Editorial Die Sache mit dem Glück

Beinahe sein ganzes Leben lang - und das sind jetzt 68 Jahre - begnügte sich Tibets lächelnder Gottkönig mit simplen Gerichten und mönchischer Garderobe. Sein einziger Luxus: eine Armbanduhr und täglich sechs Stunden Meditation.

Je komplizierter die Weltlage, umso größer unsere Sehnsucht nach Übersicht, menschlicher Nähe, einfachen Lösungen. Man muss nur in die Bestsellerlisten schauen: "Simplify your life", "Mensch Bleiben - High-Tech und Herz" oder eben, seit vielen Wochen, "Ratschläge des Herzens" vom Dalai Lama. Beinahe sein ganzes Leben lang - und das sind jetzt 68 Jahre - begnügte sich Tibets lächelnder Gottkönig mit simplen Gerichten und mönchischer Garderobe. Sein einziger Luxus: eine Armbanduhr und täglich sechs Stunden Meditation. Kaum einer der Millionen westlichen Sinnsucher und Dalai-Lama-Bewunderer würde sich damit bescheiden, schon gar nicht Richard Gere. Als stern spezial-BIOGRAFIE-Redakteur Bernd Volland, Autor unserer Titelgeschichte, den Friedensnobelpreisträger im indischen Exil traf, fragte er ihn, ob persönliches Glück Ziel eines Gottkönigs sein dürfe. Die Antwort des Dalai Lama: "Doch, ja. Gut zu schlafen, gut vegetarisch zu essen, das genieße ich." Aber das Geheimnis sei ein anderes: "Hilf anderen, glücklich zu sein, dann wirst du es selbst."

Auch Ingrid Betancourt, die ehemalige kolumbianische Präsidentschaftskandidatin, stellte ihr individuelles Glück hintenan, um sich - ähnlich wie der Dalai Lama - für das ihrer Landsleute einzusetzen (ab Seite 42). Sie bezahlte mit ihrer Freiheit: Seit zwei Jahren wird die "Jeanne d'Arc Kolumbiens" irgendwo im Dschungel von Rebellen gefangen gehalten. Ihre Familie hat Hoffnung, dass sie in den nächsten Wochen freikommt. Andere Helden in diesem Heft suchten das Glück dichter am eigenen Wohl. Und landeten mal, wie die Gebrüder Dassler, im Sportschuhgeschäft - jedes Kind kennt heute die späten Folgen ihres frühen Bruderstreits, nämlich die Weltkonzerne Adidas und Puma (ab Seite 92). Oder, wie die Freunde Siegfried & Roy, beim Zauber mit Wildkatzen. Kein Streit hier, und wenn doch, dann war Roys Gegner ein Tiger, Montecore. Die Geschichte der beiden Buben aus der deutschen Pampa, die in der Wüste Nevadas Reichtum und Ruhm fanden und deren Glücksphase seit dem 3. Oktober 2003 zu Ende scheint.

Herzlichst Ihre

Petra Schnitt