monologe in den CDU-Gremien hielt, klappten nicht wenige Gefolgsleute heimlich das Messer in der Hose auf. Aber: Der Alte hatte über viele Jahre Erfolg beim Wähler, also wurden seine Macken und Machenschaften geschluckt und ertragen. Bei Angela Merkel gilt dieses Prinzip auch. Nur – sie hat keinen wesentlichen Erfolg vorzuweisen. Sie konnte der CDU keine wirklich neuen Inhalte anfüttern, ihr nicht den Weg weisen in das Herz und den Kopf des Wählers. Zu sehr kungelte sie mit ihrem engsten Mitarbeiterkreis, der aber nicht mit dem Rest der Partei vernetzt ist. Kein Erfolg, kein Pardon! Dass führende CDU-Granden jetzt schon wieder Distanz zur CSU wahren, entspringt nicht der Sorge um Angela Merkel, sondern der um die Eigenständigkeit ihrer Partei. Versierte Politikbeobachter weisen darauf hin, dass ein Mann genauso gescheitert wäre, wären ihm Angela Merkels Fehler unterlaufen. Das ist nicht falsch. Führt aber zur Gegenfrage, ob derlei Führungsfehler womöglich „typisch weiblich“ sind. Eine sehr männliche Sicht der Dinge. Zögerlich sei sie, packe nicht zu, heißt es beispielsweise. Und bar jeder Selbstkritik. Bei Männern würde man dies übrigens Stehvermögen nennen. Man könnte einwenden, dass wir in einer aufgeklärten politisierten Gesellschaft leben, in der das Geschlecht – dem Feminismus sei Dank – keine Rolle mehr spielt. Viele Politikerinnen sehen das fundamental anders. Ministerpräsidentin Heide Simonis etwa, die im stern-Interview (Seite 40 in der Printausgabe) nüchtern feststellt, Merkel sei gescheitert, weil sie eine Frau ist. Passend dazu kommentierte eine seriöse deutsch Tageszeitung auf Seite , nun müssten sich die Bürger ja „nicht länger überlegen, ob sie sich selbst, das Land oder das Kabinett reif fühlen für eine Frau an der Spitze“. Ach, darum ging es also. Tatsache ist: Politiker machen es ihren Kolleginnen nicht leicht. Und die Medien auch nicht. Eine leichte Hautrötung vor der TV-Kamera – und schon heißt es: „Die heult ja gleich.“ Dazu ein paar laute Worte – „hysterisch, die Frau“! Ein Mann käme da besser weg – „wütend, leidenschaftlich, standhaft“ würde den meisten dazu einfallen. Das Fernsehen ist gefährlich für Politikerinnen. Denn: Männer bieten dem TV-Publikum selten ein reales Bild von sich selbst an, sondern das Bild, das die Zuschauer gern sehen. Imagepolitik eben, sehr wirksam, wenn sie gekonnt gemacht wird, siehe Schröder, siehe „Kompetenz-Stoiber“. Frauen dagegen drängt es offensichtlich weniger danach, sich zu verstellen. Sie mögen ehrliche Worte auch vor großem Publikum, was Männer natürlich naiv finden. Fazit: Wenn wirkliche Macht zu vergeben ist, denken Männer immer nur an Männer!
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold Chefredakteur