Fotokünstler Thomas Demand Realität, die beim Anblick zerfällt

  • von David Scherf
Das Badezimmer, in dem Barschel in der Wanne lag, der mutmaßliche Ort eines Kindesmissbrauchs - Thomas Demand baut Tatorte nach und fotografiert sie in Originalgröße. Dafür schleicht sich der international renommierte Fotokünstler schon mal heimlich in Botschaften.

Wenn ein Foto den Künstler Thomas Demand besonders fasziniert, dann baut er es in seinem Atelier nach. In Originalgröße. Aus Papier. Zum Beispiel das Bild, das den toten Uwe Barschel in der Badewanne eines Genfer Hotels zeigt - bei Demand ist das Badezimmer aus Papier. Und in der Badewanne liegt - niemand.

Denn Demand verzichtet auf alle Figuren und erzählerische Details, die nichts mit der Räumlichkeit an sich zu tun haben. So heißt die Reproduktion auch einfach nur "Badezimmer" - die Verbindung zum Barschel-Bild entsteht im Kopf des Betrachters. "Bei einem Schauspieler sagt ja auch keiner, dass der John F. Kennedy ist, wenn er ihn spielt. Man sagt aber: 'Ja, so hätte ich mir JFK vorgestellt.' Mir geht es um dieses Fast-Wie-Ich-Es-Mir-Vorgestellt-Habe", erklärt der 1964 geborene Wahlberliner, der heute zu den international renommiertesten Künstlern der Gegenwart gehört. Zu sehen gibt es immer nur Fotos seiner Papierskulpturen, da er diese zerstört, sobald er sie fotografisch dokumentiert hat.

Dem flüchtigen Betrachter fällt die Täuschung auf dem ersten Blick nicht auf, so detailliert sind die Nachbauten von Demand. Für die Imitation einer Waldlichtung schnitt er in wochenlanger Kleinarbeit 270.000 Blätter aus grünem Papier aus und klebte sie an Papieräste. Doch je mehr man sich mit Demands Bildern beschäftigt, desto offensichtlicher wird die Irreführung: Es fehlt das Logo auf der Zigarettenpackung oder der Name auf dem Klingelschild: Details, die Bildern Identität und Realität geben.

Relevante Details fehlen auf den Bildern

"Es gibt dir die Information, die du brauchst, um es für genau das wahrzunehmen, was es ist - und dann zerfällt es vor deinen Augen", beschreibt Demand den Moment, an dem der Besucher merkt, dass die Fotos nur Nachbauten zeigen.

Die Hamburger Kunsthalle stellt nun Werke aus den Jahren 2005 bis 2007 aus. Schwerpunkte sind die Arbeiten "Klause" und "Embassy". Die Saarbrücker "Tosa-Klause" war 1992 Ort eines mutmaßlichen Kindesmissbrauchs, der allerdings nie geklärt werden konnte. Demand zeigt steril Bilder des vermeintlichen Tatortes und überlässt die emotionale Wertung dem Betrachter.

Finigierter Einbruch in der Botschaft

Die Werkserie "Embassy" präsentiert Bilder der nigerischen Botschaft in Rom. Im Jahr 2001 wurde die Botschaft Ziel eines fingierten Einbruches, bei dem Briefbögen und Stempel gestohlen wurden. Im Jahr 2003 begründete US-Präsident George W. Bush den Irak-Einsatz mit angeblichen Dokumenten, die eben aus dieser Botschaft in Rom stammen und eine Uran-Bestellung des Irakes in Niger belegen. Die Dokumente stellten sich als plumpe Fälschung heraus.

"Embassy" markiert eine Ausnahme in Demands Schaffensprozess. Fotos vom Inneren der Botschaft existierten nicht, so dass sich Demand unter einem Vorwand selber Zugang verschaffte, das Gesehene memorierte und später dann in Papier nachbaute. Mit welchem Vorwand er es schaffte, das erzählt der Künstler selber - in einer persönlichen Führung durch die Ausstellung für stern.de.

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