Es ist schon seltsam genug, dass da einer in einer Werkstatt hinter dem Berliner Hauptbahnhof sitzt und die Badewanne nachbaut, in der Uwe Barschel gestorben ist. Oder das Verlies des entführten Jan Philipp Reemtsma. Oder die Wolfsschanze nach Stauffenbergs misslungenem Hitler-Attentat. Immer in Originalgröße und aus Papier. Viel seltsamer aber ist, was er danach tut: Er fotografiert sein papierenes Bauwerk – und zerstört es dann vollständig. Am Ende bleibt nur das Foto übrig. Sehr schlicht, sehr kühl und - sehr teuer.
Thomas Demand heißt der Mann, ein Bayer in Berlin. Schon seit fast 20 Jahren arbeitet er so, inzwischen ist er einer der gefragtesten Künstler der Welt. Sammler zahlen für seine Bilder Preise um 300.000 Euro. Wenn sie denn überhaupt eins bekommen. Die Wartelisten sind lang. Und jetzt könnte es noch schwieriger werden, an ein Bild von Demand zu kommen. Denn der Künstler zeigt seine Arbeiten in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Thema: Deutschland.
Eine Welt auf 270.000 papierenen Blättern
Wer das Museum betritt, taucht erst mal in einen Wald mit 270.000 papierenen Blättern ein. Acht Monate lang hat Demand mit seinem Team geschnitten, montiert und mit Uhu geklebt, bis das empfindliche, papierene Baum-Lichtungs-Gebilde fertig war. Jetzt lockt das Abbild als erstes Foto in die Ausstellung hinein. Eine seltsame Ausstellung, denn Demand hat in Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie völlig auf Zwischenwände verzichtet und stattdessen dicke, graue Wollvorhänge gespannt. Auf deren schweren Falten scheinen seine Fotos nun zu schweben. Sehr fremd und sehr schön sieht das aus.
Von Raum zu Raum bewegt man sich kreuz und quer durch die Geschichte der Bundesrepublik. Zum 60. Jahrestag der BRD und zum 20. Jubiläum des Mauerfalls appelliert Thomas Demand ans kollektive Gedächtnis der Deutschen: vom Stauffenberg-Attentat und dem alten Bonner Bundestag über RAF und Stasi-Zentrale bis hin zu Banalem wie dem eigenen Kinderzimmer oder dem TV-Ratestudio von "Was bin ich?" Allerdings sind seine Bilder immer menschenleer. Uwe Barschel liegt nicht in der Badewanne, Helmut Kohl sitzt nicht im Bundestag und Hitler steht nicht im zerstörten Führerhauptquartier auf der Wolfsschanze. Wir sehen nur kahle Räume - und erkennen sie doch wieder oder ahnen zumindest, dass sie irgendwas mit uns zu tun haben.
Grillherd, Garten und Bier
Die Texte zu den Bildern schrieb Botho Strauß. Wie Kunstwerke sind sie in Vitrinen ausgestellt. "Dem Terror geht es um die Vernichtung von Alltag" steht da neben dem Bild eines verwüsteten Raumes. Oder: "Es ist wichtig, um einen Grillherd im Garten zu sitzen, viel Bier zu trinken, nicht einfach aufeinander zu hören, sondern eine breite Stellungnahme neben die andern zu pflanzen", das Ganze neben dem Foto eines Rasenstücks. Oder "Verwahrlosung kommt aus der Mitte der Gesellschaft, nicht von den Rändern, sie wird auf lange Sicht nur zunehmen." Dazu fünf Bilder der Tosa Klause, dieser scheußlichen Kneipe, in der ein kleiner Junge verschwand - wahrscheinlich von Gästen missbraucht und ermordet. Demands Tosa-Bilder zeigen wenig, und doch spürt man deutlich das Grauen. Eine vertrocknete Yucca Palme. Ein mit Efeu überwuchertes Fenster. Eine verrammelte Tür. Ein paar Putzmittel. Luftschlangen über dem verlassenen Tresen.
"How German is it?" heißt die begleitende Vortragsreihe, der so unterschiedliche Menschen wie der Regisseur Hans-Jürgen Syberberg, die Ex-RAF-Terroristin Astrid Proll, der Schriftsteller Daniel Kehlmann, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler oder der Architekt Rem Koolhaas sprechen werden. Könnte spannend werden.Thomas Demand selbst hüllt sich in Schweigen.