Ein Bild und seine Geschichte Regen aus dem Untergrund

Von Philipp Gülland
Sommer 1963, Harlem kocht. Seit Wochen glüht die Sonne über New York, Rekordhitze. Um den Anwohnern Abkühlung zu verschaffen, werden Hydranten geöffnet - sehr zur Freude der Kinder. Dem Fotografen Leonard Freed verhilft dieser Regen aus dem Untergrund zu einer Ikone.

Ein Bild purer Lebensfreude, eines das förmlich "Sommer" und "Kindheit" schreit. Die hochformatige Schwarzweißaufnahme zeigt eine Straße im New Yorker Stadtteil Harlem. Im Vordergrund sprüht ein Hydrant fächerförmige Fontänen auf den flirrenden Asphalt, zwei Kinder toben durch die Wasserstrahlen, genießen lachend die nasse Abkühlung. Es ist ein heißer Tag. Die Millionenstadt glüht, ihre Einwohner schwitzen schon seit Wochen - der Sommer schenkt New York dieses Jahr ungewöhnliche Hitze. Der Regen aus dem Untergrund ist für viele eine willkommene Erfrischung, für die beiden schwarzen, barfuß in der Pfütze stehenden Kinder ganz sicher auch ein Heidenspaß.

Leonard Freed, 34, steht an diesem heißen Tag in Harlem auf der anderen, der trockenen Seite des Hydranten. Das Bild ist Teil eines Fotoessays, in dem der Fotograf die Situation schwarzer Amerikaner erforscht. Er fotografiert in Harlem, dem Epizentrum afro-amerikanischer Kultur in den USA, Washington D.C. und den Südstaaten. Freed dokumentiert Alltag und Kampf der Schwarzen in einer Nation, die sie noch immer als Bürger zweiter Klasse sieht. Auf der Suche nach Wahrheit betrachtet er Koexistenz und Kampf der Kulturen von allen Seiten.

Den Fotografen sieht er dabei als Forscher. "Letztlich dreht sich in der Fotografie alles darum, wer Du bist. Es ist die Suche nach Wahrheit im Verhältnis zu Dir selbst. Und die Wahrheitssuche wird zur Gewohnheit", definiert Freed seine Arbeit. Die gesuchten Gegensätze folgen dem Postkartinidyll auf leisen Sohlen: Unbeschwerte Spiele in schweren Zeiten, hitzige Debatten und Abkühlung, Kampf und Hoffnung lasssen sich im historischen Kontext genau so assoziieren, wie kindliche Freude und Unschuld.

Sein Essay führt ihn quer durch die Vereinigten Staaten, die Idee dazu aber hatte Freed am anderen Ende der Welt. An der Berliner Mauer fällt ihm ein schwarzer US-Soldat auf und er stellt fest : "Zu Hause kämpfen Afro-Amerikaner um ihre Bürgerrechte und hier in Deutschland ist ein schwarzer Soldat bereit, die USA zu verteidigen." Die Erkenntnis wird Ausgangspunkt einer langen und gründlichen Untersuchung.

Am Ende steht eine Bildstrecke, die vom Kampf einer unterrepräsentierten Ethnie Mitte des 20. Jahrhunderts erzählt, von ihren Sorgen, Nöten und Träumen. Feinsinnig und informativ zeichnen Freeds Fotografien ein umfassendes Bild der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. 1968 unter dem Titel "Black in white America" als Buch veröffentlicht, zeigt der Essay auch wer Leonard Freed ist. Einer, der mit kindlicher Neugier forscht und findet. Einer, der mit sorgloser Geduld eine Geschichte bloßlegt - das können auch zwei Kinder und ein Hydrant an einem heißen Sommertag sein.