Editorial So bleibt die Koalition gesund

Liebe stern-Leser!

Die anstehende Gesundheitsreform könnte das Vorurteil widerlegen, dass eine Große Koalition nur kleinste gemeinsame Nenner zustande bringt. Die Erwartungen sind hoch, zudem würde ein müder Kompromiss das derzeitige Stimmungshoch wegblasen. SPD-Fraktionschef Struck knüpft an die Operation gar das Wohl der Koalition: Wenn es nicht gelinge, einen dritten Weg zwischen Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie zu finden, "dann haben wir es nicht verdient, weiter zu regieren". Er kann so etwas sagen, weil er wie alle Spitzen der Regierung weiß, dass ein vorzeitiges Scheitern der Koalition nahezu ausgeschlossen ist. Denn dann hätten beide Volksparteien diese Bezeichnung nicht mehr verdient, und der Bürgerzorn würde ihre Sympathiewerte für lange Zeit unter Wasser drücken.

Noch gibt es ja

dieses weit verbreitete Wohlwollen gegenüber Merkels Kabinettstrupp. Schon allein deshalb, weil sich die Bürger nicht belästigt fühlen durch das sonst übliche politische Vorschlagswesen auf allen Kanälen. Lobbyisten und parteipolitisch gesteuerte Gesundheits-Ökonomen nutzen zwar die Reform-Brutphase, um sich mit meist widergekauten Debattenbeiträgen in Szene zu setzen. Doch es hört ihnen kaum jemand zu, das Publikum will nicht mehr jede Wendung in der Deutungsschlacht nachvollziehen. Es hört weg, bis im Sommer endlich ein veritabler Regierungsentwurf auf dem Kabinettstisch liegt.

Der könnte, wenn man die Berliner Rauchzeichen richtig deutet, das Gesundheitssystem ordentlich durchschütteln - und nur dann bliebe auch die Koalition gesund. Es gibt bei den Schwarzen und den Roten ernst zu nehmende Politiker, die es nicht dabei belassen wollen, lediglich mehr Geld für die Kassen, Ärzte und Ständevertretungen einzusammeln (nebenbei: Wir sind neben Österreich - ähnliches System - das einzige Land in Europa, das eine ärztliche Versorgung ohne Kassenärztliche Vereinigung angeblich nicht regeln kann!). Sie wollen durch die Kruste des Systems - mehr Wettbewerb, das Honorarverteilungsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen aufbrechen, die Milliarden heben, die nach Meinung von Experten versickern. Die Schranken zwischen privaten und gesetzlichen Kassen müssen sich öffnen. Und kein leistungsfähiger Bürger darf sich der solidarischen Finanzierung einer Grundsicherung entziehen.

Gerade, wenn der Wind

des globalen Wettbewerbs eisig weht, braucht eine auf Wachstum gedrillte Gesellschaft sozialen Kitt - Solidarität! Und der wohl beste Gradmesser dafür ist die Antwort auf die Frage, wie wir in diesem Land mit Kranken umgehen, die sich nicht selbst helfen können.

Herzlichst Ihr

Andreas Petzold

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