"The Travelers" "Wo Schönheit ihre Trauer besänftigt"

Von Sabina Riester
Ein ungewöhnliches Projekt hat die amerikanische Fotokünstlerin Elizabeth Heyert verwirklicht: Um Vergänglichkeit zu thematisieren, hat sie hat den letzten Auftritt von 31 Menschen aus Harlem in einem Bildband verewigt.

Der Bildhintergrund trägt den westlichen Farbton der Trauer und des Todes. Er ist schwarz. Im Vordergrund ist eine farbige Frau mittleren Alters im veilchenblau leuchtenden Abendkleid. Um ihren Hals ist locker ein weißer transparenter Schal gewickelt. Gekrönt wird ihre festliche Erscheinung durch glitzernde Ohrringe und helle Spitzenhandschuhe. Die Augen sind geschlossen, ihr Lächeln scheint friedlich. Es ist ein schönes und stilles Portrait von Daphne Jones, einer 49 Jahre alten Amerikanerin.

Alles was von ihr erzählt werden kann, ist das in diesem Bild Sichtbare. Wie bei der Betrachtung von Fotografien üblich, konzentriert und verlässt sich das Auge ganz auf die Informationen, die von der äußerlichen Hülle abgeleitet werden können. Doch im Gegensatz zu anderen Portraitaufnahmen gibt es bei diesem Bild, auch nach intensivstem Betrachten, nichts mehr zu suchen und zu entdecken. Das verborgene Innere hat das Bild bereits verlassen. Die abgebildete Frau ist seit wenigen Tagen tot. Ihr Foto ist eines von 31 Portraits, die die Amerikanerin Elizabeth Heyert zwischen dem 9. Februar 2003 und 14. März 2004 im New Yorker Stadtteil Harlem aufgenommen hat. Heyert sagt: "Erst mit dem Tod kennst Du eine Geschichte von Anfang bis Ende."

Die Party ins Paradies

Begonnen hat ihr außergewöhnliches Projekt mit dem morgendlichen Blick in die Zeitung. Heyert las dort einen Artikel über Isaiah Owens, einen erfahrenen Leichenkosmetiker und Bestattungsdirektor in Harlem, der Beerdigungen in der Tradition des im Süden verhafteten Baptismus anbietet. Nach dessen Ritual werden die Verstorbenen festlich gekleidet und geschminkt um auf angemessene Weise ihren Weg ins Paradies antreten zu können. Owens selbst nennt es "going to the party". Die Frauen tragen häufig außergewöhnliche Hüte, die Männer oft weiße Anzüge.

Selten gewordenes Beerdigungsritual

Isaiah Owens ist einer der wenigen Bestattungsunternehmer, der diese Rituale durchführt. Die Toten, die für die Zeremonie zu ihm nach Harlem gebracht werden, kommen oft von den entferntesten Orten, häufig auch aus dem Süden der Vereinigten Staaten, aus Caroliona. Nach dem Beerdigungsritual werden sie in ihre Heimat zurückgeflogen und dort beigesetzt. Über Owens Bestattungsinstitut prangt der Satz: "Wo Schönheit ihre Trauer besänftigt". Wertvolle Stoffe, Juwelen und Puder in Momenten, in denen die Trauer alles zu beherrschen scheint.

Die letzte Reise erfasst das Wesentliche

Die Fotografin Heyert hat deren Glanz festgehalten. Jetzt sind diese Aufnahmen in einem angemessen puristisch gestalteten Bildband im Scalo Verlag erschienen. Den Titel "The Travelers" und die Idee hinter ihrem Projekt erklärt die sich selbst als Atheistin bezeichnende Fotokünstlerin wie folgt: "Es geht um Vergänglichkeit. Diese Menschen kommen von verschiedenen Orten und sie alle haben dieselbe Reise aus dem Süden nach Harlem hinter sich. Hier wird ihnen die Möglichkeit geboten, so zu sein wie sie sein möchten. Die Geschichte, die ich zu erzählen versucht habe, handelt von der Art und Weise wie sie gewesen sind. Es geht um die Reise des 20. Jahrhunderts.

Das letzte Bild vor dem Abschied

Ganz im Gegensatz zu den hektischen Reisenden, die auf Flughäfen und Bahnhöfen umherirren, umgibt die von Heyert Fotografierten eine monumentale Stille. Die Achterbahn des Lebens liegt hinter ihnen. Was danach kommen wird ist an dieser Stelle nicht relevant. Wichtig in diesem Moment ist nur, wie ihre Hülle, ihr Anblick den Freunden, Angehörigen und fremden Betrachtern in Erinnerung bleiben wird. Von Bedeutung ist ihr letzter Auftritt, das letzte Bild, mit dem sie sich von dieser Welt verabschieden.

Elizabeth Heyert: The Travelers, 59 Euro, Scalo 2006 www.scalo.com